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Stadtparlament: Eine Mehrheit tickt heute links
Am 22. September wird das St.Galler Stadtparlament neu gewählt. Das Kräfteverhältnis zwischen links und rechts dürfte stabil bleiben. Der Rat tickt bei Umwelt- und Verkehrsthemen also weitere vier Jahre links.
Anders als für die Stadtratswahlen gibt es für die Erneuerungswahlen ins 63-köpfige St.Galler Stadtparlament Hinweise auf den Ausgang. Dies dank der Urnengänge für den Nationalrat im Oktober 2023 und den Kantonsrat im März 2024. Aufgrund der Trends ist klar, dass nicht mit grossen Umwälzungen zu rechnen ist. Insbesondere dürften die Mehrheiten zwischen den Blöcken in der Amtszeit 2025 bis 2028 unverändert bleiben.
Zünglein an der Waage bei Entscheiden im Links-Rechts-Schema bleiben die Grünliberalen. Im Stadtparlament verfügen heute die Linksgrünen über 27 und die Bürgerlichen über 28 Sitze. Grünliberale und Junge Grünliberale kommen auf acht Sitze.
Keine absolute Mehrheit für rechts oder links
Eine grosse Sitzverschiebung zwischen den Blöcken, die dem linksgrünen Lager die absolute Mehrheit (32 Sitze) bringen würde, ist bei den Parlamentswahlen vom 22. September nicht in Sicht. Noch unwahrscheinlicher ist, dass die Bürgerlichen die absolute Mehrheit zurückerobern können, die sie bis Ende 2016 im Waaghaussaal hatten. Die Stimmberechtigten der Stadt St. Gallen ticken heute politisch in vielen Fragen mehrheitlich links. Das dürfte sich in absehbarer Zeit nicht ändern, höchstens akzentuieren: Mitte, FDP und SVP liefern offenbar vielen Jüngeren auf Fragen, die Städter:innen bewegen, keine befriedigenden Antworten mehr.
Am deutlichsten sichtbar wird der Linkstrend in der Stadt bei eidgenössischen Abstimmungen und bei Wahlgängen in den Ständerat oder die Kantonsregierung. Regelmässig schwingen – wie in anderen grösseren Städten – linke Initiativen und Referenden obenaus, die sonst in der ländlichen Ostschweiz keine Chancen haben. Bei Majorzwahlen für eidgenössische und kantonale Ämter sind sogar gemässigte SVP-Vertreter:innen bei der grossen Mehrheit der Städter:innen meist chancenlos. Linke und grüne Kandidierende kommen auf Traumresultate, SVP-Kandidierende schiffen ab. Als Retourkutsche stellt sich die sehr starke SVP-Fraktion im Kantonsrat oft gegen städtische Anliegen.
Nur drei Sitze neu zu vergeben
Zu den Stadtparlamentswahlen für die neue Legislatur treten 385 Kandidat:innen auf 15 Listen an. Darunter sind nicht weniger als 60 von 63 Bisherigen; bei den meisten von ihnen ist die Wiederwahl Formsache. Schlägt man das Resultat der Kantonsratswahlen in der Stadt eins zu eins aufs Stadtparlament um, werden vier Sitze die Hand wechseln: FDP und Grüne/Junge Grüne müssten je zwei Sitze abgeben, Gewinner der Rechenübung wären mit je zwei Zusatzmandaten SP und SVP. So klar dürfte es aber nicht kommen: Erfahrungsgemäss sind Ausschläge bei kommunalen Wahlresultaten nämlich meist kleiner als bei nationalen oder kantonalen Wahlen.
Realistischerweise ist bei FDP und Grünen/Jungen Grünen mit je einem Sitzverlust zu rechnen. Diese Mandate könnten an SP und SVP gehen. Das wäre für die SP, die aus den Wahlen 2020 zwei Restmandate zu verteidigen hat, ein gutes Resultat. Die SVP anderseits wird mit nur 17 Kandidaturen (für eine volle Liste braucht es 32) ihr Potenzial wieder nicht voll ausschöpfen. Das ist ein Problem, das auch die Mitte treffen könnte: Sie tritt mit 22 Kandidaturen an. Erfahrungsgemäss animieren leere Linien auf einer Liste dazu, andere Kandidat:innen einzusetzen. Damit verliert aber die Partei, die im Listenkopf genannt wird Stimmen. Und diese Parteistimmen sind für die Sitzverteilung zentral.
Ungefährdet scheinen die acht bisherigen Sitze der Grünliberalen. Die Politische Frauengruppe (PFG) und die EVP halten heute je einen Sitz im Stadtparlament. Nichts deutet darauf hin, dass sie diese 2020 als Vollmandate errungenen Sitze Ende September nicht wieder verteidigen können. Beide Parteien haben treue Stammwähler:innen.
Unterschiedliche Ausgangslage für die Kleinen
Unsicherer ist die Ausgangslage für jene Listen, die heute niemanden im Stadtparlament stellen. Ziemlich sicher chancenlos ist die Liste Aufrecht St. Gallen mit 13 Kandidaturen, sechs davon von ausserhalb der Stadt. Ein traditionelles Unikum bei städtischen Wahlen, aber erneut chancenlos ist wohl auch die Liste der Schweizer Demokraten (SD) mit zwei von drei auswärtigen Kandidaturen. Die SD hatte von Anfang 1993 bis Ende 2000 einen Vertreter im Parlament. Seither versucht die Kleinpartei regelmässig, aber erfolglos das Mandat zurückzuholen.
Eine Wundertüte ist die erstmals antretende Freie Liste – Mittelstand Schweiz. Bemerkenswert, dass sie mit 31 Kandidaturen aufwartet. Initialzündung für die Gründung war ein Konflikt um ein Familiengartenareal im Osten der Stadt. Im Programm der Liste zentral ist nicht nur der Erhalt von Grünflächen und Familiengärten, sondern auch die Stärkung des Mittelstandes. Die Liste sieht sich dabei als «echte Alternative» zu «staatsgläubigen» Linken wie zu Bürgerlichen, die gemäss einem Vertreter der Liste «primär Interessen der Reichen und Allerreichsten vertreten».
Die Freie Liste hat Potenzial, um bei Familiengärtner:innen und Naturschützer:innen aus dem Mitte-Rechts-Spektrum zu punkten. Familiengärten und Naturschutz sind in der Stadt politisch einflussreich. Ob es damit tatsächlich für den Stimmenanteil von 1,6 Prozent reicht, der für einen Parlamentssitz nötig ist, wird sich erst am Wahlabend zeigen. Dass am gleichen Termin über die sehr kontroversen und daher stark mobilisierenden eidgenössischen Vorlagen zur Biodiversität und zur Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) entschieden wird, könnte für diese Liste Rückenwind bedeuten. Das gilt aber auch für die linke und rechtsbürgerliche Konkurrenz.