, 22. September 2024
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Stadtparlament: unerwarteter Rechtsrutsch

Die Überraschung ist komplett: Dank einem Höhenflug der FDP erobert das bürgerliche Lager am Sonntag die Mehrheit im St.Galler Stadtparlament zurück. Weil die FDP um vier und die SVP um einen Sitz zulegen konnten, verfügen die Bürgerlichen neu über 33 von 63 Sitzen.

SP-Vertreter:innen mit der erneut wiedergewählten Stadtpräsidentin Maria Pappa vor Verkündigung der Resultate der Stadtparlamentswahlen im Talhof. Sie erwartet eine grosse Enttäuschung. (Bild: vre)

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Wahlpanne in der Stadt St.Gallen 

Dieser Beitrag über die Stadtparlamentswahl 2024 ist Makulatur. Oder irgendwann eine historische Kuriosität. Texte, die am Stadtsanktgaller Wahlsonntag vom 22. September 2024 geschrieben wurden, basieren nämlich auf einem falschen Resultat. Es wurde vom städtischen Stimmbüro am Tag danach, am Montag, 23. September 2024, korrigiert – alles Wichtige dazu hier

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Nichts hatte im Vorfeld der Wahlen ins Stadtparlament darauf hingewiesen, was die Verantwortlichen der Stadt am Sonntagabend im Wahlzentrum in der Jugendbeiz Talhof verkündeten: Nach acht Jahren Mitte-Links-Mehrheit rutscht das Stadtparlament mit der Amtszeit 2025 bis 2028 wieder nach rechts: FDP (+4) und SVP (+1) können zulegen, SP (-2), Grüne (-1) und Grünliberale (-2) brechen ein.

Der freisinnige Höhenflug sowie die Verluste von SP und Grünliberalen sind überraschend. Damit, dass die SVP einen Sitz zulegen und die Grünen einen verlieren dürften, war vor der Wahl gerechnet worden.

Mehrheit kippt nach rechts

Das Resultat stellt die Mehrheitsverhältnisse im St.Galler Stadtparlament auf den Kopf. Seit dem 1. Januar 2017 verfügten dort Linksgrüne und Grünliberale zusammen über eine Mehrheit. Ab 2025 ändert sich das: Neu halten die Bürgerlichen 33 von 63 Sitzen. Auf Linksgrün entfallen noch 24 und auf die Grünliberalen 6, also zusammen 30 Sitze.

Der am Sonntag im Amt bestätigte Mitte-Links-Stadtrat trifft damit im Parlamentssaal neu auf eine bürgerliche Mehrheit. Das ist eine Konstellation, bei der Differenzen und Konflikte programmiert sind.

Im städtischen Wahlzentrum waren Freude und Enttäuschung am Sonntagabend greifbar. Bei Sieger:innen wie Verlierer:innen war die Überraschung über die Deutlichkeit des Resultats aber gleichermassen gross: Kaum jemand hatte die Kehrtwende in dieser Deutlichkeit kommen sehen. Auch war eine gewisse Ratlosigkeit über die Gründe spürbar. Man müsse die Resultate zuerst einmal im Detail analysieren, sagten Parteivertreter:innen von links und rechts unisono.

Mobilisierung links der Mitte hat nicht geklappt

Klar ist, dass der FDP die Mobilisierung ihrer Wähler:innen voll und ganz gelungen ist. Gründe dafür, so wurde im Talhof spekuliert, seien etwa die starke öffentliche Präsenz aufgrund der gut dotierten Kriegskasse der Partei sowie die Bemühungen einzelner Kandidierender gewesen.

Bei SP und Grünliberalen hat hingegen die Mobilisierung der eigenen Basis nicht wie erwartet geklappt. Dies, obwohl beide Parteien viel Werbeaufwand getrieben haben und auf der Strasse präsent waren.

Daneben dürfte ein grosser Strauss von Gründen für das veränderte Wahlverhalten in der Stadt St.Gallen verantwortlich sein. Angeführt wurde von Parteivertreter:innen unter anderem die Weltlage und die Priorität, die Sicherheitsfragen dadurch bekommen haben. Zudem gebe es Unsicherheiten bezüglich Wirtschaftsentwicklung. Solche Themen hätten in der Vergangenheit dem bürgerlichen Lager bei Wahlen regelmässig Auftrieb gegeben.

Allenfalls, so hiess es von einem bürgerlichen Politiker, habe die SP in den vergangenen acht Jahre im Stadtparlament für die breite Öffentlichkeit auch «zu abgehoben» und mehr für Minderheiten statt für alle politisiert.

Sicher ein Faktor fürs Resultat ist, dass die SP als einzige Partei drei Bisherige ersetzen musste, die per Ende Jahr aus dem Stadtparlament zurücktreten werden. Damit fehlten auf ihrer Liste einige «Wahllokomotiven», die aufgrund ihrer Bekanntheit und ihrer Vernetzung immer auch Stimmen bei der Wählerschaft anderer Parteien holten.

Ein neues Zünglein an der Waage?

Die neue bürgerliche Mehrheit wird ab 1. Januar 2025 ihre Wirkung entfalten. Es wird spannend sein zu beobachten, wie sich die Zusammenarbeit in den neuen Verhältnissen anlässt.

In den Jahrzehnten, in denen die Bürgerlichen unangefochten die Mehrheit im Stadtparlament hatten, fuhr die CVP, die heutige Mitte, teilweise einen stark eigenständigen Kurs und war so das Zünglein an der Waage, das bei Umwelt- und Sozialfragen ab und zu überraschende Entscheide verursachte. Wie sich das entwickelt ist völlig offen.

Ein kompromissloser Rechtskurs wie im Kantonsrat ist im städtischen Waaghaussaal nicht zu erwarten. Dafür ist die bürgerliche Mehrheit mit drei Sitzen zu knapp. Hinzu kommt, dass der Stadtrat nach der Bestätigung der fünf Bisherigen weiterhin mitte-links tickt, was man in seinen Vorlagen ans Parlament weiterhin spüren wird.

In Fragen, die für sie zentral sind, haben Linksgrüne zudem mit dem Referendum ein Instrument, um sich gegen bürgerliche Muskelspiele zu wehren. Die Chancen, bei umstrittenen Umwelt-, Klima- oder Verkehrsfragen beim Stimmvolk zu punkten, stehen für dieses Lager gemessen an Volksentscheiden der vergangenen Jahre mehr als gut.

Blockade oder Kompromisse?

Ein Risiko der neuen politischen Konstellation ist, dass sich die gegenläufigen Kräfte auf den verschiedenen Ebenen neutralisieren und dass Projekte in politischen Endlosschlaufen landen, also nicht mehr umgesetzt werden. Für die Stadt hätte das ein Treten an Ort zur Folge, das letztlich  niemandem dient. In der nächsten Amtszeit wird es daher wieder wichtiger, dass sich die Beteiligten zusammenraufen. Will man vorankommen, wird es nicht ohne Kompromisse gehen.

Gefragt sind jetzt Parlamentsmitglieder, die in der Lage sind, mit der jeweiligen Gegenseite zu kommunizieren und «politische Päcklein» aufzugleisen. Die Volksvertreter:innen mit dieser Fähigkeit im Stadtparlament kann man an einer Hand abzählen.

Bleibt zu hoffen, dass es unter dem neu gewählten Nachwuchs Leute mit dieser Fähigkeit hat oder dass sich bisherige Parlamentsmitglieder, die diesbezüglich nicht gefordert waren, nun auf die Tugenden Gesprächs- und Kompromissbereitschaft besinnen.

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