, 20. Juni 2014
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Tagblatt-Protest symbolisch gekübelt

Jetzt ist es offiziell: Das St.Galler Tagblatt ersetzt die lokalen Kulturseiten durch eine regionale Mantel-Kulturseite. Die über 1500 Protest-Unterschriften dagegen haben nichts genützt – Petitions-Initiant Alex Meszmer hat sie heute gekübelt.

Den Umbau zu einer Zweibund-Zeitung hatte Chefredaktor Philipp Landmark bereits Anfang Juni gegenüber Saiten auf Nachfrage bestätigt. Seine eigene Leserschaft erfuhr darüber und über den drohenden Abbau der Kulturberichterstattung bis heute Freitag nichts. Jetzt hat sie es schwarz auf weiss: «Auslöser der Überarbeitung des Zeitungsmantels ist der Rückgang der Inserateseiten: Dadurch sinken die Umfänge auf ein zu tiefes Niveau, um vier auch haptisch ansprechende Bünde drucken zu können.» Zwei statt bisher vier Bünde sowie «leichte Umfangreduktionen» in den Lokalteilen sind die Folge. Knapp zehn Redaktionsstellen gehen verloren.

Gefragt sind «Perlen»

Unter dem Titel «Kultur ohne Gartenhag» begründet Landmark den Kulturabbau mit dem Wunsch aus der Leserschaft, dass «Perlen des lokalen Kulturgeschehens» in der Gesamtausgabe und nicht nur im jeweiligen Kopfblatt publiziert werden sollten. Die bisher drei Kulturredaktionen (Focus, Thurgaukultur, Stadtkultur) werden im Ressort Focus zusammengeführt und «organisatorisch schlagkräftiger aufgestellt». Die «Zoom»-Seite verschwindet.

Die Denkungsart hinter diesen Neuerungen zeigt sich in der Begrifflichkeit: Die bisherigen lokalen Kulturseiten bezeichnet Landmark als «starr»; Kulturinformation und Kulturkritik interessieren den Chefredaktor offensichtlich nicht inhaltlich oder sprachlich, sondern sind ihm als «Gärtli-Denken» und «Gewohnheitsrecht» prinzipiell verdächtig. Künftig soll mit «begründeter journalistischer Willkür» ausgewählt werden, was dem Publikum als «Perle» zumutbar ist. Die weniger glanzvolle Kultur darf immerhin auf den Lokalseiten weiterhin Platz finden. Und was «originell, wichtig oder besonders» ist, kann es sogar auf die Themenseite schaffen.

Kleiner Trost angesichts eines Umbaus, der noch stärker als heute die massentaugliche und glamouröse Kultur zu protegieren und das Unscheinbare zu ignorieren droht: «Nicht verändert wird bei dieser Überarbeitung das elegante, gerade erst mit einem European Newspaper Award für Typographie ausgezeichnete Layout der Zeitung.»

Betroffen ist übrigens auch die Wirtschaft: Die bisher mehrmals wöchentlich erschienene separate Seite «Wirtschaft Ostschweiz» wird aufgehoben, Themen und Redaktion verschmelzen mit dem Wirtschaftsressort, das seinerseits in der letzten Zeit an Platz verloren hat. Ob sich dagegen Widerstand aus der regionalen Wirtschaft regt, wird man sehen. Bei den KMU-lern dürfte Landmarks Schnöden über «Gewohnheitsrecht» und «Gärtli-Denken» mindestens so schlecht ankommen wie in der Kulturszene.

Kündigungs-Drohungen

Die 1500 Kultur-Unterschriften auf die vom Pfyner Kunstaktivisten Alex Meszmer lancierte Petition (mehr dazu hier und hier) haben also nicht gefruchtet. Meszmer hat deshalb entgegen seinen ursprünglichen Plänen entschieden, die Petition dem Chefredaktor nicht zu überreichen – und hat sie am Freitag mittag rituell gekübelt.

Nicht verstummen werden aber voraussichtlich die kritischen Stimmen – immerhin haben zahlreiche Kommentare zur Petition damit gedroht, das Abonnement abzubestellen. Man mag das dem Tagblatt nicht wünschen, aber die O-Töne waren deutlich: «Ich interessiere mich für Kulturelles mehr als für alles andere im Tagblatt. Wenn das auch noch gekürzt wird, werde ich mein Abonnement künden.» «Wenn das kommt, war ich die längste Zeit TZ-Abonnent.» «Nach jahrzehntelanger Treue wird es mir immer schwerer gemacht, mir eine weitere Abonnementsperiode noch anzutun.» «Ich empfände eine Reduktion als Verarmung und würde mir ernsthaft die Beendigung des Abonnementes überlegen.» «Wenn die Kultur fehlt, fehlt viel!» usw.

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Alex Meszmer, Künstler und visarte-Vorstand aus Pfyn, entsorgt am 20. Juni die 1552 Unterschriften seiner Petition «Erhalt der Kulturseiten Regionalkultur Thurgau und Stadtkultur St. Gallen». Bild: Sascha Erni

Eine der Petitionärinnen hat ihren Ärger so auf den Punkt gebracht: «Gäbe es eine Alternative – man könnte gut auf das Tagblatt verzichten.» Die Alternativen, wenn auch nicht ganz so «schlagkräftig aufgestellt», gibt es: Saiten kann man als Mitglied oder Gönnerin unterstützen und damit elf Mal im Jahr Kultur in allen Facetten ins Haus geliefert bekommen. Und man kann uns natürlich auch weiterhin kostenlos online lesen. Dasselbe gilt für das Kulturportal thurgaukultur.ch, wo Brigitta Hochuli die Petition nach Kräften publik gemacht hat und jetzt kommentiert: «Es gibt also durchaus unterstützenswerte Alternativen.»

 

 

7 Kommentare zu Tagblatt-Protest symbolisch gekübelt

  • Dann sollen sie doch die einseitigen Schreiberlinge auch reduzieren und „KulturjournalistInnen“ nehmen, die das Alphabet nur einigermassen aufwärts auswendig können. Das reicht für die bevorzugten Sparten Rap, Slam und andern kollegialen Freundesdienste.

  • PS Ich habe das Tagblatt bereits abbestellt und auch für meine privaten Belange die Tagblatt-Adressen aus meiner Kartei gelöscht. Eigentlich schade.

  • […] Die Kultur trifft’s am härtesten, aber auch die Wirtschaftsredaktionen werden zusammengelegt. Wie Peter Surber fürs Saiten-Magazin schrieb: »Bei den KMU-lern dürfte Landmarks Schnöden über «Gewohnheitsrecht» und «Gärtli-Denken» […]

  • Michael Hug sagt:

    Die Kübelung war eine ziemlich feige Aktion und bestimmt nicht im Sinne von uns Unterzeichnenden. 1500 erwachsene Menschen haben ihren Unmut ausgedrückt – doch der Initiant trasht das Zeugnis davon im nächstbesten Container. Um beim Tagblatt Kritik anzubringen, braucht es einen geraden Rücken und nicht weiche Knie. Nun sind die 1500 Stimmen im Müll und damit nichts mehr wert. Dass das nicht gut kommen konnte, zeichnete sich schon beim Startzeitpunkt der Petition ab. Dank der Kontakte von Peter Surber wurde der Plan des Tagblatts zu früh publik, womit alle die Chance gehabt hätten, zu reagieren. Aber eben: sofort. Das Mediengeschäft ist ein schnelles Geschäft, doch es lässt sich mitunter auch stoppen um – schnell – anders zu reagieren. Alex Meszmer war zu spät, die Kulturellen waren zu spät, wir waren zu spät. Landmark war einen Schachzug voraus. Ob das Taktik war oder ein Häkchen im Marschplan, ist egal. Das Tagblatt wird mit der Entscheidung leben müssen.

  • […] zu beenden. Wo keine Kolumne, da braucht es auch keine Autoren, ne? Das Ganze weitete sich zu einem richtigen Streit unter Kulturschaffenden, Autoren, Journalisten und Konkurrenzzeitungen aus. Hätten nicht einen Haufen Redakteure ihren Job verloren, man könnte sich darüber […]

  • […] zu beenden. Wo keine Kolumne, da braucht es auch keine Autoren, ne? Das Ganze weitete sich zu einem richtigen Streit unter Kulturschaffenden, Autoren, Journalisten und Konkurrenzzeitungen aus. Hätten nicht einen Haufen Redakteure ihren Job verloren, man könnte sich darüber […]

  • […] zu beenden. Wo keine Kolumne, da braucht es auch keine Autoren, ne? Das Ganze weitete sich zu einem richtigen Streit unter Kulturschaffenden, Autoren, Journalisten und Konkurrenzzeitungen aus. Hätten nicht einen Haufen Redakteure ihren Job verloren, man könnte sich darüber […]

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