tagesmenü: s git was git

Winkelrieds Grissini-Tod von Manuel Stahlberger. (Bilder: pd)

Kabarett, Song, Foto, Film, Zeichnung, Bastelei: Jedes Mittel ist Manuel Stahlberger und Julia Kubik recht, um die Welt zu sortieren. Ihr erstes gemeinsames Programm heisst Es wie die Sonnenuhr machen. Im Dezember kommt das Duo ins St.Galler Palace.

Da passt vie­les zu­sam­men. Bei­de zeich­nen vir­tu­os, er­zäh­len selt­sa­me Din­ge mit erns­ter Mie­ne, sind in der Ost­schweiz auf­ge­wach­sen und hän­gen ge­blie­ben, in ih­ren Hir­nen muss es ein paar Ex­tra­win­dun­gen für Kur­li­ges ge­ben, kurz­um: Ma­nu­el Stahl­ber­ger und Ju­lia Ku­bik ha­ben so viel ge­mein­sam, dass es nur ei­ne Fra­ge der Zeit sein konn­te, bis sie mit­ein­an­der auf der Büh­ne ste­hen.

Das tun sie jetzt – seit Sep­tem­ber und weit ins 2025 hin­ein tou­ren sie durch die Schweiz mit ei­nem Pro­gramm, des­sen Ti­tel so ei­gen ist wie der gan­ze Abend: Es wie die Son­nen­uhr ma­chen.

Funk­tio­niert auch im Thur­gau

An­fang No­vem­ber, im «Gol­de­nen Dachs», der erst seit ein paar Mo­na­ten exis­tie­ren­den Kul­tur­beiz in Wein­fel­den, die auch sonst ei­nen Be­such wert ist: Vol­le Rei­hen, man kennt sich, es ist der Auf­takt-Tag der Wein­fel­der Buch­ta­ge, des am­bi­tio­nier­ten Li­te­ra­tur­fes­ti­vals. In ei­ner Ecke sta­peln sich die Bü­cher der hier le­sen­den Au­tor:in­nen, da­ne­ben die en­ge Büh­ne, auf der Stahl­ber­ger/Ku­bik gleich die en­ge Ost­schweiz ver­han­deln und am En­de bis zum Mond ver­grös­sern wer­den. Fa­zit vor­weg: Sein Stadt-Sankt­gal­ler und ihr Rhein­ta­ler Hu­mor funk­tio­nie­ren auch im Thur­gau hür­den­frei.

Was nicht ver­wun­dert, denn die The­men sind so lo­kal wie uni­ver­sell. Zum Bei­spiel Guetz­le mit de Chind vor Weih­nach­ten: Es ist ei­ne die­ser Sze­nen aus dem klein­bür­ger­li­chen Fa­mi­li­en­all­tag, auf die Ma­nu­el Stahl­ber­ger spe­zia­li­siert ist. Dies­mal hat er es auf die Mai­län­der­li ab­ge­se­hen. Al­les sel­ber ge­ba­cken, ver­si­chert er.

Zu­erst (denn im­mer ist zu­erst Ord­nung in Stahl­ber­gers Mi­kro­kos­mos) kom­men die Guetz­li brav als Drei­kö­ni­ge samt Stern von Beth­le­hem da­her. Dann mu­tie­ren sie zu den drei Eid­ge­nos­sen aus dem Bun­des­haus und schwupps zu Fuss­ball­stars. In­ter­mai­län­der­li ge­gen Bas­ler­bruns­li, Stahl­ber­ger guetz­let Zi­danes Kopf­stoss oder das Wem­bley-Goal nach und ein gan­zes Sta­di­on vol­ler Fan­guetz­li, aus Cheer- wer­den Cheese­lea­de­rin­nen und schon ist Krieg, Win­kel­ried rammt sich Gris­si­ni in den Bauch, Eid­ge­nos­sen er­schla­gen Habs­bur­ger mit Brü­ge­li, die Guetz­li rei­chen längst nicht mehr, jetzt müs­sen Piz­zas her, Bom­ben auf Pearl Har­bour, die Hin­den­burg ex­plo­diert in Lake­hurst, zur Ent­span­nung ein Gi­a­co­metti aus Spa­ghet­ti und am En­de der Ur­knall: ein Blu­men­kohl.

Stahlbergers Wembley-Goal

Un­ter Stahl­ber­gers ver­sier­ten Kü­chen­fin­gern ver­wan­delt sich al­les zu al­lem, nichts ist si­cher vor sei­nem gna­den­los freund­li­chen Zu­griff, Kin­der­spiel und Welt­un­ter­gang Hand in Hand, man lacht sich krumm und weiss nicht, ob La­chen noch passt.

Tier­lie­be à la Ku­bik

Auch Ju­lia Ku­bik wir­belt Sein und Schein durch­ein­an­der. Le­gen­där für Sai­ten-Le­ser:in­nen, die das Ja­nu­ar­heft 2022 noch in Er­in­ne­rung ha­ben, ih­re Duft­ker­zen Fleisch­ge­nuss as­sor­tiert, ihr La­v­abo aus Sei­fe, der Kies­mä­her Fel­sen­melk oder der Men­schen­baum. Be­son­ders ha­ben es ihr die Tie­re an­ge­tan, Le­gua­ne, Pfer­de, Ga­zel­len, der Hecht auf Drei Weie­ren, der mör­de­ri­sche Rie­sen­frosch, das blu­ten­de Reh im Aus­gang, der Hund als Fo­to­graf, über­haupt der Trend zum «emo­tio­nal
sup­port ani­mal»: Es men­schelt ge­wal­tig in Ku­biks Tier­le­ben.

«i bi e tuu­be / du e per­son», fängt ihr Ge­dicht mit dem Ti­tel Ta­ges­me­nü an, spä­ter taucht «en leu im gar­te» auf, «s kro­ko­dil lauft im li­ge / d en­te sitzt im stoh / i schlof ii bim lau­fe». Wir sind «im schat­te­loch» na­mens «ost­schwitz ost­schwitz», die­sem «brenn­punkt schlech­ti lu­une», wo sich Re­he und Hun­de, Hüh­ner und Füch­se gut Nacht sa­gen zwi­schen «tank­stell zi­gis zuekunft / gos­sau gold­ach au / avec, do it, land­luft / meis­tens we­nig stau».

Dia­lekt­ly­rik wie die­se muss man weit su­chen, und hier im Os­ten wä­re die Su­che, bis auf Stahl­ber­gers kon­ge­nia­le Song­tex­te, wohl ver­geb­lich. Da ist al­le hei­mat­li­che Idyl­lik weg­ge­fegt, die Rei­me krat­zen, die Bil­der jau­len, die Mund­art zeigt ih­re Zäh­ne und die Ag­glo ih­re Frat­ze: «ha­mi ufs gross spek­ta­kel gfreut / aber es isch abg­seit / lauf hei und gspür de­bi mis gsicht / wo lang­sam usen­andgheit».

Statt Spek­ta­kel bie­tet das Le­ben als «ta­ges­me­nü: s git was git». Oder, im Lied vom Chin­der­tisch, Fremd­schä­men, wenn der Va­ter mit sei­ner neu­en Freun­din Par­ty fei­ert. Oder Stau vo Üete­dorf bis Gams in Stahl­ber­gers Lob­ge­sang auf die Schwei­zer Stras­sen­de­mo­kra­tie, wo selbst der Bun­des­rat im Tun­nel ste­cken bleibt.

Die gros­sen Hoff­nun­gen: vor­bei. Die Kar­rie­re: ab­ge­sagt. Die Ein­sicht im­mer­hin glas­klar: «Mit dem Wis­sen wächst der Zwei­fel.» In Ku­biks Bil­dern schlägt die Stun­de der Yo­ga­has­ser und Eis­ba­den­den, wäh­rend Stahl­ber­gers Poe­sie­al­bum auf lei­se Re­bel­li­on macht. Statt schön­geis­ti­ge Le­bens­hil­fe sam­meln sich dar­in Fahr­plan und Mai­län­der­li­re­zept, Mo­zart singt sei­ne an­stös­si­gen Ka­nons und Goe­the tä­to­wiert sich den «Faust» auf Bauch und Rü­cken.

Ab­la­ge­run­gen der Volks­kul­tur

Üb­ri­gens war das vor­hin mit der ab­ge­sag­ten Kar­rie­re ge­lo­gen: Stahl­ber­ger läuft zu Höchst­form auf in den aus Steck­li ge­bas­tel­ten Kunst­in­stal­la­tio­nen von Igel Fred­dy. Und Ju­lia Ku­bik outet sich im zwei­ten Pro­gramm­teil als Jung­fil­me­rin, et­was er­schöpft und «nicht so be­last­bar» grad an dem Abend, wie sie Mo­de­ra­tor Stahl­ber­ger im Small­talk ge­steht, aber im Fes­ti­val­glück mit ih­rem Erst­lings­werk Image.

Filmstill aus Julia Kubiks Film Image.

Ihr Film ist ein Zu­sam­men­schnitt von Grup­pen­por­träts al­ler Art: Po­li­ti­ker, vor­zugs­wei­se männ­lich, Fa­mi­li­en, Ka­der­teams samt Chefs, Fuss­bal­ler, Check­über­ga­ben, Rock­bands, Feu­er­weh­ren, Hoch­zeits­ge­sell­schaf­ten, Ver­ei­ne … In ra­sen­dem Tem­po reiht sie der Film an­ein­an­der, un­ter­legt von Krat­zern, Knal­lern, Klin­geln, von Ap­plaus, Pfif­fen, Schrei­en und was man sonst noch al­les an un­pas­sen­den Ge­räu­schen aus dem Netz ho­len kann. Die Por­träts ste­hen kopf und quer, es bleibt die Er­kennt­nis: Die wah­re Na­tur des Men­schen ist es, sich in Grup­pen fo­to­gra­fie­ren zu las­sen.

Stahl­ber­ger/Ku­bik ret­ten den All­tag mit Iro­nie, weil sie ihn mö­gen: Grup­pen­fo­tos, Guetz­li, Poe­sie­al­ben, all die Ab­la­ge­run­gen der Volks­kul­tur ha­ben ih­ren Wert und ih­re ko­mi­sche Wür­de. Dem Poe­sie­al­bum ist denn auch der Ti­tel des Pro­gramms ent­sprun­gen: Es wie die Son­nen­uhr ma­chen.

Wir ha­ben es ge­macht und die hei­te­ren Stun­den ge­zählt: Mehr als zwei sind es. Ana­ly­sen und Poe­si­en, Haupt- und Ne­ben­säch­li­ches zur «con­di­tio hu­ma­na» im Os­ten und über­haupt, Ka­ri­ka­tu­ren und Teig­fi­gu­ren, Ku­biks Fo­tos von St.Gal­ler Un­or­ten, Stahl­ber­gers grös­sen­wahn­sin­ni­ge Denk­mal-Fan­ta­sien, schrä­ge Chat­ver­läu­fe, de­pri­mie­rend wah­re zwei­stim­mi­ge Songs und mehr fü­gen sich zu ei­ner Num­mern­re­vue, die gern auch drei Stun­den dau­ern dürf­te.

Ah, fast ver­ges­sen, der Mond. Die Mi­gros, von Spar­mass­nah­men ge­beu­telt, hat ein neu­es Busi­ness­mo­dell ge­fun­den: Sie ex­pan­diert ins Uni­ver­sum, es gibt jetzt ei­ne Mi­gros Mond, ei­ne Mi­gros Ju­pi­ter, so­gar ei­ne Mi­gros Milch­stras­se, ge­baut aus kos­mi­schem Reis. So kommt al­les gut und bleibt Ku­bik am En­de mit ih­rer Ge­dicht­zei­le, mei­nem Lieb­lings­satz aus dem Pro­gramm, im Un­recht: «al­les wa sehr guet isch / frisst sich sel­ber uf».

 

Stahl­ber­ger/Ku­bik – Es wie die Son­nen­uhr ma­chen: 19. und 20. De­zem­ber, Pa­lace St.Gal­len, im Fe­bru­ar 2025 un­ter an­de­rem in Braun­wald, Som­me­ri, Lich­ten­steig, Buchs und Wil

ma­nu­el­stahl­ber­ger.ch