Tanzplan muss sich neu erfinden
Die Proben laufen auf Hochtouren, Soraya Leila Emery und Neil Höhener sind im Endspurt. Am 17. Oktober feiern ihre Tanzstücke TURN ON und An Act als Doppelabend Premiere. Entstanden sind sie im Rahmen des «Associated Artist Programme» von Tanzplan Ost (TPO). Alle zwei Jahre können hier zwei ausgewählte Choreograf:innen je ein zeitgenössisches Tanzstück erarbeiten und erhalten dafür einen Koproduktionsbeitrag, einen monatlichen Lohn sowie Unterstützung in Sachen Dramaturgie, Organisation und Infrastruktur.
Emerys Stück TURN ON beleuchtet die weibliche Lust aus feministischer Perspektive. Ihre drei Performerinnen bewegen sich solo oder im Zusammenspiel durch den Raum. Durch eine Mischung aus Tanz- und Grappling-Techniken will das Stück Narrative rund um weibliche Sexualität, Körperautonomie und Empowerment neu denken. Höheners Solostück An Act ist auto- und körperbiografisch inspiriert und setzt sich mit der eigenen Identität und Physis sowie deren Fluidität auseinander – eine traumhafte Suche nach ständiger Transformation, verspricht die Ankündigung.
Nach der Premiere und zwei weiteren Abenden im Tanzhaus Zürich gastiert die TPO-Tour im Phönix Theater Steckborn und in der Bachturnhalle Schaffhausen. Dass die Aufführungen an diesen Orten stattfinden, also eher am Rand der TPO-Kernregion, ist einigermassen symptomatisch für die Zustände in den meisten Ostschweizer Kantonen: Der Tanzszene fehlen oft adäquate Probe- und Auftrittsmöglichkeiten. Spielstätten wie das Tanzhaus Zürich bieten da vergleichsweise grosszügige Bedingungen.
Geprägt vom Prekariat
Der Platz ist nicht das einzige Problem. «Das professionelle zeitgenössische Tanzschaffen ist immer noch geprägt vom Prekariat», erklärt Romeo Oliveras. Er ist seit 2023 Projektleiter bei Tanzplan Ost sowie Geschäftsleiter des Vereins IG Tanz Ost, der das Projekt Tanzplan trägt. «Es gibt viele engagierte Tänzer:innen in der Region, aber sie haben meist immer noch zu wenig Lohn, geschweige denn eine ordentliche Absicherung im Alter, bei Unfällen oder Krankheiten. Viele wandern darum in urbanere Gebiete ab, wo die Arbeits- und Rahmenbedingungen besser sind.»
Das Problem ist nicht neu. Vor über 20 Jahren gründeten Pro Helvetia und das Bundesamt für Kultur (BAK) gemeinsam mit Städten, Kantonen, Verbänden und Tanzschaffenden das nationale Projekt Tanz. Die Rahmenbedingungen für Tanzschaffende in der Schweiz sollten verbessert und die Qualität weiterentwickelt und nachhaltig gesichert werden. Gleichzeitig hoffte man so zu verhindern, dass die besten Tanzschaffenden weiter ins Ausland abwandern. Und rasch wurde dabei klar: Der zeitgenössische Tanz war massiv unterfördert.
Aus diesem Antrieb heraus ist 2009 auch das Projekt Tanzplan Ost ins Leben gerufen worden. St.Gallen, Ausser- und Innerrhoden, Glarus, Graubünden, Schaffhausen, Thurgau, Zürich sowie das Fürstentum Liechtenstein haben sich zusammengetan, um den zeitgenössischen Tanz in der Ostschweiz mit einem kantonsübergreifenden Modell gezielt zu fördern und die freie Tanzszene sichtbarer zu machen.
Ende der kantonsübergreifenden Förderung
Das Budget von Tanzplan Ost beträgt derzeit gut 600’000 Franken pro Zweijahreszyklus. Die Hälfte davon, rund 320’000 Franken bezahlen die Ostschweizer Kantone und die Kulturstiftung Liechtenstein, die andere Hälfte kommt von Stiftungen. Nach bald 15 Jahren soll diese koordinierte Förderung jetzt aber auslaufen. Die Ostschweizer Konferenz der kantonalen Kulturbeauftragten (KBK) hat beschlossen, das Projekt Tanzplan Ost nur noch bis Ende 2026 zu finanzieren. Der Entschluss fiel bereits im Herbst 2023.
«Die wichtigsten Ziele des Fördergefässes Tanzplan Ost waren eine grössere Bekanntmachung der Sparte und eine bessere Verbreitung und Vernetzung», sagt Ursula Steinhauser von der KBK-Ost auf Anfrage. Das Projekt habe sich in den vergangenen 15 Jahren sehr gut und auch bedarfsgerecht weiterentwickelt. Die Bilanz der KBK habe gezeigt, dass die Ziele erreicht worden seien. «Wir konnten ein qualitatives Schaffen ermöglichen und haben in der Ostschweiz mittlerweile überzeugende Tanzproduktionen, die auch eine beachtliche Verbreitung finden. Das freut uns sehr. Die IG Tanz Ost macht einen tollen Job.»
Gleichzeitig müsse man sich fragen, wie lange es zu rechtfertigen sei, einen spezifischen Bereich so lange in diesem Mass zu fördern. «Wir sind gemäss unseren Förderleitbildern der kulturellen Vielfalt verpflichtet», erklärt Steinhauser, «darum wollen wir nach 15 Jahren intensiver Förderung des zeitgenössischen Tanzes nun ein anders Thema in den Fokus nehmen.» Welches das ist, will Steinhauser nicht verraten. Ohnehin flössen die Tanzgelder noch bis Ende 2026. «Bis dahin haben auch wir Zeit, um etwas Neues zu entwickeln.»
Downsizing ist unumgänglich
Etwas Neues entwickeln muss nun auch das Team der IG Tanz Ost. Es kann den Entscheid der KBK-Ost aufgrund der angegebenen Begründung nur begrenzt nachvollziehen, denn «der Entzug der Gelder bedeutet für uns auch ein Entzug der Arbeitsgrundlagen», erklärt Geschäftsleiter Oliveras. «In Zukunft müssen wir mit massiv weniger Ressourcen auskommen.»
Der Wegfall der 320’000 Franken alle zwei Jahre sei kaum durch zusätzliche Stiftungsgelder zu kompensieren. «Ohne die öffentliche Hand im Rücken sprechen viele Stiftungen gar nicht erst einen Beitrag. Da müssen wir uns neue Herangehensweisen überlegen.» Und ob die einzelnen Kantone einspringen, sei ebenfalls fraglich, sagt Oliveras. «Tanzplan funktioniert auf Bewerbung. Wir können also nicht vorhersagen, aus welchen Kantonen die von uns geförderten Tanzschaffenden jeweils kommen.»
Downsizing ist also das Gebot der Stunde. Oliveras und das Team arbeiten bereits an einem neuen Konzept – schon wieder, denn erst 2021 haben sie in einem grossen Aufwisch das damals zehnjährige Tanzplan-Konzept erneuert und stärker auf Inhalt und Kreation ausgelegt. Jetzt, nach nur zwei bzw. drei Zyklen, müssen sie es bereits wieder revidieren.
17., 18. und 19. Oktober Tanzhaus Zürich, 24. Oktober Phönix Theater Steckborn und 3. November Bachturnhalle Schaffhausen
Infos und Tickets: tanzplan-ost.ch
Keine Tour, dafür Recherche
Aufgrund der reduzierten Fördergelder wird Tanzplan Ost ab 2027 kein «Associated Artist Programme» samt Tour mehr anbieten können. Die neue Projektskizze sieht stattdessen ein mehrwöchiges Recherche- und Residenzprogramm für ausgewählte Tanzschaffende aus der Region vor. «Wir wollen gezielt bei der Recherche anzusetzen», erklärt Oliveras. «Dieser Teil des künstlerischen Prozesses ist meist unbezahlt, jedoch unumgänglich, um eine qualitative Tanzproduktion zu ermöglichen. Das Residenzprogramm kann diese Lücke füllen.»
Weiterhin angeboten werden soll das TPO ChoreoLab. Und neu sogar jedes Jahr. Dieses Workshopformat ist ein wichtiges Austausch- und Vernetzungsinstrument für die regionale Szene. 20 Tänzer:innen und Choreograf:innen arbeiten und experimentieren eine Woche lang gemeinsam an einem Ort. Die entstandenen choreografischen Skizzen werden am Ende der Woche einem lokalen Publikum gezeigt. «Für den Zusammenhalt der Szene ist diese Woche essenziell», sagt Oliveras. «Aus diesem Boden wachsen immer wieder neue Kooperationen und Projekte – und nicht zuletzt Freundschaften.»