, 15. Februar 2018
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Theater-Groteske in fünf Akten

Die St.Galler SVP ist für einen Theaterneubau. Einen schönen, guten, teuren. So sprach Kantonsrat Toni Thoma am Podium im St.Galler Palace. Man hörte es nicht zum ersten Mal, aber noch nie so lautstark. Und fühlte sich statt im Theater im Kino: «Denn sie wissen nicht was sie tun».

Das (laut SVP) Abbruchobjekt im Stadtpark. (Bilder: Hannes Thalmann)

Wer rechtsbürgerliche Politik nach St.Galler Art erleben will, für den bietet die Abstimmung über die Sanierung des Theaters St.Gallen das beste Anschauungsmaterial.

Am vom «Tagblatt» organisierten Podium im Palace am Mittwochabend waren dessen Lieferanten SVP-Kantonsrat Toni Thoma, Andwil («Ich liebe Kultur») und der Jungfreisinnige Remo Senekowitsch («Kultur ist Privatsache»). Ihr gemeinsames Motto: Was interessieren mich die Folgen meiner Politik?

Die Pro-Seite vertraten Regierungsrat Marc Mächler und Katrin Meier, Leiterin des Amts für Kultur. Im Publikum: hörbar eine Mehrheit für ein Ja und wiederholter Szenenapplaus für den Bauchef.

Hier die Groteske im Zeitraffer und in fünf Akten, wie es sich für einen Klassiker gehört.

1. Akt: Ein Gespenst namens «Das Land»

Das «Tagblatt» hat es in der Mittwochausgabe aufgelistet: Die überwältigende Mehrheit der Theaterbesucherinnen und -besucher kommt aus der Achse Wil-St.Gallen-Rorschach und den angrenzenden Kantonen Thurgau und Appenzell Ausserrhoden. Das Toggenburg (mit 3,6 Prozent), das Sarganserland (1,5 Prozent) und Werdenberg (1 Prozent) sind dagegen schwach vertreten. Den Stadt-Land-Graben (so Co-Moderator Andri Rostetter) beschworen die Nein-Sager auch an diesem Abend.

Mächler erinnerte dagegen an die hunderten von Infrastruktur-Millionen, die aktuell in den südlichen Kantonsteil fliessen: 56 Millionen für die neue Taminabrücke in Pfäfers, 85 Millionen für das Spital Wattwil, 123 Millionen für die Umfahrung Wattwil, 203 Millionen für die Umfahrung Bütschwil. Katrin Meier hob die Gelder an «ländliche» Kulturhäuser von Mels bis Rapperswil-Jona hervor, Mächler beschwor unter Applaus die Solidarität im schwierigen Ringkanton, «sonst investieren wir bald gar nichts mehr».

Senekowitsch wollte «aus liberaler Sicht» davon jedoch nichts wissen, denn «eine Brücke ist eine Brücke und ein Theater ist ein Theater». Da war man schon mitten im zweiten Akt.

2. Akt: Der Bruch mit der Verfassung

Für den libertären Hardliner aus dem Jungfreisinn ist klar: Kultur ist Freizeit. Entertainment. Luxus. Und also Privatsache. Während Ausgaben für die Sicherheit, für Strassen und sonstige Infrastruktur «den Kanton weiterbringen». In dieser Logik ist jeder Franken «sauer verdient» und wird dem Bürger «gestohlen», wenn er in die Kultur fliesst. O-Ton Senekowitsch: «Soweit kommt es noch, dass wir anfangen, Kultur mit Sicherheit zu vergleichen.»

Dass Kultur ebenso wie Sicherheit, Bildung oder Strassenbau eine Staatsaufgabe ist, steht aber in der Kantonsverfassung. Katrin Meier bemühte sich um Staatskunde für den Jungpolitiker, und Regierungsrat Mächler gab, sekundiert von «Tagblatt»-Chefredaktor Stefan Schmid, ordnungspolitisch den Tarif durch: Wer Kultur privatisieren wolle, müsse dies per Verfassungsinitiative tun und nicht bei einem Baukredit. Dass die künftigen FDPler unverfroren verfassungswidrig politisieren, müsste der Mutterpartei zumindest zu denken geben.

3. Akt: Sags mit (falschen) Zahlen

Der Selbstfinanzierungsgrad des Theaters St.Gallen betrage bloss 21 statt 30 Prozent, behauptet die SVP und repetierte Toni Thoma auf dem Podium. Das stimmt nicht, wie Katrin Meier belegte – die 30 Prozent sind ausgewiesen und schweizweit Spitze, dazu gibt es im heutigen «Tagblatt» eine Übersicht. Zudem, fügte sie an, koste das Theater die kantonalen Steuerzahler jährlich nur 8,6 Millionen Franken; der Rest des gesamten Betriebskredits von 19 Millionen stammt aus dem Lotteriefonds und von den umliegenden Kantonen. Wer bei der Kultur (weniger als 1 Prozent des Staatshaushalts) spare, würde auch deshalb kaum etwas im Portemonnaie merken.

Die Theatersanierung komme jetzt um ein Mehrfaches teurer als jene 9 bis 14 Millionen, von denen bei der Übernahme des Baus durch den Kanton 2009 die Rede war, kritisierte Thoma weiter. Damals sei zu optimistisch gerechnet worden, räumte Mächler ein und begründete den Anstieg mit den baulichen Erweiterungen, dem Provisorium und nicht realisierten Unterhaltsarbeiten in den letzten acht Jahren. Thoma sind die knapp 50 Millionen allerdings nicht zu viel, sondern zu wenig. So kam es zu Akt 4, dem Höhepunkt.

4. Akt: Die SVP hat Visionen

Wie schlimm es um die «abbruchreife Betonkiste» namens Theater steht, machte Thoma dem Publikum plastisch: kaputte Rohre, kein Tageslicht, dürftige Kammern zum Einspielen, kurzum: ein Bau in einem «desolaten» Zustand. Darum sein Appell: abbrechen, neu bauen, Geld in die Hand nehmen für eine richtig gute, den heutigen Anforderungen genügende Lösung. Dafür gelte es, die Wirtschaft mit ins Boot zu holen, das Theater mit Kongresszentrum oder Olma zu kombinieren (ähnlich wie in Winterthur gerade abgelehnt) und so die Millionen hereinzuholen. Die Regierung habe dagegen auf das bloss Machbare gesetzt und keine Alternative präsentiert.

Allerdings: Das Theatergebäude sei geschützt und könnte gar nicht abgebrochen werden. Und die Alternative, die keine ist, habe er im Kantonsrat beziffert, konterte Mächler: mit 130 bis 150 Millionen Franken. Visionär Thoma zeigte sich davon unbeeindruckt: Eventuell ginge es auch billiger. Für einen überzeugenden Neubau würde er jedenfalls Seite an Seite mit der Regierung durch die Lande ziehen. Thomas Wählerinnen und Wähler werden die Haare zu Berg stehen, wenn sie das hören.

5. Akt: Wer spricht für wen?

Thoma war auf einer Führung durch die Werkstätten, er sah die Mängel und war entsetzt und kam zur Überzeugung: Das Gebäude ist ungeeignet für Theater, das Arbeiten hier muss die Hölle sein. Drum sei eine Sanierung «bloss teures Flickwerk» und ein Neubau die zukunftsträchtige Lösung.

Die Replik kam von Schauspieler Marcus Schäfer aus dem Publikum: Bevor sich einer zum Sprecher für das Personal mache, sollte er dieses selber fragen. Dann würde er erfahren: Die meisten wollen keinen Neubau, sondern wünschen die nötigen Verbesserungen in diesem Haus. Im übrigen, so Schäfer, «können wir eigentlich ganz gut für uns selber sprechen».

Und die Moral von der Geschicht?

Erstens: Nicht ein Ja, sondern ein Nein hätte laut Mächler ein Jahre langes Flickwerk zur Folge mit am Ende höheren Kosten. Zweitens: Ohne Kultursubventionen würde, so eine Stimme aus dem Publikum, genau das entstehen, was die Gegner kritisieren, nämlich die definitive Elite-Kultur der paar Besserverdienenden, die sich Kultur dann noch leisten können. Und drittens: Toni Thoma muss um seine Wiederwahl fürchten.

Oder wars gar nicht ernst gemeint? Die Millionärspartei wird nächsten Dienstag im Kantonsrat für eine Steuerfuss-Senkung plädieren. Kommt sie durch, droht dem Kanton ein weiteres, diesmal 130 Millionen schweres Sparpaket, wie die Regierung präventiv gewarnt hat. Schwer vorstellbar, dass die Partei dann wie ein Mann für einen genauso teuren 130-Millionen-Theaterneubau auf die Strasse geht.

Dürrenmatt hätte gesagt: «Uns kommt nur noch die Komödie bei.»

Bügeln in der Werkstatt: Die Sanierung soll mehr Platz und würdige Arbeitsbedingungen schaffen.

2 Kommentare zu Theater-Groteske in fünf Akten

  • Susanne Hoare sagt:

    … und dass die ganze Inszenierung von der früheren kantonalen Topkader, Generalsekretärin Esther Friedli gecoacht wird, die immer unangreifbar seriös kommunizierend, verwaltungs- und aktenkundiger als ihr damaliger Chef RR Kölliker beeindruckte, bleibt für mich ein ewiges Rätsel. Ein wahres Naturtalent für unsere Zeit der falschen Neuigkeiten.

  • Mariel Stadler-Seitz sagt:

    Es wäre schön und wichtig, diese Theater-Groteske inklusiv Kommentar von Frau Hoare in grossen Tageszeitungen zu lesen.

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