, 19. Juni 2019
8 Kommentare

This Town is coming like a Bünzli Town

In St.Gallen geht es wahnsinnig gesittet zu und her. Auswärtige sind immer ganz baff, wenn sie das hiesige Naherholungsgebiet Drei Weieren besuchen.

Rettet Drei Weieren!

Die Drei Weieren sind ungemein einladend zurzeit. Es geht auf die Sommerferien zu, die Nachmittage sind heiss, die Abende lau, der Kiosk verkauft Zimtfladen, der Bäderbus fugt wieder fleissig Kind und Kegel auf den Hügel – und der Quartierverein begrüsst die fröhlichen Bädeler und Chillerinnen mit dem gewohnten Mahnfinger, unterstützt von der Stiftung Suchthilfe:

«3weieren. gemeinsam erleben – geniessen – erhalten. ohne komatrinken und cannabis. ohne littering. ohne lärm. mit respekt für mensch und umwelt.»

So lauten die plakatierten Spielregeln rund um Drei Weieren, extra in Kleinschrift gesetzt, damit die adoleszente, grammatikalisch flexible Zielgruppe nicht vergisst, dass es um sie geht und nicht etwa um schreiende Kleinkinder oder rasenmähende Anwohner. (Stilistische Anmerkung am Rande: Es heisst Komasaufen.) – Ach, du charmante Hügelstadt!

Bild: zvg

Auswärtige sind immer ganz baff, wenn sie das hiesige Naherholungsgebiet besuchen: Die Einheimischen grüssen sich wahnsinnig respektvoll. Ständig. Alle. Auch die Bäume und Enten. Aber nur im Flüsterton. Der Lärmpegel auf Drei Weieren ist nämlich rund um die Uhr gleich null, nicht erst ab 22 Uhr. Man hört es nicht einmal, wenn jemand eine Glasflasche im Kübel entsorgt, was die St.Gallerinnen und St.Galler nonstop tun. Allgemein ist dieses Völklein sehr reinlich – ausser die Sauerei ist von oben genehmigt, an den drei O’s Olma, Offa und Openair und am Gassenfest.

Die Touristinnen und Gäste von anderswo sind dann jeweils ganz beruhigt, wenn sie merken, dass die Leute in St.Gallen doch nicht ganz so überkorrekt sind. Sie trinken nämlich auch recht gern. Aber höchstens vier Schüga oder zwei Dezi Bernecker, weil sie sonst ins Koma fallen könnten. Nur gekifft wird hier nicht, auch nicht am legalen CBD-Gras genuckelt, wegen der Geruchsemissionen. Dafür werden allerlei Spasspülverchen und sonstige illegalisierte Substanzen kredenzt, darum steht davon auch nichts auf dem Plakat.

Ja, so ist St.Gallen: vornedüre reinlich, gesittet und über alle Massen dem Respekt verpflichtet – und wenn niemand hinschaut, wird im Gegenzug ausgerufen, abgerissen, rumgeprollt.

Wir hätten da noch einige Inputs für das nächste Quartierplakat: «3weieren. gemeinsam geniessen. ohne laubbläser. ohne bullen und bünzlis. ohne unnötige vorschriften. mit vertrauen und respekt für die jugend.»

 

Dazu passt Ghost Town von den Specials (auch in der Interpretation von Göldin und Bit-Tuner hörenswert!):

8 Kommentare zu This Town is coming like a Bünzli Town

  • Marcel Baur sagt:

    Ich traue mich ja nichtmal mit meinem Hund an der Leine beim Milchhüsli einen Kaffee zu trinken, weil da eine Hundeverbotstafel steht

  • Andrea Martina Graf sagt:

    Wer sich nach Ruhe sehnt, wird oft als Bünzli abgestempelt. Sogar in der nördlichen Altstadt ist’s kaum mehr möglich, Nachtruhe zu geniessen (als Bewohner der Altstadt hat man auch Anrecht auf Nachtruhe). Der heilige Kommerz (Partys + Co.) hat heutzutage überall Vorrang.

  • Andreas Niedermann sagt:

    Just be happy about it! Believe me…

  • Peter Baumann sagt:

    Die Fortschritts-Formel: Ruhe + Anstand + Rücksicht = Bünzli

  • gabi sagt:

    Diese Plakate wären nicht nötig, wenn sich alle, die sich gerne in den Weieren aufhalten, an ein paar wenige Regeln halten würden. Dass von der Autorin Respekt für die Jugend gefordert wird und im gleichen Atemzug der Respekt vor dem Ort, den Anwohnern, der Natur und all den Ruhe suchenden Menschen, der mit den Plakaten angemahnt wird, als Bünzlitum runtergemacht wird, ist sehr sehr dumm. Ich bin im Winter an einem frühen Sonntagmorgen beim Mannenweier gewesen und habe dort eine Abfallorgie angetroffen, die mich wütend zurückliess. Die vielen Flaschen, Becher, Essensabfälle, Plastikmüll und eine kaputte Holzplanke liessen darauf schliessen, dass die Vandalen vor gar nichts und niemandem Respekt haben. Dass es sich dabei um eher junge Menschen gehandelt haben muss, lag auf der Hand. Schade, dass das Saiten immer wieder solche saudoofen Texte publiziert.

  • Sabine Stockhorst sagt:

    Auch ich habe gerne Ruhe, aber über diesen witzigen Artikel musste ich sehr laut lachen. Dies natürlich vor 22 Uhr und bei mir zuhause. St.Gallen kann es einfach, da gibt es nix zu meckern.

  • Thomas Oegerli sagt:

    Und endlich mit Parkplatzsuchverbot an Bitzi- und Gessnerstrasse für alle, die nicht da oben wohnen, Behinderte ausgenommen.

  • Hans Fässler sagt:

    Dem Bünzlitum wohnt eine eigentümliche Dialektik inne. Natürlich hat die Reinlichkeit der Weieren in Appell und Realität etwas Bünzlihaftes. Aber viele derjenigen, die mit Lärm und Saufen nach aussen treten, sind eigentlich selbst die grössten Bünzlis. So wie ja auch diejenigen, die in den 90er- und 00-er-Jahren mit Blick auf Zürich und Berlin die kulturelle Langeweile der Provinzstadt St.Gallens beklagten, letztlich unglaublich provinziell waren…

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