, 29. Juni 2017
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«Unsere ärgsten Konkurrenten sind Facebook und Google»

Das «St.Galler Tagblatt» reagiert auf den Inseraterückgang und baut sich zur Zweibundzeitung um. Nächsten Dienstag ist es soweit. Chefredaktor Stefan Schmid erklärt, was die Gründe und die Folgen sind.

Stefan Schmid, ab Dienstag 4. Juli erscheint das «St.Galler Tagblatt» erstmals als Zweibundzeitung in Kooperation mit der Luzerner Zeitung. Einen halben Monat vorher, am 14. Juni hat die Redaktion des «Tagblatts» gegen jene der «Luzerner Zeitung» getschuttet. Wie ging das Freundschaftsspiel aus?

Stefan Schmid: St.Gallen hat 3:1 gewonnen. Es war ein ganz flottes Spiel, kollegial und trotzdem intensiv, beide wollten gewinnen, und am Ende standen wir auf der glücklicheren Seite.

Gilt das auch für das publizistische Duell der beiden Zeitungen?

Früher war das Gefühl des Gegeneinander stärker, die Angst in Luzern wie in St.Gallen, es könnten mit einem gemeinsamen Mantel Kompetenzen oder Arbeitsplätze wegfallen. Dieses Denken hat sich aber sehr stark verflüchtigt und ist dem Bewusstsein gewichen, dass wir im gleichen Boot sitzen, dass wir nur gemeinsam eine Überlebenschance haben – man muss das so sagen. Und dass wir Regionalmedien gemeinsame Interessen innerhalb der NZZ-Mediengruppe haben.

Früher waren auch die Blätter sehr unterschiedlich. Die «Luzerner Zeitung» war boulevard-näher, das «Tagblatt» war schöner und seriöser. Jetzt ist das Layout identisch, Luzern hat sich komplett angepasst. Gibt es die beiden Kulturen nicht mehr?

Dank dem gemeinsamen Layout sehen die Zeitungen seit letztem Herbst zwar nicht gleich, aber ähnlich aus. Die Idee dahinter war, Texte eins zu eins austauschen zu können und damit in der Herstellung einen Effizienzgewinn zu erzielen. Bereits heute teilen wir die Ressorts auf. Die Thema-Seiten 2 und 3, die ja unser Filetstück sind, werden abwechselnd je einen Monat lang in Luzern und in St.Gallen produziert, aber inhaltlich gemeinsam diskutiert. Das Inland wird immer in St.Gallen, das Ausland immer in Luzern produziert, die Wirtschaft an beiden Standorten, der Focus hier in St.Gallen, und der Sport getrennt – dort sind die Interessen zu verschieden. Bei der Sonntagszeitung entsteht der überregionale Mantel in Luzern, der Leben-Bund in St.Gallen. Wir haben die Aufgaben brüderlich und schwesterlich aufgeteilt und auf Opfersymmetrie geschaut.

«Tagblatt» (links) und «Luzerner Zeitung» (rechts): Seite 3 der Ausgabe vom 21. Juni.

Entstanden ist ein schweizweit einzigartiges Modell unter Mitsprache beider Standorte – was in der täglichen Kleinarbeit manchmal mühsam sein kann; aber inzwischen haben wir uns gefunden und kennen uns.

Das ist der heutige Stand – was ändert sich jetzt mit der Zweibundzeitung?

Die Zweibundzeitung ändert am redaktionellen Angebot in der Summe vorläufig nichts. Es ist in erster Linie eine drucktechnische Angelegenheit. Hintergrund ist natürlich der schwindende Inserateumfang. Unsere Bunde werden in der Tendenz dünner, das ist das eine – und das andere: Wenn wir nur noch zwei Bunde drucken, werden in Winkeln Druckkapazitäten für Dritte frei. Unter dem Strich können wir so Einsparungen erzielen und Mehreinnahmen generieren.

Stadtredaktion zieht um

Der Umbau hat Folgen auch für die «Tagblatt»-Stadtredaktion: Sie muss ihren bisherigen Standort am Oberen Graben verlassen und zieht nächsten Sommer ins «Tagblatt»-Hauptquartier an der Fürstenlandstrasse. Chefredaktor Stefan Schmid begründet den Entscheid auf Anfrage zum einen finanziell: Er spare «lieber beim Beton als beim Personal». Zum andern soll die ressort- und medienübergreifende Zusammenarbeit («Konvergenz») verstärkt werden, zwischen den Zeitungsressorts, aber auch zwischen Print und Online sowie TV und Radio. Und dabei spiele die stärkste Lokalredaktion des Medienhauses eine wichtige Rolle. Die Zukunft des Hauses am Oberen Graben wo vor bald einmal 20 Jahren, im November 1997 die «Ostschweiz» untergegangen ist sei offen. (Su.)

Inhaltlich bleibt alles beim Alten, auch auf den Kulturseiten?

Die Zweibundzeitung schafft Vereinfachungen. Der erste Bund ist mehrheitlich überregional, der zweite Bund lokal und regional, die beiden Bunde sind gleich dick. Der Sport ist künftig Backpage im zweiten Bund. Der Focus wird im ersten Bund sein, aber aufgeteilt in zwei überregionale Seiten, die wir gemeinsam bestreiten, und eine Ostschweizer Kulturseite. Unsere Luzerner Kollegen hatten bisher kein Focus-Ressort, sondern betrieben eher klassische, regionale Kulturberichterstattung. Der St.Galler Focus ist bekannt: ein Gemischtwarenladen, der dafür immer wieder Überraschungen bringt und Themenschwerpunkte setzen kann. Künftig müssen wir stärker fragen: Was interessiert beide? Nationale und internationale Kulturereignisse vom Nobelpreis bis zum Filmfestival Locarno, aber auch Kulturphänomene und Debatten, wie sie das klassische Feuilleton kennt, sollen genug Platz bekommen.

Bisher gab es manchmal zwei bis drei Seiten mit regionalen Kulturstoffen – Themen, die die Luzerner Leserschaft kaum interessieren. Kommt die Ostschweizer Kultur künftig nicht zu kurz?

Es gibt Überlegungen, die Seite Ostschweiz-Kultur neu auszurichten. Eine Abschaffung steht nicht zur Debatte. Klar ist: Wir wollen auch künftig einen starken Kulturteil. Luzern und St.Gallen legen ihre Kräfte zusammen, daraus entsteht ein grosses Team, das auch spezielle Leistungen erbringen kann. Wir erhoffen uns im überregionalen Bereich eine Stärkung – auch wenn die Ostschweiz unser Hauptfokus ist und bleibt.

Stefan Schmid, 1978, ist seit einem Jahr Chefredaktor des «St.Galler Tagblatts». In Wittenbach aufgewachsen, war Schmid bereits 2005 bis 2011 als Inlandredaktor und Blattmacher in St.Gallen tätig. Danach war er Inlandchef bei den AZ Medien.

Wie für die Kultur gilt auch für die Wirtschaft: Das Regionale ist entscheidend. Gibt es dort eine ähnliche Lösung?

Die Wirtschaft bauen wir aus, genau genommen ist das schon jetzt passiert. Das hat seinen Grund darin, dass die Luzerner eine starke Wirtschaftsredaktion und ein Flair für konsumentennahe Themen haben. Wir müssen auch hier Themen suchen, die Breitenwirkung haben. Wir sind eine Zeitung für alle, kein Spartenmedium. Oft spielt der lokale Aspekt auch nicht die entscheidende Rolle. Unter den Krankenkassenprämien leiden die Urner genauso wie die Ausserrhoder. Oder: Roaming interessiert in Stans genauso wie in Arbon.

Im 2. Bund kommen Lokal- und Ostschweizteil zusammen. Passt das alles rein? Oder wird im Lokalen abgebaut?

Wir haben uns entschieden, den 2. Bund mit dem Lokalen anzufangen, nicht mit der Ostschweiz. Denn der Hauptgrund, warum sie das «Tagblatt» oder eine seiner Regionalausgaben abonniert haben, ist für die meisten Leserinnen und Leser die eigene Gemeinde: Dort, wo man wohnt, ist man maximal interessiert. Die Ostschweiz bekommt eine eigene Aufschlagseite in der Mitte. Allerdings: Der Inserateverkauf geht weiter zurück, das bereitet mir und uns allen Bauchweh. Setzt sich diese Entwicklung fort, werden wir mittelfristig nicht darum herumkommen, uns auch im Lokalen noch stärker zu fokussieren und den Mut zu haben, Nachrichten wegzulassen, vermehrt Eigenrecherchen statt Agendajournalismus zu treiben. Das ist aber keine Folge der Zweibundzeitung. Es ist ein genereller Trend, von dem niemand weiss, wohin er noch führen wird. Da müssen wir ehrlich sein.

Die Rückgänge sind offenbar nicht zu stoppen.

Die Inseraterträge liegen branchenweit dieses Jahr rund zehn Prozent unter den budgetierten Einnahmen. Das «Tagblatt» steht zwar besser da als die Konkurrenz. Doch das ist ein schwacher Trost, wenn es abwärts geht. Fakt ist: Das ist nicht einfach ein Rückgang, sondern ein eigentlicher Einbruch. Niemand weiss so recht, wie sich diese Einnahmenverluste auffangen lassen. (…)

Mit den jungen Leserinnen und Lesern bricht eine ganze Generation von Nicht-Abonnenten weg. Diese Generation ist mit Gratismedien aufgewachsen und kaum geneigt, für Inhalte zu zahlen.

Tatsächlich sind unsere wahren Konkurrenten nicht Tamedia oder die «Republik» oder Saiten, sondern Facebook und Google. Sie graben uns die Werbung ab. Und wenn sie auch noch beginnen, eigene Inhalte zu produzieren, wird es kritisch. Denn Facebook weiss genau, wer du bist, wohin du in die Ferien gehst etc. – das eröffnet Perspektiven für personalisierte Inhalte, die brutal sein könnten. Die Ära, als man mit einer Zeitung automatisch Millionen verdient hat, sind längst vorbei. Wir müssen uns Gedanken um ein Geschäftsmodell für die Zukunft machen. Die Zeit dafür wird knapp, aber wir dürfen die Zuversicht nicht verlieren, auch mit sinkenden Mitteln guten Journalismus zu machen, der den eigenen und den gesellschaftlichen Ansprüchen gerecht wird.

Das vollständige Interview sowie ein Kommentar von Hanspeter Spörri zu den Neuerungen beim «St.Galler Tagblatt»: in der Juli-August-Ausgabe von Saiten.

2 Kommentare zu «Unsere ärgsten Konkurrenten sind Facebook und Google»

  • Ivan Zamorano sagt:

    Etzt denn also nur no mit zwei Bünd,
    fürs Abo gits etzt aso würkli gar kei Gründ!

    Er nennt sich Redaktor Stefan Schmid,
    und isch de Chopf vo de Tote-Zitiige-Rubrik!

  • D. Anderegg sagt:

    Schmids Antworten sind teils widersprüchlich oder er beantwortet die Frage schlicht nicht. Die ökonomische Rationalität überstrahlt die journalistische leider. Aber wenn man sich erst jetzt bewusst wird, dass die Werbung zu FB und G abwandert: wo haben die Strategen in den letzten 3 Jahren gehockt..?

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