, 22. Dezember 2021
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Verdunkelung

Als die aufrechte Schweiz eine Volksinitiative «Recht auf Licht» gegen die drohende Bundesrats-Diktatur lancierte und für die Unversehrtheit des Augenlichts kämpfte: lange her! Eine Satire. von Hans Fässler

Die «Freunde des Lichts» am 1. März 2021 an einer Kundgebung in Buchs. (Bild: co)

Es ist lange her, da erliess der Schweizer Bundesrat im November eine Verdunkelungspflicht, um zu verhindern, dass durch Luftkämpfe zwischen den Alliierten und den Achsenmächten der schweizerische Luftraum verletzt und Menschen durch irrtümlich abgeworfene Bomben zu Schaden kommen würden.

Dagegen formierte sich innert Kürze breiter und lauter Widerstand. Dass da draussen ein Weltkrieg im Gange sei, sei zunächst mal nur eine Behauptung, und es gebe auch namhafte Militärs und Strategie-Experten, die das ganz anders sähen. Eine schnell wachsende Bürgerbewegung namens «Freunde des Lichts» behauptete, die Anordnung der Landesregierung sei verfassungswidrig, und die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) verlangte in einer Debatte im Nationalrat, das Ende dieses «sogenannten Zweiten Weltkriegs» in ein Gesetz hineinzuschreiben.

In Leserbriefen in den «Schaffhauser Nachrichten» («Das Intelligenzblatt – seit 1861») tauchte nun immer häufiger die These auf, Bundesrat und Armeeleitung würden eine Diktatur anstreben und würden die ihnen erteilten Vollmachten, wenn sie sie dann erst einmal hätten, nie mehr abgeben. Eine Feuerthaler Gruppe aus Müttern und Lehrern klagte, ohne Licht werde die gesunde Entwicklung von Kindern schwer beeinträchtigt, und in Flugblättern, die in der Stadthausgasse verteilt wurden, hiess es: «Jeder soll eigenverantwortlich und frei entscheiden dürfen, ob er verdunkeln will oder nicht. Wir haben nichts dagegen, wenn andere die Läden herunterlassen, aber dazu zwingen lassen wir uns nicht.»

Es wurden auf dem Münsterplatz Unterschriften gesammelt für eine kantonale Volksinitiative «Recht auf Licht», welche einen Absatz in die Kantonsverfassung einfügen wollte, der allen Schaffhausern die körperliche Unversehrtheit des Augenlichts garantieren sollte. An einer Podiumsdiskussion im Kronenhofsaal zeigte sich ein Schaffhauser Hausbesitzer überzeugt, dass sein Haus genügend statische Abwehrkraft besitzen würde, um einer solchen – wie er es nannte – «Spielzeug-Fliegerbombe» zu widerstehen.

An einer Kundgebung auf dem Herrenacker unter dem Motto «Mehr Licht» behauptete ein Redner, hinter der ganzen Verdunkelungskampagne stünden nur die Sägereien und Textilfabriken, die sich durch den Verkauf von Brettern bzw. Vorhängen zum Verdunkeln von Fenstern ohne Läden eine goldene Nase verdienen würden. Ein Vertreter der Bewegung «Lichtvoll» rief in die Menge, die mit Kerzen und Laternen gekommen war, er würde sein Haus auch dann nicht verdunkeln, wenn es Tausende von Bombentoten geben würde.

Als ein Anwohner des Fronwagplatzes gebüsst wurde, weil er sich nicht an die Verdunkelungspflicht gehalten hatte, beschaffte ihm das «Aktionsbündnis Offene Herzen – Offene Läden» einen Anwalt, sammelte Geld für diesen «Widerstandskämpfer» und beklagte eine Kultur der «Denunziation», die mit ihren «Blockwarten» an die Verhältnisse jenseits des Rheins erinnere.

In einem Interview mit den «Schaffhauser Nachrichten» erklärte eine Anwohnerin der Krummgasse, sie sei nicht grundsätzlich gegen die Verdunkelung. Es gehe ihr einfach alles zu schnell, und sie brauche noch mehr Zeit und Informationen, um sich zu entscheiden, ob sie verdunkeln wolle. Auch überlege sie sich, ob man angesichts dieses Weltkriegs nicht besser die Friedenserziehung bei den Kindern der ganzen Welt fördern sollte, statt mit so einschneidenden und brutalen Massnahmen wie Verdunkelung zu reagieren.

Aus dem militärischen Oberbefehlshaber der Schweiz machte ein Kabarettist den «General Bison», weil er so «auf den Gefühlen der Menschen herumtrample», ein anderer Spassmacher nannte ihn den «mit dem steifen Gesslerhut». Regelmässig zogen vom Bahnhof her sogenannte «Freiheitsfackler» durch Oberstadt und Vordergasse zum Munot. Viele von ihnen waren aus der Innerschweiz angereist und sagten, sie verteidigten mit diesem alten Brauch das ureidgenössische Recht auf Licht und auch das christlich-römische Lichtfest «dies solis invicti nati».

Als dann Schaffhausen bombardiert wurde, beklagten sich die Verdunkelungskritiker, dass Radio Beromünster mit all den Berichten über Tote und Verletzte und die Zeitungen mit ihren Fotos von den angeblich «schweren Schäden am Münsterplatz» nur Angst schüren wollten und dass überhaupt alle Medien mit dem Bundesrat und der Armeeleitung unter einer Decke stecken würden.

Dass Dutzende von Städten und Dörfern entlang der Landesgrenze nicht bombardiert worden seien, hiess es in einer Verlautbarung einer Gruppierung, die sich «Die Hellen» nannte, sei wegen der herrschenden Pressezensur natürlich wieder kein Thema. Die Zahlen von 40 Toten und 100 Verletzten seien frei erfunden, und wenn die Spitäler der Umgebung an ihre Grenzen gekommen seien, so seien sie selber schuld, denn sie hätten ja ihre Kapazitäten vorher ausbauen können. Schliesslich habe man ja gewusst, dass so ein Weltkrieg auch gefährlich werden könne.

Das ist, wie gesagt, alles lange her.

Hans Fässler ist Historiker, Kabarettist und Autor in St.Gallen.

11 Kommentare zu Verdunkelung

  • Das ist ein ganz wundervoller Gastbeitrag. Ich musste laut lachen, auch wenn`s kaum zum Lachen ist. Herzlichen Dank!

  • Sehr, sehr gut. Gibt schon lange zu denken…

  • Kallenberger Werner sagt:

    Gratuliere! Ja, leider lernen Viele nichts aus der Geschichte – oder verdrängen einfach Wahrheiten. Aber die ‚Erleuchteten‘ wissen ja immer, was ‚richtig‘ ist … doch die im Schatten sieht man nicht!

  • Brillant! Man muss trotz eines schlechten Gewissens lachen, bis es doch im Halse stecken bleibt.

  • Hans G. sagt:

    Etwas schwierig, die auch aufgrund des Druckes von Nazideutschland verfügte Verdunkelung mit den behördlich angeordneten Massnahmen gegen die Überlastung des Gesundheitswesens durch Covid gleichzusetzen. Eine weitere Verharmlosung der Gräuel während des WWII? Irgendwie von der Argumentation her auf der schrägen Schiene jener Leuten, die sich gelbe Sterne anstecken, wenn sie andere nicht mehr beliebig anstecken dürfen …

  • Rosmarie und André Brugger Mühlbacher sagt:

    Diesen Vergleich finden wir völlig daneben! Auch als Witz nicht geeignet…
    Rosmarie M.
    André B.

  • Adrian Keller sagt:

    Danke für diese interessante Satire.
    Mir fehlen darin die erhellenden Erkenntnisse für die menschheitsgeschichtlich sehr bedeutungsvolle, aktuelle Zeit.
    Die Verdunklungsthematik des zweiten Weltkrieges, die Foto und der hintergründige Bezug zur heutige Pandemie, ist für mich eine fragwürdige Vermischung.
    Meines Erachtens sind nicht nur die Tatsachen zu sehen, sondern durch sie hindurch neue Wirklichkeiten zu suchen und zu benennen.Ich will mich nicht mit Fakten allein zufrieden geben.
    Wertvolle Anregungen habe ich von Hans Fässler trotzdem bekommen. Danke!

  • Steff Signer sagt:

    Das ist wiedermal eine „echter Fässler“, den ich so schätze und sie tut mir gut, diese Geschichte und sie gefällt mir.

  • Mir war beim Schreiben meiner Satire die Problematik des Vergleichs durchaus bewusst. Die weltweite Corona-Pandemie ist kein Weltkrieg. Aber ich fand, es gebe keine bessere Parallele, um aufzuzeigen und zuzuspitzen, dass grosse Teile von zwei ganzen Schweizer Generationen, die ihrer Lebtag keinen gesellschaftlichen Ernstfall mehr erlebt haben und mit neoliberalen Melodien dauerbeschallt worden sind, dazu kommen, Solidarität durch «Eigenverantwortung» ersetzen zu wollen. Dass es auch nachvollziehbare kritische Einwände gegen gewisse Corona-Massnahmen gibt, gebe ich gerne zu. Ich meine aber, ich hätte in meinem Text die nicht nachvollziehbaren und die dummen parodiert. Dass ich damit auch mir sonst politisch nahestehende Menschen herausfordere – dieses Risiko bin ich eingegangen.

  • Evtichios Vamvas sagt:

    Ist doch ganz einfach: hat man keine bessere Idee, sollte man es bleiben lassen.

  • Hans Fässler sagt:

    Das kann man so sehen, Herr Vamvas. Man kann aber auch sagen: Angesichts des «wachsenden Potentials eines ganz neuen, in libertären Formen auftretenden Extremismus der Mitte» (Habermas) ist besser etwas zu tun als zu schweigen. Gewissermassen nach Jack Nicholson in «One Flew Over the Cuckoos‘ Nest» sagen zu können: «At least I tried!» Was haben Sie denn versucht in dieser Situation?

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