, 29. Dezember 2014
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Videotheken-Sterben: Der «Last Man Standing» kämpft am Rosenberg

Dieses Jahr haben mehrere Videotheken aufgegeben und mit Netflix und Co. steigt der Druck auf die Verleiher weiter. St.Gallens letzter DVD-Verleiher erklärt, wie er sich in seiner Nische hält.

Seit zehn Jahren steht Vakur Yelküren (43) hinter der Theke seiner Videothek Rosenberg hinter dem Bahnhof St.Gallen. Yelküren hat in dieser Zeit den schleichenden Abstieg der DVD miterlebt. «Bis 2007 war es eine super Zeit», sagt er. Dann wurden die Internetleitungen schneller und schneller. Immer mehr Leute schauen Filme über legale oder illegale Streamingdienste – und kommen nicht mehr in die Videothek. Das hat Folgen: Zwei Videotheken haben dieses Jahr in der Stadt St.Gallen dicht gemacht: Die Laserlounge im Lachen-Quartier und die DVD-Factory in St.Fiden.

Nun ist Yelküren also der «Last Man Standing» der St.Galler DVD-Verleiher. Und auch in anderen regionalen Zentren wie Wil oder Frauenfeld konnte sich nur eine Videothek halten.

Schau mir in die Augen, Kleines

Tatsächlich wirken DVDs in Zeiten von Glasfaserkabeln, Flatrate-Breitbandinternet und Netflix veraltet, fast schon archaisch. Was also bewegt einen dazu, den Weg zur Videothek auf sich zu nehmen, statt digital aus x-tausend Filmen auszuwählen?

Einerseits haben Videotheken immer noch auf viele Filme ein Exklusivrecht. Nach der Kinolaufzeit stehen neuen Filme einige Wochen früher in der Videothek, bevor sie in den Verkauf oder zu legalen Streaming-Diensten kommen. Vor allem, glaubt Yelküren, ist sein Vorteil aber die persönliche Beratung. «Ich habe viele Stammkunden und weiss genau, welche Art von Filmen ihnen gefällt.» Von seinen über 5000 Filmen habe er einen grossen Teil selber gesehen, täglich informiert er sich zudem auf Filmblogs und -datenbanken.

Wichtig sei auch, eine breite Auswahl an Filmen zu haben: Einerseits alle, die in der Schweiz im Kino waren. Anderseits aber auch besondere Filme und die eine oder andere Rarität. «Unverzichtbar sind auch Klassiker wie etwa Der Pate oder Casablanca

Ein Drittel Umsatz mit Pornos

In der Videothek Rosenberg gibts immer noch den roten Vorhang, dahinter eine Porno-Auswahl von A wie Amateur bis Z wie Zehenfetischismus. Auch in Zeiten von gratis Onlinediensten wie Youporn sind Pornos und Soft-Erotikfilme auf DVD gefragt: Yelküren macht rund einen Drittel seines Umsatzes damit. Auch hier sei das Publikum gemischt und bestehe längst nicht nur aus älteren Männern. «Auch Paare und Frauen interessieren sich für die Erotik-Abteilung», so Yelküren. Er glaubt, dass seine Kunden die «analoge Diskretion» von DVDs schätzen. Kein verräterischer Verlauf im Internet-Browser, keine Kreditkartendaten für Porno-Websites.

Auch sonst sei die Einfachheit einer DVD vielleicht das, was viele Kunden daran festhalten lässt: «Man schaut die DVD bewusst zuhause, muss nach einem stressigen Arbeitstag nicht lange im Netz nach funktionierenden Links suchen.»

Yelküren ist in St.Gallen aufgewachsen, früher kam er mit seinen Eltern in die Videothek Rosenberg, wo damals VHS-Kassetten im Regal standen. «Mir macht der Job noch immer viel Spass», sagt er. Wo sein Geschäft in ein paar Jahren steht, darüber will er nicht spekulieren. «Im Moment ist technisch und rechtlich im Bereich Streaming einfach sehr viel in Bewegung.»

Serienboom in der Bibliothek

Ein anderer Player im DVD-Verleih sind in St.Gallen die Stadt- und Kantonsbibliotheken: Auch bei ihnen ist die Nachfrage nach DVDs rückläufig. «Gefragt sind vor allem speziellere Filme, zu denen man im Netz kaum Streaminglinks findet – etwa aus der Arthouse- oder Trigon-Reihe», sagt Loeana Ianzito von der Freihandbibliothek. Parallel zu speziellen Filmen setzen die Bibliothekare zudem auch auf den Serien-Boom der letzten Jahre: Von Strassenfegern wie Breaking Bad, Master of Sex oder House of Cards sind in der Freihandbibliothek komplette Staffeln verfügbar – aber auch von Serien-Klassikern wie Columbo. Diese Sparte sowie auch die Abteilung «Der spezielle Film» soll denn auch weiter ausgebaut werden.

Im Februar wird der Non-Book-Bereich der Vadiana und der Freihandbibliothek in der Bibliothek Hauptpost zusammengeführt. Beide Bibliotheken setzen darauf, dass die Nutzerzahlen dank der ausgebauten Infrastruktur sowie der zentralen Lage beim Bahnhof ansteigen.

Streamen schont das Klima

Mit dem langsamen Tod der DVD dürfte es also weiterhin ein paar Videotheken lupfen. Global gesehen könnte der Wandel aber positive Folgen haben. Denn nach Ansicht einiger Forscher trägt das Verschwinden der DVD auch zum Umweltschutz bei: Wer Filme online streamt, statt diese physisch auszuleihen oder zu kaufen, produziert weniger CO2 – weil der Weg zur Videothek oder zum Media Markt oft mit dem Auto zurückgelegt wird.

Die Entwicklung der vergangenen Jahre war jedenfalls rasant:  In der Schweiz wird bereits jeder fünfte Franken mit digitalen Angeboten erwirtschaftet. Und in den USA wird mit Streaming inzwischen mehr Geld gemacht als mit dem DVD-Verleih.

 

Titelbild: Bruce Willis als John Smith im Film «Last Man Standing»: Als das US-Gangsterdrama 1996 in die Kinos kam, waren Videotheken noch eine Goldgrube.

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