, 12. Januar 2019
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Vom Erregen eines öffentlichen Ärgernisses

Wer die Worte aus dem Koran, die «Gott ist gross» bedeuten, in Schaffhausen auf öffentlichem Grund rezitiert, erregt öffentliches Ärgernis. Die Stadtpolizei büsste deswegen einen jungen Mann. Ob dies rechtmässig war, soll jetzt überprüft werden.

Eine Polizistin in Zivil hat im vergangenen August mitgehört, wie ein 22-jähriger Türke seinen Kollegen vor dem türkischen Kulturverein mit „Allhu Akbar“ ansprach. Sie stellte den jungen Mann zur Rede und wollte wissen, warum er diesen Ausspruch getan habe. Er erklärte, dass es sich dabei um eine übliche Redeweise und eine Begrüssungsformel handle. Er habe die Worte ohne Hintergedanken gesagt.

Damit gibt sich die Beamtin jedoch nicht zufrieden. Sie fordert Verstärkung an. Die angerückten Polizisten nehmen bei dem 22-Jährigen eine Personenüberprüfung vor. Wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses wird er mit 150 Franken gebüsst. Zusätzlich werden ihm Gebühren von 60 Franken aufgebrummt. Der junge Mann zahlt die 210 Franken umgehend, weil er mit den Behörden keinen Ärger haben will, wie er von den Medien zitiert wird.

Anzeige wird Untersuchung aulösen

Der Vorfall, den «20 Minuten» publik machte, löste vor allem in den sozialen Medien massive Kritik am Vorgehen der Polizei aus. Eine Antirassimus-Gruppe hat laut «Blick» eine Strafanzeige wegen Rassismus gegen die Polizistin angekündigt. Bei der Staatsanwaltschaft ist die Anzeige noch nicht eingetroffen. Ein Sprecher sagte auf Anfrage, dass mit dem Eingang aber gerechnet und dannzumal auch eine Untersuchung angeordnet würde.

Der Mediensprecher der Schaffhauser Polizei, Patrick Caprez, sagt auf Anfrage, dass die Polizei bei Aussprüchen in der Öffentlichkeit wie «Allhu Akbar» hinhören müsse. Dass der Sachverhalt aufgenommen und die Person, welche die Worte gesagt hat, von der Polizei überprüft worden ist, erachtet der Mediensprecher als richtig. Caprez erwähnt in diesem Zusammenhang die Sensibilisierung durch die «Schaffhauser-Terrorzelle». Vom Bundesstrafgericht in Bellinzona sind 2016 in einem 18-tägigen, aufsehenerregenden Prozess drei Männer aus der Munotstadt wegen Unterstützung des Islamischen Staates (IS) zu Haftstrafen verurteilt worden.

Der Schaffhauser Stadtrat und Vorsteher für Soziales und Sicherheit, Simon Stocker, stimmte gegenüber «20 Minuten» der Polizei zu. Sie habe in dem Fall sensibel reagiert. Wie der Polizeirapport zeige, sei die Situation als Erregung öffentlichen Ärgernisses wahrgenommen und entsprechend rapportiert worden. Zudem hätte die gebüsste Person auch die Möglichkeit gehabt, sich gegen die Busse zu wehren. Durch die Bezahlung sei die Verfügung jedoch rechtskräftig geworden.

Die Äusserungen von Stocker in der Pendler-Zeitung sind politisch nicht besonders sensibel. Von einem Mitglied der Alternativen Liste Schaffhausen (AL), die sich multikultiaffin gibt, hätte man diesbezüglich differenziertere Aussagen erwarten.

Freispruch für Hitlergruss

Ein Vergleich von «Allhu Akbar» mit dem Hitlergruss mag auf den ersten Blick an den Haaren herbeigezogen wirken. Gewisse Parallelen gibt es aber schon. Die Worte aus dem Koran werden heute von den Tätern islamistischer Terroranschläge geschrien. So verwendet sind sie eindeutig ein politisches und kein religiöses Bekenntnis. Und der Hitlergruss war schon immer Ausdruck einer politischen Gesinnung und ist ein schreckliches Synonym für den Holocaust.

Warum der Vergleich gemacht werden muss: Wer heute in der Schweiz seinen rechten Arm zum Hitlergruss hochreisst wird nicht gebüsst. Im Jahr 2010 zeigte ein Mitglied der Pnos (Partei national orientierter Schweizer) beim Aufsagen des Rütlischwurs aus Schillers Willhelm Tell den Hitlergruss. Neben den eignen Gesinnungsgenossen sahen das auch die Polizei und viele zufällig anwesende Touristen. Das Urner Obergericht verurteilte den Mann wegen Rassendiskriminierung zu einer Busse und einer bedingten Gefängnisstrafe. Das Bundesgericht hingegen sprach ihn frei. Der Hitlergruss alleine sei nicht strafbar, dazu müsste auch noch rassendiskriminierende Propaganda verbreitet werden, meinten die obersten helvetischen Richter.

Hat der junge Mann, der mit den Worten «Allhu Akbar» grüsste, dazu noch dschihadistische Propaganda verbreitet oder sich im Gespräch mit der Polizistin in diese Richtung geäussert? Im Polizeiprotokoll steht davon nichts.

Dass die Polizistin trotzdem «sensibilisiert» war, mag zwei Gründe haben: Sie dachte an die «Schaffhauser-Terrorzelle», die in Bellinzona verurteilt worden war, oder sie war ganz einfach befangen. Wäre ja noch, wenn mit «Allhu Akbar» nicht viel mehr als «Grüss Gott» gemeint wäre…

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