Von toten Hunden und eingebildeten Wikingern

Manfred bzw. John Lennon (Mads Mikkelsen) sucht mit seinem Bruder Anker (Nikolaj Lie Kaas) nach dessen Geld (Bild: pd)

Anders Thomas Jensen schlägt in seinem neusten Film einmal mehr Brücken zwischen tieftraurigen Geschichten und skurrilem, schwarzem Humor. Mitten drin ein brillanter Mads Mikkelsen, die Suche nach der eigenen Identität und ein Koffer voller Geld.

Man­fred heisst ei­gent­lich nicht mehr Man­fred. Er ist John. John Len­non, um ge­nau zu sein. Nennt ihn je­mand beim fal­schen Na­men, springt er spon­tan aus Fens­tern oder fah­ren­den Au­tos. Da­bei wä­re es ge­ra­de jetzt ex­trem wich­tig, dass der zer­zaus­te Mann, der ger­ne Hun­de sam­melt – sol­che aus Plas­tik aber auch le­ben­di­ge –, sich er­in­nert.

Denn Man­freds (Mads Mik­kel­sen) Bru­der An­ker (Ni­ko­laj Lie Kaas) möch­te nun, da er aus dem Ge­fäng­nis raus ist, an die Beu­te sei­nes letz­ten, ver­häng­nis­vol­len Bank­raubs. Die­se hat­te er in Man­freds Ob­hut ge­ge­ben, mit der Bit­te, sie zu ver­bud­deln. Man­fred ist aber nicht mehr Man­fred, son­dern eben John Len­non. Und der hat mit der gan­zen Sa­che so gar nichts zu tun.

An­ders Tho­mas Jen­sen ist be­kannt für Fil­me, die zwi­schen Trau­ma­ta und Hu­mor os­zil­lie­ren, die Trenn­li­nie zwi­schen Trau­rig­keit und Witz haar­scharf und zu­wei­len doch ver­schwom­men. The Last Vi­king (im Ori­gi­nal: Den sids­te Vi­king) er­zählt die Ge­schich­te von zwei Brü­dern, die sich ge­gen­sei­tig brau­chen, sich ei­ne trau­ma­ti­sche Ver­gan­gen­heit tei­len und ein­an­der nicht los­las­sen kön­nen. Er er­zählt aber auch die Ge­schich­te des An­ders­seins und Da­zu­ge­hö­rens und da­von, dass man eben manch­mal nicht weiss, wer man ist oder sein möch­te. Jen­sen selbst sag­te da­zu kürz­lich ge­gen­über dem Film­bul­le­tin: «Es geht um Iden­ti­tät» und dar­um, dass je­der heu­te frei wäh­len kön­ne, was er oder sie sein wol­le. Und um viel mehr: «Ich ha­be ver­sucht, vie­le Ge­dan­ken in den Film zu wer­fen – die Leu­te dür­fen da­mit ma­chen, was sie wol­len.»

Ein­ge­spiel­ter, ta­len­tier­ter Cast

Be­kannt ist Fil­me­ma­cher An­ders Tho­mas Jen­sen für sein 2005 er­schie­ne­nes Werk Adam’s App­les. Dar­in trifft ein Neo­na­zi auf ei­nen be­din­gungs­los op­ti­mis­ti­schen und from­men Pfar­rer. Im Lau­fe des Films ent­la­den sich Ge­gen­sät­ze und der schwar­ze Hu­mor öff­net Ab­grün­de. Zu­letzt er­schien Jen­sens Film The Ri­ders of Ju­s­ti­ce, der vom Ak­zep­tie­ren, Schick­sals­schlä­gen und dem Wunsch nach Zu­frie­den­heit und Ge­rech­tig­keit han­delt.

The Last Viking von Anders Thomas Jensen ist seit 24. Dezember in Schweizer Kinos zu sehen

Nicht nur der schwar­ze Hu­mor und die schrä­gen Ab­grün­de zie­hen sich durch Jen­sens Wer­ke, son­dern auch das Cas­ting. Mik­kel­sen, Klaas, aber auch Ni­co­las Bro oder Lars Bryg­mann tau­chen in vie­len Fil­men des dä­ni­schen Re­gis­seurs auf und bil­den ein ein­ge­spiel­tes Team – so auch in The Last Vi­king. In die­sem sticht Mik­kel­sen her­vor. Als zu­rück­ge­zo­ge­ner, nach­denk­li­cher Psych­ia­trie-Pa­ti­ent mit dis­so­zia­ti­ver Iden­ti­täts­stö­rung macht er sich wahn­sin­nig gut.

Oft ruht die Ka­me­ra auf Ge­sich­tern. Man­freds, ali­as Johns Blick ist ab­we­send, sei­ne Stirn in Fal­ten, die Haa­re wild. Sei­ne Lip­pen be­we­gen sich kaum merk­lich zu laut­lo­sen Mo­no­lo­gen. An­ker ist je­doch ge­nau­so ver­zwei­felt, weil Man­fred nicht mehr Man­fred ist, son­dern John Len­non, und ihm dar­um nicht mehr sa­gen kann, wo die­ser sein Geld ver­gra­ben hat. Hil­fe be­kommt Ex-Sträf­ling An­ker von Lo­thar, der sich als Lei­ter der Kli­nik vor­stellt. Er sagt, wenn man nur die Beat­les wie­der auf­er­ste­hen lies­se und da­mit John in sei­ner fik­ti­ven Welt be­stä­ti­ge, wür­de er wie­der zu sich selbst fin­den.

Der Kli­nik­lei­ter sam­melt al­so die üb­ri­gen Band­mit­glie­der in ganz Skan­di­na­vi­en ein. Rin­go Starr holt er eben­falls aus ei­ner dä­ni­schen Psych­ia­trie und Ge­or­ge Har­ri­son fin­det Lo­thar in ei­ner Kli­nik in Schwe­den. Ge­or­ge ist aber nicht nur Har­ri­son, son­dern prak­ti­scher­wei­se auch Paul Mc­Cart­ney. Un­prak­ti­scher­wei­se ist er gleich­zei­tig auch Björn von AB­BA, Gus­tav Mahler, Iron Man, Scho­pen­hau­er oder Hein­rich Himm­ler. Letz­te­res «wur­de auf der Fäh­re sehr un­an­ge­nehm» er­klärt Lo­thar, als er mit dem Rest der Band bei John und An­ker auf­schlägt.

Es­ka­la­ti­on des Ab­sur­den

Die bei­den Brü­der be­fin­den sich auf dem Grund­stück, auf dem sie auf­ge­wach­sen sind, weil An­ker Man­fred auf­ge­tra­gen hat­te, dort das Geld zu ver­gra­ben. Mitt­ler­wei­le wohnt dort al­ler­dings ein an­de­res un­glei­ches Paar – Man­fred: «Habt ihr kei­ne Kin­der, weil er so häss­lich ist?» Die Ehe­leu­te Mar­gre­the, ein ehe­ma­li­ges Mo­del, und Wer­ner, ein Kin­der­buch­au­tor auf Ab­we­gen, schei­nen je­doch nicht viel we­ni­ger ver­rückt, als Man­fred und An­ker. Und wer­den bald Teil des ko­mi­schen Thea­ters – Wer­ner näht Kos­tü­me für die auf­er­ste­hen­den Beat­les und Mar­gre­the kommt An­ker auf die Schli­che.

Lothar (im grauen Anzug) plant Grosses für die wiedervereinten und auferstanden Beatles (Bild:pd)

Im­mer wie­der wird den Zu­schau­en­den das Aus­mass der Er­leb­nis­se aus Man­freds und An­kers Kind­heit ver­mit­telt: Sanft, in ver­schwom­me­nen und schie­fen Rück­blen­den. Bald wird klar, dass auch An­ker trau­ma­ti­siert ist – und wes­halb Man­fred stän­dig Hun­de klaut. Und dass des­sen Iden­ti­täts­stö­rung schon in der Kind­heit be­gann. Da­mals ver­klei­de­te sich der Bub als Wi­kin­ger und An­ker kas­sier­te von ih­rem Va­ter die Prü­gel da­für, weil es sei­ne Auf­ga­be ge­we­sen wä­re, dem klei­nen Bru­der den Wi­kin­ger­helm ab­zu­neh­men und ihn zu schüt­zen.

Der­weil spitzt sich auch im Heu­te, auf dem Grund­stück des Ehe­paa­res, die Ge­walt zu, die Strei­tig­kei­ten in­ner­halb der Band häu­fen sich – Ge­or­ge Har­ri­son legt sich mit Wer­ner an, An­ker wird auf der Su­che nach der Beu­te un­ge­dul­di­ger und ein Mit­wis­ser taucht auf, der ei­ne Men­ge Geld ver­langt. Das Tem­po der gro­tes­ken Er­zäh­lung nimmt zu und mit ihm es­ka­liert die Ab­sur­di­tät und der Witz die­ser schwar­zen Ko­mö­die.

Jen­sen spielt da­bei wie ge­wohnt mit zahl­rei­chen klei­nen Bot­schaf­ten, mit ein biss­chen Splat­ter und herr­li­chen Dia­lo­gen. Und mit Licht. Frei nach nor­di­scher Ma­nier und Wet­ter­la­ge, spielt na­tür­li­ches Licht in The Last Vi­king ei­ne gros­se Rol­le, ei­ni­ge Ein­stel­lun­gen wir­ken wie Ge­mäl­de. Das un­ter­streicht die Skur­ri­li­tät der Sze­nen. 

Auch in die­sem Werk des dä­ni­schen Re­gis­seurs An­ders Tho­mas Jen­sen ist das En­de zwar gut – viel­leicht so­gar hap­py, als An­ker zu sei­nem Bru­der end­lich sagt: «Du darfst sein, was du willst». Den­noch schwebt dar­über ei­ne Ebe­ne, die ei­nen stau­nen, oft leer schlu­cken und – je nach hu­mo­ris­ti­scher Ab­ge­brüht­heit – eben auch lä­cheln lässt.

The Last Vi­king: bis 28. Ja­nu­ar im Ki­nok, 28. De­zem­ber, 17 Uhr, Ki­no Ro­xy

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