, 9. Oktober 2014
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Was Bundesräte den Bauern so erzählen

Die Landesregierung schickt zur Olma-Eröffnung traditionellerweise jemanden nach St.Gallen für die Hauptansprache. Man will, soweit machbar, Bauernnähe demonstrieren. Das klappt aber nicht immer, wie diese kleine Rückschau zeigt.

 

Aufnahme : Regina KŸhne/Olma

Didier Burkhalter an der 72. Olma-Eröffnung.

Bundespräsident Didier Burkhalter kam heuer als Bauern-Prophet nach St.Gallen. «Unsere Landwirtschaft, die sich auf ihre Stärken besinnt und auf die kreative Weiterentwicklung von Tradition setzt, wird Erfolg haben», sagte er. Der Bundesrat unterstütze diese Richtung. Ziel sei es, die Innovation zu fördern, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und gemeinwirtschaftliche Leistungen gezielter zu belohnen.

Burkhalter bringt die Heilsbotschaft

Die jüngsten Zahlen aus der Landwirtschaft seien erfreulich. So sei das Einkommen des Schweizer Landwirtschaftssektors im Jahr 2014 gegenüber dem Vorjahr um 12 Prozent gestiegen – und das trotz des kühlen und regnerischen Sommers. «Unsere Landwirtschaft, die Tradition mit Innovation und Qualität verbindet, hat eine sonnige Zukunft», lautet Burkhalters Heilsbotschaft an die Bauern. Bei diesen tönte es derweil aber ganz anders: Sie wehren sich dagegen, dass im kommenden Jahr in der Landwirtschaft rund 117 Millionen Franken gespart werden sollen – trotz eines Überschusses von einer halben Milliarde Franken und anders lautender Versprechen.

Der Bauernverband (SBV) liess im vergangenen August verlauten, dass der Bundesrat mehrfach versprochen habe, den Rahmenkredit für die Landwirtschaft auf der bisherigen Höhe zu belassen. Dies sei ein wesentlicher Grund dafür gewesen, dass der SBV auf ein Referendum gegen die Agrarpolitik 2014-2017 verzichtet habe. Der Bundesrat habe gegenüber der Branche und dem Verband «glasklar kommuniziert», dass sich die neue Agrarpolitik positiv auf die Einkommen der Landwirte auswirke, sagte Verbandspräsident Markus Ritter. «Wenn man aber 117 Millionen Franken kürzt, stimmt diese Aussage nicht mehr.»

Der Einzige, der aus Burkhalters Ansprache Hoffnung schöpfen mag, ist vielleicht der St.Galler Kabarettist Hans Fässler. Denn der Bundespräsident erzählte eingangs dem Festpublikum, er habe eben in der Region des Matterhorns einen Berg umgetauft: von Ostspitze in Dunant-Spitze. – Bekanntlich kämpft Fässler in der gleichen Gegend schon seit Jahren dafür, dass das dem Rassisten Louis Agassiz gewidmete «Agassizhorn» zu Ehren des schwarzen Sklaven Renty in «Rentyhorn» umbenannt wird.

 

Aufnahme : Regina KŸhne/Olma

Beim Olma-Rundgang 2014: Bundespräsident Didier Burkhalter (in der Mitte) mit Regierungspräsidentin Heidi Hanselmann und Kantonsratspräsident Paul Schlegel (ganz rechts), im Hintergrund der St.Galler Stadtpräsident Thomas Scheitlin.

 

Blocher blitzte ab

Burkhalters bundesrtätliche Vorgänger und Vorgängerinnen am Rednerpult der Olma haben an den agrarischen Tatsachen meistens schön-vorbeigeredet. Der einstige Bauer auf Zeit, Christoph Blocher, erntete 2004 mit seiner Ansprache böse Kritik – gerade auch aus Landwirtschaftskreisen. Er geisselte die Agrarpolitik als «erzieherische Sozialgesetzgebung mit Umweltschutz, Naturerhaltung und einem Wildwuchs bürokratischer Kontrollen». Scharf reagierte auch die Kleinbauernvereinigung (VKMB) auf diese Rede. «Ärger als Stammtischler um Mitternacht» habe Blocher gegen Agrarbürokratismus gewütet, entgegnete Herbert Karch, Geschäftsführer der VKMB, in einem Communiqué.

Blocher sagte auch, die Bauern könnten sich nur aus dem staatlichen Korsett befreien, wenn sie zu freien Unternehmern auf einem freien Agrarmarkt würden. – Blochers Äusserungen seien «gute Unterhaltung» gewesen, meinte Samuel Lüthi, damaliger Direktor des Schweizerischen Milchproduzentenverbandes (SMP) zur Empfehlung des Zürcher Milliardärs. Die applaudierenden unter den  Bauern hätten verkannt, dass sie ihre Milch zum Literpreis von 40 Rappen produzieren müssten, sollten die Vorstellungen des SVP-Bundesrates Wirklichkeit werden, sagte auch Kleinbauer Karch. Der Abbau jeglicher Marktregulierung sei eben nicht alles.

Ruth Dreifuss wurde beim Wort genommen

Die Olma schlage Brücken und schaffe Kontakte, sagte Ruth Dreifuss 2002. Sie sei «ein Zentrum unter den vielen Zentren der Schweiz». In diesen Zentren sei der Eindruck entstanden, sie würden vernachlässigt und stiefmütterlich behandelt. Dieses Bild halte sich in der Ostschweiz besonders hartnäckig, meine die Magistratin und gab den Ratschlag: «Die Ostschweiz muss sich auf den eigenen Wert besinnen und selbstbewusster werden.» Frau Dreifuss wurde in punkto «selbstbewusster werden» beim Wort genommen, wie sie spätestens beim Verlassen des Stadttheaters feststellte: Bauern demonstrierten auf dem Vorplatz gegen die Agrarpolitik des Bundesrates und Mitarbeitende der Swiss-Dairy-Food machten mit Transparenten auf ihre Entlassung beim maroden Milchverarbeiter aufmerksam.

Hans-Rudolf Merz machte 2009 für die Bauern den Schön-Wetter-Kasper. Er sagte: «Die Schweizer Landwirtschaft ist vom Strukturwandel stark gefordert. Unsere Landwirtschaft wird ihre Prüfungen aber mit Bravour meistern. Dies dank dem Fleiss, der Innovation und der Qualitätsstrategie unserer Bäuerinnen und Bauern.» In jenem Jahr wurden die Bauern kalt geduscht: Die Milchproduzenten waren stark betroffen von einem dauerhaften Preiszerfall, per 1. Mai ist die Milchkontingentierung aufgehoben worden. Namentlich durch den Konkurrenzdruck aus dem Ausland und die Wirtscharftskrise gerieten sie in eine schwierige Marktsituation. Auch auf dem Fleischmarkt brachen die Preise ein. Trotz «Fleiss, Innovation und Marktstrategie» verdiente die Schweizer Landwirtschaft 2009 sieben Prozent weniger als im Jahr zuvor.

Arnold Koller zitierte Goethe

1998 war in der Schweiz ein Jahr der Agrarreform. Arnold Koller versuchte den neuen bundesrätlichen Kurs in der Landwirtschaft mit Goethe-Worten aus «Wahlverwandtschaften» zu erklären: «Unsere Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen hatten; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen.» Und so sah das Jahr, fernab von der klassischen Literatur, für die Bauern aus: Knallhart bestimmten Nachfrage und Angebot die Preise. Finanzielle Unterstützungen vom Bund gab es nur noch, wenn die strengen Auflagen bezüglich Ökologie und Tierhaltung eingehalten wurden. Die moderne Landwirtschaft steht plötzlich im Zeichen der Multifunktionalität. Die Bauern sind in diesem Sinne nicht mehr nur Nahrungsmittelproduzenten, sondern tragen eine grosse Verantwortung bei der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Pflege der Kulturlandschaft.

Samuel Schmid verkündete 2001: «Die Agrarreform geht konsequent weiter». Er appellierte an die Selbstverantwortung und konfrontierte den Bauernstand mit der betriebswirtschaftlichen Direktive: «Das Instrument der Direktzahlungen soll weiter ausgebaut und die Marktstützung weiter zurückgenommen werden.» Schmid sagte, dass die Landesregierung von 2004 bis 2007 vorausslichtlich mehr als 14 Milliarden Franken für Direktzahlungen ausgeben wolle. Schon ab 2001 gerieten aber die Direktzahlungen immer mehr in die Kritik. Und sie hält bis heute an. Ein signifikanter Anteil der Direktzahlungen fliesst nämlich nicht in die Landwirtschaft, sondern direkt oder indirekt in nachgelagerte Betriebe. Dazu gehören Verwaltung, Berater und landwirtschaftliche Forschungsanstalten.

Micheline Calmy-Ray wurde vom Papagei gebissen

Hohe Qualität sei der Trumpf der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft, sagte Micheline Calmy-Rey 2011. Mit dem neuen AOC-Abkommen mit der EU, das die Schweiz im Mai unterzeichnet habe, sei der Weg nun definitiv frei zur Eroberung der europäischen Bühne. Seit langem gelte ein besonderes Augenmerk des Bundesrats der Erleichterung des Zugangs für Schweizer Unternehmen zum EU-Binnenmarkt, unterstrich Calmy-Rey.

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2011: Rosa beisst Calmy-Rey, Noch-Stadtrat Fredy Brunner schaut zu. Bild: André Häfliger

Viele Bauern waren aber immer skeptisch gegenüber der EU und sind es heute noch. Neu ist, dass Schweizer Bauern die EU vor Fehlern warnen, die in der schweizerischen Agrarpolitik schon gemacht worden sind, beispielsweise die Abschaffung der Milchkontingentierung 2009. In der EU sollen die Milchquoten ab April 2015 fallen. Bei einer Demo des European Milk Board (EMB) im vergangenen Juli vor dem EU-Parlament in Brüssel rief Werner Locher, Milchbauer und Geschäftsführer bei der Schweizer Milcherzeugerorganisation BIG-M, die EU-Abgeordneten dazu auf, «aus den Fehlern der Schweiz zu lernen».

Doch noch einmal zurück zum Auftritt von Micheline Calmy-Rey 2011: Die stets farbenfrohe Magistratin hatte nämlich beim Rundgang durch die Messe nicht nur brav das obligate Säuli für die Fotografen auf den Arm genommen, sondern auch gleich noch einen Papagei auf ihre bundesrätliche Hand geladen. Dieser jedoch verstand keinen Spass und biss die joviale Genferin unvermittelt in den Finger. Autsch! Noch heute wird manchmal darüber gerätselt: Hatte Rosa aus Eigeninitiative gehandelt – weil sie der einzige bunte Vogel an der Messe sein wollte? Oder war sie vielleicht doch von EU-feindlichen Bauern abgerichtet worden?

 

Bilder: Regina Kühne, 2014

 

 

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