, 14. Mai 2019
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Weilwegen Maske

Anna Rosenwasser ist Geschäftsführerin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und schreibt seit April monatlich eine «Nebenbei gay»-Kolumne für Saiten. Im Mai: Mascara ist keine Ska-Band. Und hässige Männer kein Massstab.

Auftritte im Fernsehen haben zwei Vorteile. Vorteil Nummer eins: Man kann allen erzählen, man habe einen Auftritt im Fernsehen. Vorteil Nummer zwei: Jemand schminkt dich. Unabhängig davon, ob du Nationalrätin bist oder Gemeinderat; ob du scheisse aussiehst oder wie Ellen DeGeneres; ob du schon drei Schichten Make-Up drauf hast oder Mascara für eine Ska-Band hältst. Nein, alle werden geschminkt vor TV-Auftritten.

Während ich dann also so da sitze – sie nennen es «in der Maske» –, würde ich gerne darüber nachdenken. Wie wir plötzlich alle gleich sind, wenn eine Fachperson an unseren Visagen rumpinselt. Wie Gender plötzlich zu dem wird, was es ist: ein lustiges Konstrukt, das man selbst bemalen kann. Eine Art hügelige Leinwand.

Die Frage «Magst du die Brauen betont haben?» ist genderneutral. Die Antwort «Wie zur Hölle betont man Brauen?» ebenfalls. Jeder Dude muss da ebenfalls rein, ebenfalls in die Maske, weil Fernsehbildschirme wirklich, wirklich nach mehreren Schichten Foundation schreien. Aus dem TV-Studio rauslaufend, sieht man aus wie eine hautfarbige Torte.

Anna Rosenwasser, illustriert von Lukas Schneeberger.

Das ist ja eigentlich schon komisch: So viele Menschen sagen, sie bevorzugten den «natürlichen Look» bei Frauen (und ganz viele äussern das völlig ungefragt). Sie meinen damit aber oft einen Look, der mega nicht natürlich ist. Sorgfältig aufgetragenes Make-Up; geschickt subtiles Contouring, also diese Gesichts-Schattier-Kunst; Mascara in feinem Braun; teurer Nude-Lippenstift. Dann alle so: woooow, so natürlich!

Erscheint dieselbe Frau ungeschminkt, ists plötzlich nicht mehr natürlich. Sondern komisch. Alles okay mit dir? Bist du krank? Etwas müde heute? – Fragt mal jene Frauen in eurem Umfeld, die sich gern schminken, ob ihnen das bekannt vorkommt. Spoiler: Es kommt ihnen bekannt vor.

An all das würde ich gerne denken, während ich in der Maske sitze, weil ich ja politisch und feministisch und cool bin. Stattdessen denke ich nur: So schön. Wie unglaublich schön. Eine Person, die extra dafür angestellt ist, Menschen schön anzumalen, pinselt in meiner Visage rum mit einem megafeinen Pinsel, minutenlang, und ich kann einfach dasitzen und mir überlegen, ob ich lieber Ferrarirot oder Weinrot auf meinen Lippen hätte. Was ich dann

aber nicht selbst auftragen muss. Weil die jahrelang ausgebildete Feinmotorik dieser Magierin das übernimmt. Wie. Geil. Sind. Fernsehauftritte.

Dann lud mich letztens ein Zürcher Regionalsender zu einer Live-Sendung ein, und ich freute mich den ganzen Tag, weilwegen Maske, und ich schminkte mich mega fest nicht, weilwegen Maske, und ich spazierte heiter vorfreudig an den Bahnhof Bern, weilwegen Maske.

Dann verpasste ich meinen Zug. Zwischen Ankommen und Live-Sendung blieben mir fünf Minuten. Jede Minute Anpinseln, jedes Milligramm Mascara, jedes Pickel-Abdecken war verpasst. Vor mir stand ein rechtskonservativer Jungpolitiker, seine feinen Stoppeln ebenmässig mit Foundation abgedeckt, und ich und meine Erwachsenenakne standen live da und sahen aus.

«Hässlich und ekelerregend», schrieb mir einer dieser anonymen alten Männer, die immer dann mailen, wenn junge Frauen öffentlich für etwas einstehen.

Ich dachte mir: Mein Gott, wenns nur das ist.

Anna Rosenwasser, 1990 geboren und in Schaffhausen aufgewachsen, wohnt in Zürich. Sie arbeitet als Geschäftsführerin für die Lesbenorganisation Schweiz (LOS) und als freischaffende Journalistin.

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