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Welt im Eimer. Rettung auch
Die St.Galler Autorin Christine Fischer schickt die Figuren ihres neusten Stücks in die Wüste, in eine fragliche und fragile Gegenwart. Matthias Flückiger und Anna Schindler spielen «Fundstück» im Theater Trouvaille.
Ein Mann, allein in der Wüste, bereit zu sterben, «es» zu Ende zu bringen. Und eine Frau, unterwegs in der Wüste als Müllsammlerin. Die beiden, aus der Welt gefallene Figuren die eine wie die andere, treffen aufeinander in Christine Fischers Fundstück. Und kommen nicht mehr voneinander los.
Der Mann hat einen Namen: Karl. Die Frau bleibt namenlos. Er hat sich und die Welt aufgegeben, «Auslaufmodell» nennt er sich selber, «Mergel» tituliert sie ihn oder «Knochenapostel». Sein einziges Interesse gilt der Grille, die ihn mit ihrem Zirpen aus dem Dämmer reisst und die er anruft als die «Schrumpferlöserin», die ihn und alles andere überleben wird.
Die Frau geht in ihrer Arbeit auf, die darin besteht, die Wüste von Müll und Staub zu befreien. Und sie träumt zugleich den grossen Traum vom Meer, ihrem Paradies. In einem aufrührerischen Monolog bilanziert sie ihr lebenslanges «Kümmern» – ihre Rebellion reicht vorerst aber nur soweit, den Rucksack des Mannes zu plündern, Knäckebrot, Saft, eine Musikdose und ein Buch, das in die Wüste passt wie die Faust aufs Auge: Fritjof Nansens eisiger Bericht seiner Polarexpedition.
Der lebensfeindliche Ort und die surreale Konstellation machen ein weites Feld auf, für Alltagskomik wie für die grossen Sinn- und Lebensfragen. Und für Redeweisen aller Art. Christine Fischer, in Romanen und Kurzprosa vielfach erprobte Wortforscherin, spielt auch auf der Bühne mit Tonalitäten, mit Satz- und Sinnvarianten. So gehört zu einem «Auftrag» auch ein «Abtrag» oder philosophiert Karl über sein künftiges Gewesensein im Futur II.
Ein Gott aus dem Lautsprecher
Anna Schindler spielt die Frau im roten Overall, mit Besen und Müllzange bewaffnet, bodenständig und resolut. Matthias Flückiger ist Denker und Clochard in einem, immer nah am Ausrasten. Sie glaubt an Verantwortung. Er weiss nicht mehr, «wie Leben geht». Sie will neu anfangen, er will «enden». Nach und nach drehen sich die Verhältnisse, er kommt zur Besinnung, sie zweifelt am Sinn.
Aber beide sind nicht frei. Sein Endenwollen und ihr Arbeiten geschehen nicht aus eigenem Antrieb, sondern im «Auftrag» einer irgend höheren Macht. Zumindest kommen deren Befehle von oben, aus dem Lautsprecher, meist auf Englisch und mit passenden Beatles-Songzeilen unterlegt, von «Let it be» bis «Imagine there’s no heaven».
Christine Fischers popmusikalisch versierter Gott ist kein Godot, auf den man vergeblich wartet. Dennoch trägt die Anlage des Stücks Beckett’sche Züge, bis hin zum Eimer, der die Frau auf ihren Mülltouren begleitet. Er erinnert an die Kübel, in denen in Becketts Endspiel die beiden Figuren Nagg und Nell stecken.
Am Ende der Zivilisation – fast
Gegenüber Becketts finster dystopischer Weltsicht nehmen Matthias Flückiger und Anna Schindler, die auch für Regie und Ausstattung zeichnen, das Weltende allerdings lockerer. Ihr Pragmatismus und sein Nihilismus sind von der fröhlichen Art. Trotz existentieller Ratlosigkeit wird munter parliert, debattiert und geflucht.
Weitere Vorstellungen bis 9. März, Theater Trouvaille, Mühlensteg 3, St.Gallen
Die Welt ist im Eimer – doch im Eimer verborgen ist zugleich das Fundstück, das dem Stück den Titel gibt. Die Frau deutet an, dass dieses geheimnisvolle Etwas («nur bloss nicht schütteln!») dem Leben einen neuen Sinn geben könnte. Und sie lässt den Mann am Ende einen Blick darauf werfen. Grosse Spannung im Publikum – und reichlich Stoff zum Rätseln und Weiterdenken am Ende der rund einstündigen Aufführung.
Christine Fischers Fundstück ist ein sprachvirtuoses und feingefügtes Kammerspiel. Man mag bedauern, dass die Klimakrise als apokalyptischer Hintergrund – eine ausgetrocknete Erde, auf der Wasser wichtiger wird als Wörter – dabei bloss angedeutet bleibt. Umso herzhafter erlebt man mit Matthias Flückiger und Anna Schindler zwei blendend aufeinander eingespielte Charaktertypen, die zum Nachdenken über innere und äussere Wüsteneien anregen. Und auch eine Art Lösung parat haben: Gemeinsam anpacken hilft.