, 13. November 2020
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«Wenn Corona uns nicht dahinrafft …»

Die St.Galler Altstadtkinos liegen seit längerem im Sterben. Letzter Überlebender ist das Scala. Corona macht auch ihm schwer zu schaffen. Da hilft möglicherweise nicht einmal mehr das Re-Branding der Swisscom, die im September alle Kitag-Kinos umgetauft hat.

Neue Leuchtschrift, innen meist dunkel: Das Scala ist das letzte verbliebene St.Galler Altstadtkino.

James Bond heisst nicht mehr Sean Connery, er ist vor zwei Wochen verstorben. Und auch das letzte St.Galler Altstadtkino heisst nicht mehr einfach Scala und macht ebenfalls eine schlechte Figur. Man hats kaum bemerkt: Es heisst jetzt blue Cinema Scala, über dem Eingang leuchtet wie ein verwirrter EKG-Apparat das Swisscom-Logo. Innen bleibt es die meiste Zeit dunkel. Nur samstags und sonntags sind noch Filme im Programm, eine Massnahme, die die Kitag AG bereits im August getroffen hat. Es könnte einen der Stadtkinoblues ereilen, auch wenn man zuletzt nicht mehr häufig da war.

Die Kitag Kinos gehören ebenso wie Teleclub zur CT Cinetrade AG, von der die Swisscom seit 2013 Mehrheits- und seit 2017 Alleinaktionärin ist. Im September dieses Jahres hat das Telekommunternehmen alle Entertainmentangebote von Swisscom TV, Teleclub und Kitag neu unter dem Markennamen blue zusammengefasst und damit auch die Kitag-Kinos einem Re-Branding unterzogen. Es sollen auch mit der Übertragung von Fussballspielen oder Gaming-Events Besucher in die Kinos gelockt werden.

Mit blue lanciert Swisscom «ein übergreifendes Entertainmenterlebnis (…) mit der Freiheit, überall darauf zugreifen zu können», heisst es in der Medienankündigung. Im Zeitalter von Netflix- und anderen Homecinema-Angeboten will der Schweizer Telekomm-Riese den Kinosaal zur erweiterten Stube machen, die man auch für Privat- und Firmenanlässe mieten kann. Die blue Cinemas werden so auch zum verlängerten Arm von Teleclub, der neu blue+ heisst.

Scala-Überleben ungewiss

Der reduzierte Betrieb im Scala sei, wie in allen blue-Kinos, eine Coronamassnahme, schreibt blue-Sprecher Maro Lüthi auf Anfrage. Sobald die Filmlieferungen aus dem Ausland wieder funktionierten und die behördlichen Pandemiemassnahmen wieder abflachten, werde der Betrieb auch im Scala wieder hochgefahren.

Der Frage, ob es das Scala nächstes Jahr noch gibt, weicht Lüthi mit dem Verweis auf den laufenden Mietvertrag aus. Und fügt dann an: «Sollte uns Corona nicht dahinraffen und der ganze Filmmarkt sich wie früher normalisieren, dann werden wir alle blue Cinemas in St.Gallen weiter betreiben.» Auch der Besitzerin der Liegenschaft Bohl 1, einer Oltner Immobilienfirma, liessen sich bis anhin keine Details zum Mietverhältnis mit der Kinobetreiberin entlocken. «Business as usual am Bohl 1», heisst es auf Nachfrage von Saiten nur.

Schon 2018 wurde spekuliert, wie lange die Kinokette Kitag ihre zwei letzten verbliebenen Stadtkinos Rex und Scala noch betreiben würde. Dies, nachdem bekannt wurde, dass die Firma all ihre Stadtkinos in Bern bis Ende 2020 schliessen würde. Ein Lichterlöschen in St.Gallen sei aber vorläufig nicht beabsichtigt, liess sich Kitag-CEO Philippe Täschler Anfang 2018 vernehmen.

Die Ausgangslage in St.Gallen sei eine andere, in Bern und in der Ostschweiz würden «unterschiedliche Faktoren» eine Rolle spielen. Im Mainstream-Bereich hätten die St.Galler Kitag-Kinos keine Konkurrenz. Konkreter wurde der medienscheue Täschler allerdings nicht. Unerwähnt liess er auch die Konkurrenz durch die Internet- und Heimkino-Angebote.

Tatsächlich teilt sich in Bern der französische Unterhaltungskonzern Pathé mit der Kitag den Markt, während letztere in St.Gallen ab 2007 mit dem Kauf sämtlicher verbliebener Altstadtkinos – Scala, Corso, Storchen, Rex – inklusive dem Abtwiler Multiplex Cinedome von Lichtspielpatron Franz Anton Brüni als Monopolistin auftrat. Dass «vorläufig» ein dehn- und quetschbarer Begriff ist, bewies Täschler nur wenige Monate nach seinen gegenteiligen Bekundungen: Das Rex machte kurz vor Ende seiner sommerlichen «Betriebsferien» im August 2018 den Laden endgültig dicht. (Was Saiten zwischenzeitlich sogar zugute kam.)

Live and let die

Zusätzlich zum grundsätzlichen Zuschauerschwund in den Blockbuster-Kinos macht die Coronakrise der Branche schwer zu schaffen. Die Begrenzung der Saalkapazitäten auf 50 Personen, die der Bundesrat am 28. Oktober angeordnet hat, setze faktisch das Überleben der Kinos aufs Spiel, schrieben die Branchenverbände Pro Cinema, der Schweizerische Kinoverband und Filmdistribution Schweiz in einer gemeinsamen Medienmitteilung. Die «halbherzige» Massnahme sei übertrieben, bisher habe keine einzige Covid-19-Infektion in einem Kino nachgewiesen werden können.

Seit den Lockdown-Lockerungen von Mitte Juni seien die Besucherzahlen schweizweit um 65 Prozent gegenüber 2019 eingebrochen. Angst spiele dabei eine Rolle. Ausserdem hielten sich die Filmverleihe angesichts der Besucherzahlen zurück, neue Filme zu veröffentlichen, was sich wiederum negativ auf die Besucherfrequenz auswirke, so die Branchenverbände.

Ein Hauch des Todes umweht die Schweizer Kinolandschaft. Die blue Cinemas kriseln und auch Pathé Schweiz hat heute früh angekündigt, seine Kinos auf Wochenendbetrieb zu reduzieren. Ein Quantum Trost spendet in diesen Zeiten noch der Umstand, dass das geschätzte Kinok in der Lokremise nicht um Publikumsgunst buhlen muss, sondern im Gegenteil über einen zweiten Saal nachdenken darf. Sobald dann die Seuche endlich überstanden ist.

1 Kommentar zu «Wenn Corona uns nicht dahinrafft …»

  • Nach dem lesen des «Wenn Corona uns nicht dahinrafft …»-Artikels musste ich erst oben nachsehen ob da Stadt St.Galler Kulurtmagazin steht. Ach nein es steht doch Ostschweizer Kulturmagazin.
    Wieder einmal wurden andere St.Galler Kinos wie Wil, Wattwil, Rapperswil, Uzwil und Uznach (einziges ohne Wil im Namen, geht das?) vergessen. Ihr habt schon recht, oben steht auch CORONA/FILM/STADT ST.GALLEN. Ich lese Eure Texte gerne, stelle aber fest dass ih selten über den Stadt-Tellerrand hinaus schaut. Ändert doch einfach oben den Text auf Stadt St.Galler Kulurtmagazin dann passt wieder alles zusammen.

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