, 22. Mai 2020
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«Wenn eine zweite Welle kommt, wird es für viele Clubs eng»

Lukas Hofstetter engagiert sich im Verein Nacht Gallen für das St.Galler Nachtleben. Er wünscht sich, dass auch Clubs und DJs als Kultur wahrgenommen werden – erst recht in Coronazeiten. Sein eigener Grossanlass, das Kulturfestival im Historischen Museum, steht noch auf der Kippe.

Der St.Galler Verein Nacht Gallen hat während des Lockdowns politische Forderungen gestellt und auf seiner Webseite regelmässig die neusten Entwicklungen kommentiert. War diese aktive Kommunikation nötig, um politischen Druck aufzubauen?

Lukas Hofstetter: Wir sind Mitglied der Schweizer Bar und Club Kommission. So konnten wir gemeinsam mit Gastro Suisse Vorschläge einbringen zu den Lockerungsmassnahmen für Gastro- und Kulturbetriebe. Von den Behörden wurden wir grundsätzlich gut und schnell über aktuelle Entscheide informiert. Dennoch sind viele Veranstalter von der Politik enttäuscht. So erhalten beispielsweise Clubbetreiber in der Schweiz keine Ausfallentschädigungen, wie sie etwa Kulturbetriebe bekommen. Dabei sind Clubs und DJs für das städtische Kulturleben genauso wichtig wie Konzertlokale oder das Theater. Die einzige Ausnahme ist die Stadt Zürich. Sie unterstützt die lokale Clubkultur mit Entschädigungen.

Auch die Stadt St.Gallen ist der Gastro- und Kulturszene entgegengekommen. So dürfen Gartenbeizen den öffentlichen Boden nutzen, um ihre Stühle und Tische mit genug Abstand zu platzieren.

Wir von Nacht Gallen haben uns über das schnelle und unbürokratische Handeln des Stadtrates gefreut. Aber wir vermissen in dieser Ausnahmesituation auch den nötigen Mut, noch einen Schritt weiter zu gehen. Es dürfen nämlich nur Betriebe den öffentlichen Raum nutzen, welche schon eine Bewilligung für eine Aussenbestuhlung haben. Viele kleine Betriebe profitieren also nicht von der neuen Regelung. Wir hätten uns gewünscht, dass dort, wo es räumlich möglich ist, alle Gastro- und Kulturbetriebe ihre komplette Bestuhlung nach draussen verschieben können. Dass kleinere Betriebe sich so ein Einkommen sichern könnten, wäre auch für das Kulturleben wichtig. Denn in St.Gallen haben Bars in den letzten Jahren immer mehr die Rolle von Clubs übernommen. Orte wie Tankstell, Baracca, Oya, Südbar oder Affekt machen immer wieder Veranstaltungen mit DJs oder Live-Konzerte im kleinen Rahmen.

Wie ist die Stimmung in der lokalen Kultur- und Gastroszene?

Es herrscht weiterhin die grosse Ungewissheit, die uns seit Monaten belastet. Insbesondere grössere Clubs und Lokale mit Angestellten kommen immer mehr unter Druck. Ich weiss von vielen Betrieben, die keinen Notkredit aufgenommen haben. Die Gewinne in der Szene sind in der Regel so klein, dass kaum ein Betrieb diese Kredite jemals zurückzahlen könnte. Viele leben derzeit also von ihren knappen Reserven. Wenn diese Situation sich bis im Herbst nicht bessert oder eine zweite Coronawelle kommt, wird es für viele Clubs und Bars in der Stadt eng. Auch eine Wiedereröffnung der Nachtlokale ist nicht einfach unproblematisch. Wenn sie mit einer starken Reduktion der Besucherkapazitäten verbunden wäre, wäre der Betrieb kaum rentabel. Gleichzeitig könnte dann keine Kurzarbeitsentschädigung mehr bezogen werden.

Eine grosse Belastung sind auch die Mieten. Das nationale Parlament hat es nicht geschafft, verbindliche Mieterlasse durchzusetzen. Was sagen Sie dazu?

Das Verhalten des Parlaments ist enttäuschend. Nicht nur Betriebe des Nachtlebens, sondern auch andere Schweizer KMUs wären dringend auf diesen Erlass angewiesen. In St.Gallen haben wir die Erfahrung gemacht, dass private Vermieter schnell zu Gesprächen bereit waren und Mietreduktionen gewährt haben. Die grossen Immobilienbesitzer wie Versicherungen und Pensionskassen haben bisher aber kaum mit sich reden lassen.

Sie veranstalten jeweils im Sommer das Kulturfestival im Innenhof des Historischen und Völkerkundemuseums. Anders als viele Festivals von vergleichbarer Grösse ist das Kulturfestival noch nicht definitiv abgesagt.

Wir haben noch eine kleine Resthoffnung. Alles hängt vom Entscheid des Bundesrates am 27. Mai zu Veranstaltungen mit weniger als 1000 Personen ab. Das Bedürfnis unserer Besucherinnen und Besucher wäre im Sommer sicher da. Es gibt kaum Kulturangebote, die Fussball-EM wurde verschoben, weite Reisen sind nicht möglich. Aber eine Durchführung des Festivals mit strengen Vorschriften zu Social Distancing, das heisst etwa mit Bestuhlung und deutlich weniger Besuchern, wäre aus finanziellen Gründen nicht möglich.

Sie sind selbständiger Kulturveranstalter. Wie arbeiten Sie in einer Zeit, in der nicht mehr als fünf Menschen an einem Ort zusammenkommen dürfen?

Ich habe eher mehr zu tun als vorher, weil man für jede Veranstaltung einen Plan A, B und C machen muss. Den Herbst bereite ich unverändert vor. Das ist einerseits wichtig, damit ich bereit bin und es ein Kulturprogramm gibt, wenn es dann wieder losgehen sollte. Es ist aber auch wichtig für die Künstlerinnen und Künstler, wieder Auftritte zu bekommen.

Lukas Hofstetter, 1979, ist Vorstandsmitglied des Vereins Nacht Gallen. Er führt die Agentur Gapevents, die unter anderem das St.Galler Kulturfestival sowie schweizweit Poetry Slams organisiert.

Dieser Beitrag erscheint auch in der Redeplatz-Rubrik im Juniheft von Saiten.

 

 

 

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