, 3. Juli 2017
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Wer besitzt einen Fisch?

Die Ersatzwahl für den zurücktretenden St.Galler Stadtrat Nino Cozzio wird immer komplexer. Die neuste Drehung an der Schraube kommt von den Grünliberalen: Sie kandidieren, aber sagen nicht, mit wem. Rätselfreunde vor!

Bislang sind drei Kandidatinnen und Kandidaten nominiert: Boris Tschirky (CVP – Cozzios Partei, aber nicht sein Profil), Jürg Brunner von der SVP sowie Ingrid Jacober (Grüne). Für die Grünliberale Partei (und nicht nur für sie) sind alle drei nicht wirklich wählbar, wie sie am Montag in einem Communique mitteilt, wörtlich:

«Einerseits bewerben sich zwei gestandene Herren mit kaum unterscheidbarer, pointiert-rechtsbürgerlicher Ausrichtung. Alternativ wurde eine wenig profilierte Kandidatin vergleichbaren Alters mit inhaltlicher Ausrichtung am äussersten linken Rand präsentiert. Diese Ausgangslage überzeugt die Grünliberalen wenig, da zu einer echten Auswahl die progressive Mitte fehlt. Bislang nicht angesprochen werden ausgerechnet die Stimmen jenes bedeutenden Spektrums, das der scheidende Stadtrat Cozzio so umsichtig zu vertreten wusste.»

Erkenntnis Nummer eins: Für eine echte Wahl braucht es mehr. Aber was?

Was auch immer, sicher ist: Die glp tritt selber an. Damit die Spannung aber nicht gleich zusammensackt, hält sie geheim, mit wem. Entscheiden soll eine Mitgliederversammlung am 17. Juli, drei profilierte Persönlichkeiten aus der «progressiven Mitte» stünden zur Verfügung, ihre Namen würden jedoch «zum Schutz der zu einer Kandidatur angefragten Personen» bis dahin «ausdrücklich» nicht genannt.

Erkenntnis Nummer zwei: Kandidieren ist gefährlich – wer es dennoch nicht lassen kann, braucht Personenschutz.

Um die Spannung weiter zu erhöhen, lassen die Grünliberalen dann aber doch zumindest durchblicken, wie das Profil der «angefragten Personen» ist. Glücklich, wer sich mit mathematischen Rätseln auskennt und seinen IQ an den legendären Logeleien von Zweistein geschult hat, die jahrelang im «Zeitmagazin» erschienen sind. Nach deren Muster nämlich ist das Kandidatenrätsel der glp gestrickt.

O-Ton glp:

  • Alle Angefragten haben in freiwilligem Miliz-Engagement bereits bewiesen, dass ihnen das Wohl unserer Stadt am Herzen liegt und dass sie für eine gesunde Balance aus ökologischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit einstehen. (Was denn sonst, Anm. d. Red.)
  • Mindestens eine der vorgeschlagenen Personen verfügt über Wirtschaftserfahrung aus Unternehmensführung.
  • Mindestens eine Kandidatur repräsentiert kommende Generationen auch dahingehend, dass sie noch mehrere Jahrzehnte bis zu ihrer Pensionierungsreife vor sich hat. (Pensionierungsreife, schön gesagt, Anm. d. Red.)
  • Je mindestens eine der potentiellen Kandidaturen ist weiblich bzw. männlich. (??? Anm. d. Red.)
  • Mindestens zwei Kandidaturen haben fundierte Parlamentserfahrung.
  • Die angefragten Persönlichkeiten engagieren sich schon länger für die grünliberalen Anliegen und sind den Parteimitgliedern bestens bekannt. (nur den Parteimitgliedern? Anm. d. Red.)

 

Ans Werk also, Denksportlerinnen und Denksportler aller Generationen! Viele Fragen offen – ein paar kleine Denkhilfen seien hier vorangeschickt:

  • Die glp-Fraktion im Stadtparlament umfasst fünf Personen, zwei davon (oder «mindestens zwei»?) könnten als «Kandidaturen» in Frage kommen: Thomas Brunner, Nadine Niederhauser, Daniel Rüttimann, Zsolt Ferenc Takacs und Christoph Wettach. Allerdings könnte sich die «fundierte Parlamentserfahrung» auch auf den Kantonsrat beziehen. Dort sitzt mit Kantonalparteipräsidentin Sonja Lüthi eine profilierte frühere Stadtparlamentarierin, deren ökologische und soziale Positionen dem Stadtrat und der Stadt gut anstehen würden und die bereits 2016 für das Amt im Gespräch war – aber die sich wohl kaum hinter einer politischen «Logelei» der Stadtpartei verstecken würde.
  • Komplex ist auch die Altersfrage. Gehören Fraktionspräsident Daniel Rüttimann oder Stadtparlamentarierin Nadine Niederhauser mit Jahrgang 1982 noch zur «kommenden Generation»? Oder deutet der kryptische Hinweis allenfalls Richtung Vorstandsmitglied Joel Drittenbass, Jahrgang 1992?
  • Und wer ist jene «mindestens eine Person», die unternehmerische Erfahrung ausweisen kann? Der umtriebige Kaufmann Zsolt Ferenc Takacs, der bis vor einem Jahr allerdings noch für die SVP politisierte und erst neulich grünliberal geworden ist?

 

Erkenntnis Nummer drei: Die glp hat ganze Arbeit geleistet. Rätselfreunde wissen die nächsten zwei Wochen, was zu tun ist.

Und falls sich das Rätsel allzu schnell oder gar nicht lösen sollte, gibt es immer noch jene legendäre Denksportaufgabe, die angeblich von Albert Einstein höchstpersönlich stammt, notabene aus der guten alten Zeit, als noch nicht bloss die Köpfe rauchten, sondern auch die Zigaretten:

Es gibt fünf Häuser mit je einer anderen Farbe. In jedem Haus wohnt eine Person einer anderen Nationalität. Jeder Hausbewohner bevorzugt ein bestimmtes Getränk, raucht eine bestimmte Zigarettenmarke und hält ein bestimmtes Haustier. Keine der 5 Personen trinkt das gleiche Getränk, raucht die gleichen Zigaretten oder hält das gleiche Tier wie einer seiner Nachbarn.

Frage: Wer besitzt einen Fisch?

  • Der Brite lebt im roten Haus.
  • Der Schwede hält einen Hund.
  • Der Däne trinkt gerne Tee.
  • Das grüne Haus steht links vom weißen Haus.
  • Der Besitzer des grünen Hauses trinkt Kaffee.
  • Die Person, die Pall Mall raucht, hält einen Vogel.
  • Der Mann, der im mittleren Haus wohnt, trinkt Milch.
  • Der Besitzer des gelben Hauses raucht Dunhill.
  • Der Norweger wohnt im ersten Haus.
  • Der Marlboro-Raucher wohnt neben dem, der eine Katze hält.
  • Der Mann, der ein Pferd hält, wohnt neben dem, der Dunhill raucht.
  • Der Winfield-Raucher trinkt gerne Bier.
  • Der Norweger wohnt neben dem blauen Haus.
  • Der Deutsche raucht Rothmanns.
  • Der Marlboro-Raucher hat einen Nachbarn, der Wasser trinkt

 

Bei all der Logelei muss den Grünliberalen eine der ersten Lektionen im Polit-Grundkurs entgangen sein. Nämlich: Politik ist, bei Sach- und erst recht bei Wahlgeschäften, ein Wettbewerb der Positionen, Profile und Köpfe. Wer diese Köpfe in den Sand steckt und mit der Wählerschaft Schlaumeierei betreibt, hat mutmasslich schon verloren. Das weiss die Partei selber am besten: Sie hat 2016, ebenfalls nach einer geheimnistuerischen Vorankündigung, den Architekten Veit Rausch als Kandidaten für das Stadtpräsidium präsentiert. Dieser nahm sich noch vor der Wahl selber wieder aus dem Spiel – ausdrücklich erstaunt und enttäuscht darüber, wie Politik funktioniert.

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