, 10. Mai 2013
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Wie Ali seinen Onkel ins Herz schloss

Am Pink Apple in Frauenfeld zu sehen: der iranische Transgenderfilm «Facing Mirrors». Claire Plassard war beeindruckt vom Mut der Regisseurin.

Rana arbeitet als Taxifahrerin, seit ihr Mann Sadegh wegen astronomisch hohen Geschäftsschulden hinter Gittern sitzt. Taxifahren ist eine Arbeit, die sich für eine anständige Frau weder geziemt noch ungefährlich ist. Doch irgendwie muss Rana sich ja behelfen, um sich und ihren Sohn Ali über die Runden zu bringen. Und irgendwo ist da noch die leise Hoffnung, die Schulden eines Tages abbezahlen zu können, um ihren geliebten Sadegh aus dem Gefängnis zu holen. Eddie heisst eigentlich Adineh und ist transsexuell. Er ist auf der Flucht vor seinem Vater, der ihn, der als Tochter geboren wurde, sich jedoch durch und durch als Mann fühlt, mit einem Cousin zwangsverheiraten will. Und Eddie nimmt auf Ranas Beifahrersitz Platz, bis er seine Geschichte erzählt und ihn die entsetzte Rana aus dem Auto schmeisst, auf einer verschneiten Passstrasse irgendwo im Niemandsland. –

Die iranisch-deutsche Co-Produktion «Facing Mirrors» war am schwullesbischen Filmfestival Pink Apple in Zürich zu sehen und kommt jetzt am Sonntag nach Frauenfeld. Der Erstling der Regisseurin Negar Azarbayjani widmet sich dem Thema Transsexualität. «Facing Mirrors» spielt im Iran, einem Staat, der einerseits für das Ausleben von Homosexualität Strafen von Peitschenhieben bis hin zur Todesstrafe verhängt, anderseits die Geschlechtsumwandlungen seiner Angehörigen finanziert, um den Anschein einer durchgängig heteronormativen Gesellschaft aufrecht zu erhalten. Negar Azarbayjani zieht das Motiv der Widersprüchlichkeit durch ihren ganzen Film, indem sie die Leben zweier Menschen, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten, kreuzen lässt; zugleich löst sie es auf, indem sie den beiden starken Hauptprotagonistinnen ermöglicht, in einem von Nulltoleranz und Einsamkeit gezeichneten Dasein zusammenzufinden.

Eddie/Adineh, der sich als Mann fühlt, wird in der Öffentlichkeit wegen seiner Transsexualität diskriminiert und kann nicht auf den Rückhalt seiner Familie zählen. Er wartet auf seinen neuen Pass, um sich der arrangierten Heirat entziehen und die im Ausland begonnene Hormontherapie fortsetzen zu können. Rana verheimlicht sowohl ihrem Mann als auch ihrer Schwiegermutter ihre Tätigkeit als Taxifahrerin. Auch lässt sie ihr Umfeld in Unkenntnis darüber, dass Eddie, der nach dem Rausschmiss über Umwege doch wieder in ihr Auto gelangt und sich bei ihr versteckt, ein Mann sein will. Rana schweigt, alleine und auf sich gestellt; dies in einer Gesellschaft, die auch dann nicht verstände, wenn sie sprechen würde.

Während Rana und Eddie beide einsam einer ungewissen Zukunft entgegenschauen,  entwickeln sie einen ungeheuren Lebensmut, der sie über sich selbst hinauswachsen lässt. So etwa in einer Szene, wo Rana Eddies Vater anfleht, Eddie beizustehen, anstatt ins persönliche Unglück zu stürzen. Dies sind dann auch die einzigen Momente, in denen der Film schwächelt. Zu schnell vollzieht sich Ranas Wandel von der konservativen Familienfrau zur toleranten Lebens-und Leidensgenossin Eddies. Ansonsten überzeugt «Facing Mirrors» in seiner ästhetischen Einfachheit und mit geschickt wiederkehrender Fokussetzung auf den Themenkomplex Transsexualität & Gesellschaft. Für letztere besteht nämlich Hoffnung, ob im Iran oder sonstwo. Man denke dabei an Ranas kleinen Sohn Ali, der Eddie/Adineh in einer Natürlichkeit, wie sie nur kindlicher Unvoreingenommenheit entspringen kann, für die geschenkte Schiebemütze mit einem freudigen «Danke, Onkel» ins Herz schliesst.

«Facing Mirrors» läuft am Sonntag 12. Mai um 20 Uhr im Cinema Luna in Frauenfeld.

 

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