, 9. März 2015
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«Wieso keine Maurerin oder Kranführerin?»

Am Frauentag wurde in St.Gallen über sexistische Werbung diskutiert. Diese transportiert nicht selten ziemlich grauenhafte Rollenbilder. Das findet auch Anna Landvik, unsere 14-jährige Schnupperstiftin.

Anlässlich des 103. Internationalen Frauentags haben am vergangenen Samstag in Bern 12’000 Personen für gleiche Löhne demonstriert. Zur selben Zeit veranstaltete auch die Politische Frauengruppe (PFG) in St.Gallen ihre alljährliche Standaktion am Bärenplatz, oder in diesem Fall: am Bärinnenplatz. Abends dann lud sie zum interaktiven Vortrag von Milena Wegelin (Bild oben), Projektleiterein bei Terre des femmes Schweiz, die im Raum für Literatur in der St.Galler Hauptpost über Sexismus in der Werbung referierte – samt einheimischem Anschauungsmaterial.

Dieses Thema ist wichtig. Und es betrifft selbstverständlich nicht nur die Frauen, nein, in der Werbung werden auch sexistische oder zumindest recht fragwürdige Männerbilder transportiert. Der Anzug-Typ auf dem Film-Plakat etwa, der mit drei sexy Blondinen im Arm aus seiner Luxus-Limousine steigt, wird genauso in die Schublade des gutaussehenden, beruflich erfolgreichen Alleskönners gepresst wie die Frauen an seiner Seite zu hirnlosen Anhängseln degradiert werden.

 

Wo sind die Frauen unter 30?

Erwachsene durchschauen solche Stereotypen rasch – könnte man jedenfalls meinen. Milena Wegelin präsentierte am Samstag jedoch auch ein paar Werbebeispiele, durchaus subtilere, die von den ungefähr 70 Frauen in der Hauptpost teilweise erst auf den zweiten Blick für sexistisch befunden wurden. Die vermutlich einzigen zwei Frauen unter 30 sind mitten im Vortrag gegangen. – Was ziemlich schade ist, da sie unter Umständen wertvolle Inputs zur anschliessenden Diskussion hätten liefern können.

Drum gut, dass das Saiten-Büro diese Woche von einer jungen Schnupperstiftin bereichert wird: Anna Landvik ist 14 und besucht derzeit die Meitli-Flade. «Wieso nicht selber ein paar Beispiele suchen?», dachten wir und haben uns, bestärkt von der Frühlingssonne, kurzerhand auf die Jagd nach sexistischen Plakaten in der St.Galler Innenstadt begeben. Und auch einige gefunden, wie die folgende Bildstrecke mit Annas Kommentaren dazu zeigt:

«Sehr Sexistisch finde ich diese Werbung nicht», sagt Anna. «Jedoch könnten auch ältere Frauen auf dem Plakat posieren. Schließlich sagen sies ja so schön: Jedes Alter ist das Schönste.»

«Sehr Sexistisch finde ich diese Werbung nicht», sagt Anna. «Jedoch könnten auch ältere Frauen auf dem Plakat posieren. Schließlich sagen sies ja so schön: Jedes Alter ist das Schönste.»

sexyfriday

«Auf dem Poster sind nur Frauen abgebildet. Das kommt so rüber, wie wenn nur Frauen sexy sein sollen. Oder müssen…»

spengler

«Weshalb suchen sie keine Maurerin oder Kranführerin?», fragt Anna. «Berufe, für die man handwerklich begabt und stark sein muss, können Frauen doch genauso gut wie Männer ausführen. Das Bild im Hintergrund finde ich übrigens sehr unpassend: zwei starke Männer posieren in Hockeykleidung.»

sugarnurse

«Die Frau wird als hübsches Dummerchen dargestellt. Wieso wird nicht Intelligenz als sexy angesehen, sondern ein übergeschminktes Gesicht?»

pinup

«Hier weiss ich nicht, ob ich dieses Plakat problematisch finde», sagt Anna. «Gewiss, es werden Brüste und Po gezeigt, was möglicherweise als sexistisch gilt, aber hierbei handelt es sich ja um eine Musik-Werbung, und deshalb finde ich die Idee noch witzig.»

alleswurst

«Auch dieses Poster gefällt mir. Ein muskulöser Mann, nur mit einer Kochschürze bekleidet, wirbt für einen Gartis-Hot Dog zu jedem Getränk. Trotz Bier und Grill: Die Rollen wurden zumindest halbwegs vertauscht.»

pinkifizierung

«Ein sehr schönes Beispiel für Sexismus», findet Anna. «Auf mich wirkt es so, als ob das linke Schaufenster speziell für Mädchen und das rechte für die Jungs wäre.»

legonah

«Rechts dunkelblau – typische Jungenfarben. Als ob die Jungs auf Lego Technic und die Mädchen nur auf Barbies stehen dürften….»

barbienah

«Die Prinzessin im Hintergrund soll Mädchen wohl dazu verleiten, sich eine Barbie zu wünschen. Aber wer sagt denn, dass ein Junge nicht auch mit Puppen spielen darf oder wir Mädchen den Werkzeugkasten einer Barbie nicht vorziehen dürfen?»

fettweg

«Klar, hier wird für eine Methode geworben, mit der man angeblich schnell Fett verlieren kann. Aber damit wird auch der Eindruck vermittelt, dass nur dünne Frauen schön sind.»

Einfach wegschauen

«Ich selber versuche mich von den Bildern in den Medien nicht beeinflussen zu lassen», sagt Anna. «Aber ich kenne viele, die das Gefühl haben, auch so schön, sexy und schlank sein zu müssen wie die Frauen auf manchen Plakaten. Allerdings glaube ich, dass wir uns selber treu bleiben sollten und uns ein eigenes Bild von Schönheit machen müssen. Das sage ich auch meinen Freundinnen, wenn ich merke, dass sie diesem Frauenbild nacheifern.»

Für Anna ist klar: Jungs leiden genau so unter Stereotypen. «Die meisten wollen auch möglichst gut aussehen, sie wollen Muskeln, Geld und viele Frauen haben.» Woran es liegt, dass sich so viele Gleichaltrige an solch traditionellen oder sexistischen Rollenbildern orientieren, kann sie nicht genau sagen. Unter anderem, so vermutet sie, dürfte es wohl mit dem Selbstbewusstsein zusammenhängen. «Mir fällt auf, dass Leute, die zu viel Wert auf ein perfektes Äusseres legen, tendenziell unzufrieden mit sich selber sind.»

Musikvideos, Magazine oder Werbungen mit zweifelhaften Geschlechterbildern und nackter Haut nimmt Anna relativ locker – im Gegensatz zu älteren Semestern, die oft und lautstark über die «zunehmende Sexualisierung der Gesellschaft» klagen. «Mich persönlich nervt das nicht», sagt sie lachend. «Schliesslich bin ich damit aufgewachsen. Und wenn doch, dann schaue ich einfach weg – wie es vermutlich viele in meiner Generation tun.»

 

Sexism sells!

«Der Ausdruck ‹sexuelle Objektivierung› wird häufig für die Bilderschwemme von dünnen jungen weissen Frauen verwendet, die sich bäuchlings mit gespreizten Beinen auf jeder makrtfähigen Fläche räkeln, sei es in der Zeitung oder in der Schlüpferwerbung», schreibt die Englische Aktivistin Laurie Penny in ihrem 2014 erschienenen Buch «Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution». Repressiv werde diese Objektivierung dann, wenn sie strukturell sei, wenn also eine Personengruppe ständig und ohne Rücksicht auf ihre Menschlichkeit objektiviert werde.

Viele Branchen, besonders die Werbeindustrie, arbeiten oft und gerne mit Rollenbildern bzw. Stereotypen. Wenn man keine anderen, keine kreativen Bild- und Werbeideen hat, muss man das leider fast zwangsläufig tun, denn die Aufmerksamkeitsspannen werden zunehmend kürzer, während die Kanäle vielfältiger werden, die Märkte satter und die Zielgruppen schwerer zu ködern.

Damit eine Werbebotschaft innerhalb von Sekundenbruchteilen die gewünschte Wirkung entfalten kann, soll sie eine «Geschichte» erzählen – Storytelling ist das Stichwort. Dazu bedient sich die Werbung in der Regel – wie übrigens auch der Journalismus – an sogenannten «basic narratives», auch «frames» genannt. Diese zielen auf die unbewusste Wahrnehmung: Ein saftiges Stück Fleisch oder das Bild eines schlimmen Unfalls weckt demnach die Überlebensinstinkte, ein weinendes Kind unsere Beschützerinstinkte, rote Lippen, Brüste oder ein braungebrannter Waschbrettbauch wecken den Fortpflanzungstrieb.

 

Mehr zum Thema:

  • Anne Wizorek: Weil ein #Aufschrei nicht reicht – für einen Feminismus von heute, Fischer Verlag, 2014.
  • Laurie Penny: Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution., Edition Nautilus, 2014.
  • oder in der aktuellen Spex mit dem Titel: Zurück in die Steinzeit – Hat Pop ein Frauenproblem?

 

Titelbild: Katharina Marks

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