, 18. Dezember 2020
3 Kommentare

«Wir sind der erste Dominostein»

Florian Reiser hat den Gastro-Protest in St.Gallen mitorganisiert. Der Focacceria-Chef fordert Ausfallsentschädigungen wie in Deutschland oder Österreich für die Branche, denn Kurzarbeit höhle die Betriebe nur aus.

«Ein Novum: Kurzarbeit gab es noch nie in der Gastronomie», sagt Florian Reiser.

Saiten: Wie ist die Focacceria bis jetzt durch die Pandemie gekommen?

Florian Reiser: Wir haben uns durchgeschlängelt. Alternative Geschäftsmodelle mussten her: Zuerst haben wir es mit einem Bestellservice «bestelllaune.ch» versucht, dann mit einer Food-Garage «Ape-tito» bei der Uni St.Gallen und zuletzt mit dem «Klosterbistro». Alles mit mässigem Erfolg, da sich die behördlichen Vorgaben ständig wieder geändert haben. Im Sommer haben wir uns zwar schnell wieder aufgerappelt, aber die Lockerungen währten bekanntlich nicht lange. Der Focacceria-Betrieb ist ausgerichtet auf etwa 500 Gäste pro Tag, nicht auf 50. Und wenn uns auch noch die Events, Caterings und Festivals fehlen, ist das der Todesstoss. Und wir sind nicht alleine, viele Gastro-Unternehmen kämpfen wirklich händeringend um ihre Existenz.

Über 400 Leute haben sich am 11. Dezember auf Ihren Aufruf hin in der St.Galler Altstadt getroffen, um für eine schnelle Unterstützung der Gastrobranche zu demonstrieren. Das ist doch eher ungewöhnlich.

Ja, es ist toll, dass so viele so spontan gekommen sind! Daran sieht man: Der Druck ist riesig. Leider wird uns jetzt Geldgier und Renditedenken vorgeworfen, aber das ist ein Missverständnis. Seit zehn Monaten wird uns gesagt, was wir alles nicht dürfen, aber gleichzeitig müssen wir unser Geld selber verdienen. Wir haben bis jetzt null staatliche Unterstützung erhalten. Es gab nur Notkredite und einen Teil Kurzarbeit, was aber für die Gastronomie das falsche Instrument ist. So werden die Betriebe aufs Krasseste ausgehöhlt. Und was viele vergessen: Wir sind nur der erste Dominostein. Wenn wir fallen, verkaufen die Weinhändler weniger, verkaufen die Feinkostläden weniger, verkaufen die Bäcker weniger.

Warum hilft Kurzarbeit nicht?

Weil es nur Geld gibt, wenn das Personal zuhause bleibt – und das ist momentan nicht der Fall. Die Betriebe sind geöffnet, aber die Gäste kommen nicht mehr. Wir stehen jeden Tag da, machen alles parat, kaufen ein, aber wissen nie, ob überhaupt jemand kommt. So lassen wir die Betriebe langsam ausbluten. Das raubt enorm viel Energie und Innovationskraft – weil alle nur noch damit beschäftigt sind, zu überleben.

Das ist aber schon länger der Fall. Warum seid ihr nicht schon früher auf die Strasse gegangen?

Ja, rückblickend hätten wir das schon im März machen sollen. Aber damals haben wir andere Wege gesucht; wir waren beim Stadtrat, haben Briefe geschrieben, uns mit anderen vernetzt. Unsere Branche ist sich nicht gewohnt zu streiken, wir sind uns gewohnt zu lächeln. Das ist tief verwurzelt in der Gastronomie.

Politik zu machen ist die Aufgabe der Branchenverbände. Oder hatte man diese Lobbyarbeit bisher einfach gar nicht so nötig?

Ich will niemandem im Nachhinein einen Vorwurf machen. Man wusste ja zu Beginn der Pandemie auch nicht, wie schlimm es wirklich wird. Kommt hinzu, dass sich nur wenige Gastronominnen und Gastronomen aktiv in diesen Verbänden engagieren. Ich selber hatte auch nie Interesse an so einem Amt, auch wenn ich mich weiterhin für die Branche einsetzen werde. Persönlich finde ich aber auch, dass man lange zu nett war. Man hat es lieber bei einem Abendessen versucht als mit Lobbyarbeit, sprich politischen Mitteln.

Wäre die Situation mit einem progressiveren Verband heute eine andere?

Schwer zu sagen, es war ja für alle ein Novum; Kurzarbeit gab es noch nie in der Gastronomie. Nächstes Mal sind wir vielleicht besser gewappnet. Ich glaube aber, dass Verbände generell eher verwalterisch und nicht unbedingt fortschrittlich ticken. So ist es auch in der Gastronomie. Da sitzen kaum junge, aufstrebende Leute, sondern vor allem Alteingesessene. Das bringt die Verbandsarbeit wohl mit sich.

Was wäre denn aus Branchensicht das beste Vorgehen in der Pandemie?

Ich plädiere für eine Ausfallsentschädigung, ähnlich wie in Deutschland und Österreich. Diese müsste relativ hoch sein, also zwischen 70 und 80 Prozent. Das wäre eine elegante Lösung, auch weil die Betriebe dann nicht ganz schliessen müssten. Es ist wichtig, dass die Leute raus können. Nicht alle wohnen schön, nicht alle haben gute Freunde und eine tolle Familie. Dieser soziale Aspekt wird unterschätzt. Auch für die Wirtschaft wäre es von Vorteil, wenn die Gastrobetriebe offenblieben, denn: Lieber ein halbvolles Bad als gar keines.

Als die Sperrstunde um 19 Uhr verkündet wurde, versprach man eine Lösung für die Gastronomie. Glauben Sie nicht daran?

Bis jetzt war jede Branchenlösung in der Schweiz eine Katastrophe. Der Kanton Neuenburg zum Beispiel hat insgesamt sechs Millionen gesprochen. Pro Betrieb eineinhalb Prozent des durchschnittlichen Umsatzes von 2018/2019, aber maximal 25’000 Franken à fonds perdu. Einmalig. Ganz ehrlich: Dieses Geld hätten sie auch im Neuenburgersee versenken können.

Reden wir über Geld: Wie ist die Lage in der Focacceria?

Vor der Pandemie lief das Geschäft tipptopp. Im Frühling mussten wir einen Notkredit vom Bund 500’000 Franken aufnehmen. Dieser ist für Löhne, Pensionskassenbeiträge und Ferien draufgegangen. Unsere eigenen Reserven von 300’000 Franken sind mittlerweile ebenfalls aufgebraucht. Stand heute, 15. Dezember, bräuchte ich etwa 600’000 Franken, um wieder auf eine schwarze Null zu kommen – ohne zu wissen, was in den nächsten Monaten noch auf uns zukommt. Besser wäre darum eine Million, um einigermassen gesund in die Zukunft zu gehen.

Corona ist wohl nicht die letzte Pandemie. Ist das Konzept Gastro, so wie wir es kennen, gefährdet?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in Zukunft wegen jedem Virus die ganze Welt lahmlegen, da muss es andere Rezepte geben. Ein Virus ist eine momentane Katastrophe, ja, aber die Menschen wollen sich nahe sein, das ist in uns drin, das wird nicht verschwinden.

Florian Reiser, 1975, hat 2004 die Focacceria gegründet. Mittlerweile betreibt er mit seiner Frau Evelyn Restaurants in St.Gallen, Herisau und Wil sowie einen Catering- und Eventservice. Das Interview wurde am 15. Dezember geführt.

3 Kommentare zu «Wir sind der erste Dominostein»

  • Thomas sagt:

    Herr Rieser, sie jammern auf einem sehr hohen Niveau. Warum sollte der Steuerzahler ihr Restaurant finanzieren? Sie haben dieses Jahr gleich zwei neue Restaurants aufgemacht anstatt das Geld das sie sicherlich dort investiert haben für die Krise zu verwenden. Diese Frage müssen Sie sich auch gefallen lassen. Jetzt vom Staat (den Steuerzahler) eine Million Schweizer Franken für Ihr Unternehmen zu fordern, weil sie einfach falsch geplant haben, finde ich persönlich an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten.Diese Frage müssen Sie sich auch gefallen lassen. Jetzt vom Staat (den Steuerzahler) eine Milion Schweizer Frankenfür Ihr Unternehmen zu fordern weil sie einfach falsch geplant haben, finde ich persönlich an dreistigkeit nicht mehr zu überbieten.

  • Paul Hinterer sagt:

    Herr Rieser, sie jammern auf einem sehr hohen Niveau. Warum sollte der Steuerzahler ihr Restaurant finanzieren? Sie haben dieses Jahr gleich zwei neue Restaurants aufgemacht anstatt das Geld das sie sicherlich dort investiert haben für die Krise zu verwenden. Diese Frage müssen Sie sich auch gefallen lassen. Jetzt vom Staat (den Steuerzahler) eine Million Schweizer Franken für Ihr Unternehmen zu fordern, weil sie einfach falsch geplant haben, finde ich persönlich an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten.

  • Susanne+Hoare sagt:

    eigenartig. Sind da Papageien am Werk?

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