, 2. September 2016
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«Wir wollen alle Gruppen erreichen – egal, ob lesbisch, schwul, bi oder trans»

Jürg Bläuer von der St.Galler Fachstelle für Aids und Sexualfragen (AHSGA) über die neue Plattform Queer Lake, den LGBTIQ-Ausgang in St.Gallen und die schwierige Situation queerer Refugees.

Bild: Tine Edel

Seit Juni gibt es queer-lake.net. Was ist die Idee hinter dieser Plattform?

Früher gab es den schwulen Newsletter von Mann-o-Mann, dem «Badehaus für Männer» in St.Gallen. Das war eine Art Sammelbecken, zumindest für die Gay-Community, denn nebst den eigenen Veranstaltungen waren dort auch allerhand andere Events in der Region aufgeführt. Mit dem Besitzerwechsel vor einem Jahr wurde dieser Dienst dann ein- gestellt und es entstand eine Lücke. Queer Lake will diese wieder füllen – mit Artikeln, Veranstaltungshinweisen und einem eigenen Newsletter.

Betrieben wird Queer Lake von einem dreiköpfigen Redaktionsteam um Roland Köppel vom netz.werk, der auch den Mann-o-Mann- Newsletter betreut hat. Zudem sind über 40 Organisationen aus
der Region involviert. Was für eine Rolle spielt die AHSGA dabei?

Bei der Fachstelle haben wir uns immer wieder gefragt, wie wir an die LGBTIQ-Szene herankommen mit unseren Beratungsangeboten und Informationen zu Prävention und Veranstaltungen. Früher konnten wir Bars und Clubs für Homo- sexuelle aufsuchen, aber davon sind nicht mehr viele übriggeblieben in der Ostschweiz. Wären wir in Zürich, könnten wir in Zeitschriften wie dem «Milchbüechli» inserieren, doch auch solche Plattformen fehlen hier. Queer Lake ist ideal, um an die Leute aus der Region heranzukommen, deshalb beteiligen wir uns mit einem finanziellen Beitrag an der Homepage und liefern einmal pro Monat einen redaktionellen Beitrag mit Fokus auf die Prävention.

Was sagt die Queer Lake-Statistik über den Start der Plattform?

Wir waren überwältigt, wie viele Klicks und Likes in den ersten Wochen zusammengekommen sind – nicht nur aus St.Gallen, sondern rund um den Bodensee, etwa aus dem süddeutschen Raum oder aus den Regionen Liechtenstein und Bregenz. Darunter befinden sich natürlich viele junge Leute, aber auch einige ältere. Das ist gut so, denn wir wollen ja alle Gruppen erreichen – egal, ob schwul, lesbisch, bi oder trans – und nicht nur die Jungen, die gerade Party machen.

Wird Queer Lake irgendwann mehrsprachig sein, um auch jene zu erreichen, die Deutsch nicht ihre Muttersprache nennen?

Zurzeit wir sind noch im Aufbau, aber das wäre sicher lohnend. Den Flyer für die Queer Refugees-Veranstaltung im September im Solihaus beispielsweise haben wir auch in mehreren Sprachen drucken lassen, darum könnte ich mir gut vorstellen, dass künftig auch einzelne Artikel auf queer-lake.net übersetzt werden.

Hat die ASGHA heute vermehrt mit schwulen, lesbischen, bi- oder trans- sexuellen Migrantinnen und Migranten zu tun?

Die Anfragen im ganzen deutschsprachigen Raum haben extrem zugenommen. In der Ostschweiz ist es weniger drastisch, aber auch für uns ist das ein wichtiges Thema. Es ist davon auszugehen, dass der LGBTIQ- Anteil bei den Geflüchteten höher ist als bei den Einheimischen, weil die sexuelle Ausrichtung vielfach zu den Fluchtgründen gehört. Die Doppelstigmatisierung ist deshalb eines der grössten Probleme: Einerseits fühlt man sich als Refugee nicht sehr willkommen in Europa, andererseits wird man in vielen Herkunftsländern verfolgt oder verstossen aufgrund der Sexualität. Diesen Hintergrund gilt es zu beachten – auch bei Leuten, die bereits in der zweiten oder dritten Generation hier leben.

Kaum Bars, selten Partys, kein LGBTIQ-Magazin: Steht es schlecht um die queere Szene in St.Gallen?

Das würde ich so nicht sagen, vielmehr hat ein Wandel stattgefunden: Früher war die Szene ein bisschen «ghettoisiert»; man hat sogenannte Safe Spaces gesucht, um unter sich zu sein. Dadurch gab es mehr Möglichkeiten. Heute gibt es weniger, dafür ist man offener und sucht sich vermehrt Orte, die nicht der Szene vorbehalten sind, zum Beispiel das news Café am Oberen Graben, wo jeden ersten Sonntag im Monat die Sack & Pack-Party «für Gays und Friends» steigt.

Separieren war gestern?


Dazu gibt es verschiedene Ansichten. Ich persönlich fände es komisch, wenn ich mich nur unter Schwulen bewegen würde, aber von Zeit zu Zeit möchte ich schon einen Anlass, an dem ich unter «Meinesgleichen» bin. Auch für Jugendliche im Coming Out-Prozess ist es enorm wichtig, dass sie geschützte Orte haben – nicht im Internet, sondern im realen Leben. Die Transszene tickt etwas anders; da gibt es vermehrt Bestrebungen, sich in einem geschützten Rahmen zu treffen und zu diskutieren. In Gossau gibt es zum Beispiel jeden Monat einen recht gut besuchten Transgender-Stammtisch.

Wie steht es um die Solidarität zwischen Schwulen, Lesben, Intersexuellen und Transmenschen?

Diese LGBTIQ-Community, die gerne heraufbeschworen wird, gründet oft auf einem Wunschdenken. Innerhalb der einzelnen Gruppen gibt es leider oft starke Abgrenzungen, insbesondere gegen die Transmenschen. Je nach dem sind Transphobie, Homophobie, Sexismus und auch Rassismus nach wie vor weit verbreitet. Dagegen kämpfen wir seit über 30 Jahren an bei der ASGHA. Dabei muss man sich aber bewusst sein, dass es um zwei völlig verschiedene Thematiken geht: LGB – Lesbian, Gay und Bisexual – steht für die sexuelle Orientierung, TIQ hingegen – Trans, Inter und Questioning – beschreibt verschiedene Geschlechtsidentitäten. Gerade in den Medien werden diese Dinge gerne vermischt, doch: Nicht jede Pride ist eine Gay Pride!

queer-lake.net, ahsga.ch, mann-o-mann.ch, gendertreff-os.jimdo.com, netz.werk.ch

The Limettes: 2. September, 21 Uhr, Grabenhalle St.Gallen
Transgender-Stammtisch: 3. September, 19 Uhr, Rest. Freihof Gossau
CSD am See: 3. September, Kulturladen Konstanz
Sack & Pack: 4. September, 20 Uhr, news Café und Musikbar, St.Gallen
Purple Moon Party: 10. September, 22 Uhr, Grabenhalle St.Gallen
Interessentenabend Network, Verein für schwule Führungskräfte: 15. September, 18:30 Uhr Führung Bundesverwaltungsgericht, anschliessend Abendessen in 
der Militärkantine St.Gallen
Queer Refugees – auch in der Ostschweiz: 16. September, 18 Uhr, Solihaus St.Gallen

Dieser Beitrag erschien im Septemberheft von Saiten.

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