Wohltemperierte Kunst

Der Glasbau Square der HSG (Bild: Vera Zatti)

Die Hochschule St.Gallen zeigt mit fünf neuen Kunstwerken, wie sich Kritik an Institution und Ökonomie angenehm ins eigene Selbstbild integrieren lässt.

Der Glas­bau Squa­re der HSG thront wie ein Eis­wür­fel auf dem Ro­sen­berg über der Stadt St.Gal­len. An die­sem heis­sen Ju­ni­tag wirkt der kan­ti­ge Bau aber doch ein­la­dend, denn er ver­spricht ei­ne so­li­de Kli­ma­an­la­ge. Tat­säch­lich, drin­nen ists kühl. Die il­lus­tre Ge­sell­schaft, die sich an die­sem Abend im Un­ter­ge­schoss des Squa­res ver­sam­melt, ist aber nicht we­gen der Küh­le ge­kom­men, son­dern we­gen der Kunst. 

Fünf neue Wer­ke er­wei­tern die hoch­schul­ei­ge­ne Samm­lung, die seit den 1960er Jah­ren Kunst und aka­de­mi­sche Iden­ti­tät stra­te­gisch ver­knüpft. Der Cam­pus als Ge­samt­kunst­werk ist Teil des Nar­ra­tivs ei­ner Hoch­schu­le, die längst nicht mehr nur Ort der Leh­re, son­dern auch glo­ba­le Mar­ke ist. Hier er­mög­li­chen pri­va­te Gel­der, was öf­fent­li­che Bud­gets kaum her­ge­ben: Kunst als Sta­tus­sym­bol und Stand­ort­mar­ke­ting, aber auch ein biss­chen zu Bil­dungs­zwe­cken. 

Der of­fi­zi­el­le Kunst­füh­rer (ein durch­aus vor­be­las­te­tes Wort) der HSG liest sich wie das «Who is Who» der Kunst­ge­schich­te: Gi­a­co­metti, Cal­der, Miró, Sou­la­ges, Si­gner. Lan­ge fan­den haupt­säch­lich Wer­ke von Män­nern Ein­gang in die Samm­lung. Bis 2011 gab es ge­ra­de mal Ar­bei­ten von zwei Künst­le­rin­nen: Ali­cia Pe­n­al­ba und So­niat­ta. Da­nach be­gann man sys­te­ma­tisch, die Samm­lung di­ver­ser aus­zu­rich­ten. 

Auch die ak­tu­el­len Neu­zu­gän­ge stam­men ent­spre­chend von drei Künst­le­rin­nen und zwei Künst­lern: Klau­dia Schif­fer­le, Ani­ta Zim­mer­mann, Ma­ha Mall­uh so­wie Jo­sé Dá­vila und In­go Gie­zen­dan­ner.

Die Aus­wahl fiel im Traum

Schif­fer­les LALÜ LALÜ hängt im Trep­pen­haus, das in eben die­ses Un­ter­ge­schoss des Squa­res führt, wo heu­er die De­le­ga­ti­on ver­sam­melt ist. Auf dem Bild sind un­zäh­li­ge Co­mic-Ge­sich­ter zu se­hen, die den Be­trach­ten­den ent­ge­gen­schau­en. In­spi­ra­ti­on war für Schif­fer­le der Blick ins Pu­bli­kum bei den Kon­zer­ten mit ih­rer Punk­band Kleenex/Li­Li­PUT.

Schwar­ze Acryl­far­be auf weis­sem Hin­ter­grund. Passt 1A ins auch sehr weis­se Trep­pen­haus. Und pas­send zum in­sti­tu­tio­nel­len Kon­text er­folgt dann auch die In­ter­pre­ta­ti­on des Bil­des durch die HSG: Die Uni deu­tet das Werk prag­ma­tisch als Sinn­bild für den of­fen­bar herr­schen­den Platz­man­gel auf dem Cam­pus.

Dass die Schwei­zer Künst­le­rin ge­nau die­ses Werk aus­wähl­te, lässt fast ei­ne Un­ter­wan­de­rung des Sys­tems ver­mu­ten: Denn ei­ne Re­pli­ka­ti­on des Werks ist auch Ban­ner der Ver­an­stal­tungs­rei­he Er­freu­li­che Uni­ver­si­tät im Pa­lace.

Je­doch war die Wahl ei­gent­lich kei­ne Wahl, son­dern viel­mehr ei­ne Ein­ge­bung, wie Schif­fer­le an der Ver­nis­sa­ge er­klär­te: Nach der An­fra­ge der HSG träum­te die Künst­le­rin, LALÜ LALÜ der Uni­ver­si­tät zu ver­kau­fen. Der Traum wur­de wahr und zum Pa­lace er­gänzt die Künst­le­rin auf An­fra­ge: «Der Zu­sam­men­hang kam mir erst in den Sinn, nach­dem ich das Werk be­reits der HSG vor­ge­schla­gen hat­te und fand es dann in­ter­es­sant, dass das Bild wohl wirk­lich nach St.Gal­len woll­te.» Doch nicht so sub­ver­siv, das Gan­ze.

Kein Biss in den Ap­fel

Und wäh­rend es der Uni wohl an Platz für Stu­die­ren­de man­gelt, fin­det sich für die Kunst im­mer noch ein Plätz­chen. Im Un­ter­ge­schoss des Squa­res, gleich vor den Toi­let­ten, be­fin­det sich neu die In­stal­la­ti­on Va­sen­ge­sang von Ani­ta Zim­mer­mann. 

In dem an die Wand pro­ji­zier­ten Vi­deo­loop singt die Künst­le­rin ge­mein­sam mit Frei­wil­li­gen in Por­zel­lan­va­sen. Er­gänzt wird der Loop von ei­ner weis­sen Por­zel­lan­va­se, die an ei­ne Milch­pa­ckung er­in­nert und laut der Künst­le­rin ge­ra­de nicht nur de­ko­ra­tiv sein soll. 

Vasengesang von Anita Zimmermann (Bild: Vera Zatti)

Auf der Öff­nung die­ser Va­se thront ein eben­falls weis­ser Por­zel­lan­ap­fel. Ein Ver­weis auf Adam und Eva, wie die St.Gal­ler Künst­le­rin an der Ver­nis­sa­ge er­klärt. Im Kon­text der Wirt­schafts­uni­ver­si­tät kann man hier durch­aus ei­ne bis­si­ge Al­le­go­rie er­ah­nen – zum Bei­spiel auf die Ver­füh­rungs­kraft der Fi­nanz­märk­te. Po­ten­zi­el­le Sys­tem­kri­tik hält sich aber ins­ge­samt be­deckt, ent­blösst wird hier nichts und nie­mand. 

Kri­tik ist er­wünscht, aber nur ein biss­chen

Im hin­te­ren Teil des­sel­ben Rau­mes schwebt Jo­sé Dá­vil­as Glas­fa­ser-Fel­sen See­ing is Be­lie­ving. In der ab­ge­spiel­ten Vi­deo­bot­schaft ver­weist der me­xi­ka­ni­sche Künst­ler auf das Ver­hält­nis von Wahr­neh­mung und Glau­be. Ein Re­fle­xi­ons­an­ge­bot in Be­zug auf die Lehr­in­hal­te der Eli­te­uni­ver­si­tät HSG? Viel­leicht, viel­leicht aber auch nicht.

Im Ober­ge­schoss des Squa­res ver­han­delt die sau­di­sche Künst­le­rin Ma­ha Mall­uh mit ih­ren Fo­to­gram­men von Ge­päck­stü­cken die Glo­ba­li­sie­rung. Der Schwei­zer Künst­ler In­go Gie­zen­dan­ner bringt mit sei­ner ei­gens für die HSG ge­schaf­fe­nen Wand­ma­le­rei Street­art zwi­schen To­kio und Zü­rich in den grau­en Be­ton des Haupt­ge­bäu­des.

Für die HSG ist Kunst Teil des Selbst­ver­ständ­nis­ses. Sie zu sam­meln, ge­hört zum gu­ten Ton. Wer Kunst hat, kann Welt­of­fen­heit, Re­fle­xi­ons­fä­hig­keit, Fort­schritt­lich­keit und ei­ne Pri­se Hu­mor in­sze­nie­ren. Al­les, was sich ei­ne «gu­te» Uni­ver­si­tät nur zu ger­ne gross auf die Fah­ne schreibt. Auch die fünf Neu­zu­gän­ge fü­gen sich naht­los in die­ses Nar­ra­tiv.

Rei­bung ist da­bei durch­aus er­wünscht – so­lan­ge sie do­siert bleibt und ins in­sti­tu­tio­nel­le Selbst­bild passt. Kunst als ho­möo­pa­thisch do­sier­te Kri­tik, die eher noch Bei­fall klatscht, statt ech­ten Dis­kurs an­zu­re­gen. So bleibt al­les an­ge­nehm und wohl­tem­pe­riert. Pas­send al­so zum Raum­kli­ma im Squa­re.