, 19. Januar 2015
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Wortzement

Sprachpolitische Correctness ist so umständlich wie das Feingefühl dafür wichtig wäre. Man kann sich aber auch fragen, ob gendergerechtes Schreiben überhaupt Sinn macht. Spolier: ja!

Auch wenn es für manche unverständlich sein mag, aber die Linguistik ist ein faszinierendes Forschungsgebiet, besonders die Sprachkritik. Nur ist es mit der feministischen Linguistik dem gendergerechten Sprachgebrauch so eine Sache: Er hat was von einem Bremsknüppel. Nicht nur in Sachen Schreibfluss, auch was die gesellschaftliche Entwicklung angeht. Nicht selten ist nämlich die öffentliche Debatte von allerlei Ressentiments verpestet, sobald es um die sprachliche Gleichstellung von Frau und Mann der Geschlechter geht. Oder zumindest ist sie von einem tiefen Seufzer begleitet. Und das auf allen Seiten.

Pseudofeministische Korrektheitsorthografie?

Das Thema stösst zwar mittlerweile überwiegend auf Verständnis, dennoch gibt es einige, mehrheitlich (aber nicht nur, Anm. des Setzers Lektors) männliche Gegner, die ihr «pseudofeministische Korrektheitsorthografie», «Sprachfeminismus» oder sogar «Sexismus» vorwerfen, so zum Beispiel die IG Antifeminismus. Gendergerechte Sprache ist definitiv umstritten, auch im Journalismus: «Die Sprache, so wie wir sie gebrauchen, entspricht einem gesellschaftlichen Konsens. Wenn es sich ergeben sollte, dass Frauen tatsächlich eines Tages eine führende Rolle übernehmen, wird sich die Sprache mutmasslich automatisch ändern», schrieb beispielsweise «Weltwoche»-Redaktor Alex Baur in einer Email, als ich ihn im Rahmen meiner Bachelorarbeit dazu befragte. Das war im Juli 2013.

Zur Erinnerung: Die Gleichstellung von Mann und Frau ist seit 1981 in der Bundesverfassung verankert. Um ihr auch auf sprachlicher Ebene gerecht zu werden, hat der Bund im Jahr 2009 die bereits zweite, vollständig überarbeitete Auflage des Leitfadens «Geschlechtergerechte Sprache» veröffentlicht. Und nicht nur auf Ebene der Gemeinwesen werden die Texte angepasst, auch in vielen Bereichen der Privatwirtschaft. Diese «verordnete» Veränderung der Sprache führt deshalb hin und wieder auch zu Auswüchsen eher skurriler Art. So wollte etwa das Gleichstellungsbüro der Stadt Bern im Juni 2010 das Wort «Fussgängerstreifen» mit «Fussgängerinnenstreifen» ersetzen und provozierte damit ein Echo, das die Kritik am Sprachgebrauch vielerorts ins Absurde Lächerliche zog. (Zebrastreifen wäre einfacher gewesen.)

Einverstanden, das Argument, dass Sprache historisch und organisch gewachsen ist und darum nicht vergewaltigt gewaltsam zurechtgebogen werden darf, ist nachvollziehbar. Schliesslich ist sie eine Art Spiegel der Gesellschaft und trägt uns seit Jahrtausenden. Aber gerade weil sie ein Spiegel ist, verändert sich die Sprache. Früher etwas langsamer, heute etwas schneller – analog zur Umwelt. Aus Althochdeutsch wurde Mittel-, aus Früh- wurde Neuhochdeutsch, so wie aus Siedlungen Städte und aus Hexen Apothekerinnen wurden. Und «mit freundlichen Grüssen» heisst sowieso längst «MfG», auch in der Autokorrektur des Computers (von Hashtags, Smileys und sonstigem ganz zu schweigen). Angesichts dieses rasanten Wandels ergibt es also wenig Sinn, sich noch an der präskriptiven Grammatik starren Regelwerken festzuklammern – die Zeit für Experimente war nie perfekter.

Aber: So wichtig sprachliche Sensibilität auch ist, so mühsam ist es, genderpolitisch möglichst korrekte Texte zu verfassen. In mehrerlei Hinsicht: Einerseits mangelt es ihnen oft an sprachlicher Logik Präzision, (das nominalisierte Partizip «Studierende» bezeichnet nun mal nicht dasselbe wie der Nominativ Plural «die Studenten», weil das eine Tätigkeit ist, während das andere eine Funktion ist), andererseits werden die Texte schnell holprig und hölzern. Und vor allem: lang. Die «Lehrerschaft» tönt ja nun wirklich furztrocken nicht nach etwas Menschlichem. Und jedes «Architektinnen und Architekten» frisst eine Zeile mehr, die eigentlich für relevantere Informationen reserviert wäre.

Das ist verheerend. Gerade in einer Zeit, in der die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser des Publikums selten mehr als 3000 Zeichen übersteht – und besonders bei Texten, die einen demokratierelevanten Auftrag haben, sich also möglichst jeder alle angesprochen fühlen müssen. Kurz gesagt: Gendergerechte Sprache bringt nicht nur grammatikalische Unsauberkeiten mit sich, sie ist auch stilistisch nicht gerade ein Bringer. Im Moment zumindest. Erstaunlich eigentlich, wenn man bedenkt, dass darüber bereits seit mehr als 40 Jahren diskutiert wird…

Die Menstruation ist bei jedem ein bisschen anders

Anfang der 70er-Jahre begannen sich die ersten Linguistinnen für den Zusammenhang zwischen Sprache und Geschlecht zu interessieren. Fachfrauen aus dem englisch- und deutschsprachigen Raum, darunter Robin Lakoff, Luise F. Pusch oder Senta Trömmel-Plötz, prangerten damals die patriarchalen Strukturen unserer Sprache an und prägten so den Begriff der feministischen Linguistik. Ihr Vorwurf: Frauen würden nicht nur rechtlich und gesellschaftlich, sondern auch sprachlich diskriminiert. Sie kritisieren unter anderem den androzentrischen Sprachgebrauch im Deutschen, sprich die Bezeichnung des Mannes als Norm und jene der Frau als Abweichung der Norm. Dessen Hauptmerkmal ist das sogenannte generische Maskulinum, «die Ärzte» und «die Lehrer» zum Beispiel, die im Plural stets in der männlichen Form genannt werden (ausser natürlich, es geht ausschliesslich um weibliche Personen). Nicht nur Lakoff & Co., auch verschiedene Studien besagen, dass Frauen sich so nur «mitgemeint» fühlen.

Es gibt diese witzige Anekdote, dass Luise F. Pusch, Publizistin und eine der wichtigsten Sprachkritikerinnen im europäischen Raum, damals fast vom Klo Hocker gefallen ist, als sie auf der O.B.-Verpackung folgenden Satz las: «Die Menstruation ist bei jedem ein bisschen anders.» Nachdem sie das Unternehmen auf die absurde Grammatik dieses Satzes hingewiesen hatte, wurde der Beipackzettel angepasst. Seither hat es allerhand Ansätze gegeben, die Frauen das Weibliche in der Sprache sichtbar zu machen. Eines der bekanntesten Mittel ist wohl das Binnen-I, das allerdings auch nach 40 Jahren noch verpönt und nur in Texten mit eindeutig linker politischer Ausrichtung zu finden ist.

Heutzutage dominieren deshalb vor allem zwei sprachliche Mittel zur Sichtbarmachung: die Doppelnennung («Verkäuferinnen und Verkäufer», das Binnen-I gehört ebenfalls zu dieser Methode) und die Neutralisierung beziehungsweise Abstraktion des Geschlechts («Belegschaft» oder «Angestellte» statt «Arbeiter», «Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund» anstelle von «Migranten» oder «Ausländern»).

Ja, hier fängt man an zu grübeln beginnt das Grübeln, die Suche nach Alternativen, damit auch möglichst niemand gekränkt ist alle berücksichtigt werden. Das kann recht nervenaufreibend sein, und manchmal geht vor lauter Korrektheit fast die eigentliche Botschaft verloren. Glücklich jene, die gar nicht erst realisieren, dass «die Stimmbürger» auch Stimmberechtigte sein könnten, «die Arbeiter» eigentlich Angestellte sind und «jeder und jede» genau genommen alle sind. Wer sich dessen nicht bewusst ist, macht sich zwar nicht überall beliebt, erspart sich aber so manche Grübelei. Dabei gäbe es in vielen Fällen überraschend einfache Lösungen: Kritische Stimmen sind ja eigentlich auch nichts anderes als Kritiker, von Alkoholkranken oder Nikotinsüchtigen zu sprechen wäre sogar noch eine Spur präziser, als einfach Alkis und Raucher aus ihnen zu machen. Hier drum ein paar überaus korrekte Vorschläge:

  • Bei der Substantivierung von Adjektiven oder Partizipien ist zwar Vorsicht geboten, da, wie bereits erwähnt, nicht alle Varianten präzis sind; trotzdem gibt es viele bereits etablierte Varianten: zum Beispiel Pensionierte, Asylsuchende, Auszubildende (Azubis), Mitarbeitende, Angestellte, Anwesende, Delegierte, Drogenoder Spielsüchtige, Alleinerziehende, Pubertierende, Jugendliche, Parteivorsitzende, Andersdenkende, Erkrankte, Interessierte, etc.
  • Ein weiteres Mittel sind Synonyme oder andere Alternativen, also Fachleute statt Fachmänner anheuern, alle statt jedermann kennen, ärztliche Hilfe suchen statt Ärzte fragen, Ausbildungsplätze in den Geisteswissenschaften schaffen statt mehr Geisteswissenschaftler ausbilden, die Gegenseite statt die Kritiker zu Wort kommen lassen, Ratsmitglieder statt Kantonsräte abwählen, das OK loben, nicht die Organisatoren und so weiter…
  • Passiv- und Infinitivkonstruktionen sind zwar teilweise etwas schwerfällig oder wirken gestelzt, sparsam eingesetzt helfen aber auch sie über gewisse Klippen hinweg: Wenn die Forscher etwa Verunreinigungen im Wasser finden, ist das dasselbe, wie wenn bei der wissenschaftlichen Untersuchung Verunreinigungen festgestellt werden, und wenn der Gesetzgeber etwas verbietet, ist davon auszugehen, dass etwas strafbar ist.
  • Oft vergessen, aber definitiv elegant: Redundanzen weglassen. Wieso schreiben, dass zwei FDPler aus der Fraktion nicht kommen konnten, wenn einfach zwei aus der FDP-Fraktion nicht kommen konnten? Ebenso logisch ist es, dass sich der Quartierverein trifft, nicht die Vertreter des Quartiervereins.

 

Vorleben, nicht vorschreiben

Diese Liste liesse sich natürlich beliebig weiterführen, aber eben: Zuerst einmal müssten einem die möglichen Fettnäpfe auffallen. Und dazu fehlt vielen die nötige Sensibilität – was nicht als Vorwurf gemeint ist, sondern eine häufige Antwort der Befragten in meiner Arbeit war. Wie sich damals gezeigt hat, liegt das unter anderem daran, dass gerade junge Menschen kaum einen Gedanken an sprachliche Gleichstellung verschwenden. Einige, weil es ihnen «zu blöd» oder «zu umständlich» ist, andere – vor allem Frauen –, weil sie sich aus Prinzip mitgemeint fühlen, wenn von «den Journalisten» die Rede ist. Abgesehen von Alex Baur gaben aber alle zu Protokoll, dass sie ihre Texte dennoch so gut es geht gendern, meistens mit Doppelnennungen, auch wenn diese unnötig Platz frässen.

Das wirft Fragen auf. Natürlich; es fühlen sich noch lange nicht alle mitgemeint, wenn von «den Malern», «den Programmierern» oder «den St.Gallern» die Rede ist. Aber wenn das wirklich das Ziel ist, müsste zumindest die Doppelnennung ganz dringend abgeschafft werden. Und ja, auch das Binnen-I.

Wieso? Es geht um die Einstellung in den Köpfen: Je mehr «Besucherinnen und Besucher» in einem Text zu finden sind, desto mehr werden logischerweise «die Besucher» als rein männlich verstanden. So werden die bestehenden Verhältisse zementiert – und nicht nur jene zwischen Männern und Frauen, sondern auch die komische längst überholte Idee, dass es dazwischen nichts gibt.

Es wäre deshalb effizienter, nach Mitteln und Wegen zu suchen, die das Verständnis generischer Maskulina in eine neutrale Richtung lenken, sprich: Eine Gesellschaft, in der «die Besucher» alle möglichen Geschlechter haben, braucht auch keine Doppelnennungen mehr.

Das ist ketzerisch, ich weiss, aber Gleichstellung soll ja nicht vorgeschrieben, sondern vorgelebt werden. Und genauso wenig wie ich eine rein männliche Sprache will, will ich eine Sprache, die mir ein duales Geschlechterbild vorschreibt. Da nützen auch alle Gender-Gaps, Sternchen, Querstriche und Binnen-I nichts – abgesehen davon, dass wir ohnehin kaum umsetzbare Ideen haben, wie man diese Zeichen laut aussprechen könnte, würden sie denn wirklich irgendwann akzeptiert und salonfähig.

 

Corinne Riedener, 1984, ist Saiten-Redaktor 😉
Saiten bemüht sich im übrigen schon bisher und weiterhin nach bestem Wissen und Gewissen, gendergerechte Schreibweisen zu verwenden (Anm. des Lektors).

 

Weiterführende Literatur:

  • Ekerth, K. (2009). Das generische Maskulinum und die feministische Linguistik (1. Ausg.). Grin Verlag.
  • Hellinger, M. (1990). Kontroverse feministische Linguistik: Mechanismen sprachlicher Diskriminierung im Englischen und Deutschen. Hueber Verlag GmbH.
  • Pusch, L. F. (2013). Das Deutsche als Männersprache (13. Ausg.). Suhrkamp Verlag.
  • Pusch, L. F. (2009). Der Kaiser sagt Ja und andere Glossen. Wallstein Verlag.
  • Samel, I. (2000). Einführung in die feministische Sprachwissenschaft (2. überarbeitete und erweiterte Ausg.). Erich Schmidt Verlag GmbH & Co.
  • Sieben, A., & Scholz, J. (2012). (Queer-)Feministische Psychologien – Eine Einführung. Psychosozial-Verlag.
  • Stahlberg, D., & Sczesny, S. (März 2001). Effekte des generischen Maskulinums und alternativer Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen. Psychologische Rundschau , S. 131-140.
  • Trömel-Plötz, S. (1984). Gewalt durch Sprache: Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen. Fischer Taschenbuchverlag GmbH.

 

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