, 25. Juni 2019
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Zu wenig Feminismus auf dem Rosenberg

Braucht die HSG einen Lehrstuhl für Feministische Ökonomie? Das war die politisch brisante Frage an einem Podium in St.Gallen. Das Interesse war über Erwarten gross.

«Frauen fühlen sich zu wenig angesprochen»: Studentinnen an der HSG. ( Bild: Uni St.Gallen)

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die HSG mehr feministische Perspektiven braucht, dann war es dieser Abend. Bis zuhinterst war der Katharinensaal voll, trotz hochsommerlichen Temperaturen. Zum Anlass hatten die SP-Frauen des Kantons St.Gallen und die Feministischen Juristinnen Ostschweiz eingeladen.

Die grosse Präsenz war ein klarer Fingerzeig, dass sich an der St.Galler Uni mehr bewegen soll. Feminismus hat derzeit überall Schub. Schon am Frauenstreik vom 14. Juni war dies sichtbar geworden, der grössten Demo, die die Ostschweiz seit Jahrzehnten gesehen hat.

Kritisch-weibliche Sicht: Wien machts vor

Die HSG will eine internationale Spitzen-Uni sein. Doch andere sind weiter. Die Wirtschaftsuni Wien zum Beispiel. Dort ist Feministische Ökonomie im Lehrplan. Alyssa Schneebaum ist eine der Dozentinnen. Sie erläuterte im Katharinensaal eingangs, was Feministische Ökonomie überhaupt ist. Nämlich eine kritisch-weibliche Sicht auf eine bisher sehr männlich dominierte Wissenschaft. Sie zitierte dazu ein US-Lehrbuch: 1000 Seiten, aber Frauen kommen nur gerade in drei Abschnitten vor.

Die Volkswirtschaftslehre habe zu lange die Rolle von Frauen ignoriert, so Schneebaum. Es sei deshalb auch nicht verwunderlich, dass es vergleichsweise wenige Ökonominnen gebe: «Frauen fühlen sich zu wenig angesprochen.»

Die Feministische Ökonomie stellt den Anspruch, Licht auf die blinden Flecken dieser Wissenschaft zu werfen, wie SP-Frau Margrit Blaser und Gabirela Hauser von den Feministischen Juristinnen Ostschweiz bemerkten. Dazu zählt die ganze Pflege- und Sorgearbeit in der Gesellschaft, die vor allem von Frauen verrichtet wird. Sie ist zum Grossteil unbezahlt, macht aber gemäss Alyssa Schneebaum geschätzte 40 bis 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. «Ohne diese riesige Arbeit gäbe es gar keine Wirtschaft», sagte Schneebaum.

Ob diese unbezahlte, unterbewertete Frauen-Arbeit künftig entschädigt sein soll, darüber wollte sich die Professorin aus Wien nicht weiter auslassen. Es gebe dazu verschiedene Meinungen. Auf jeden Fall könne die Feministische Ökonomie einen wichtigen Beitrag leisten, um wirtschaftliche Prozesse besser zu verstehen.

Das «Frauenproblem» ist männergemacht

Wie aber stellt sich die HSG zu dieser Kritik? Monika Bütler sagte, sie sei tatsächlich die einzige Frau an der HSG auf einem ökonomischen Lehrstuhl. Und sie räumte auch ein: «Wir haben ein Frauenproblem in der Wirtschaftslehre.» Was sie nicht sagte: Es ist männergemacht.

Für Bütler ist ein breiter Blick auf die Wirtschaft unerlässlich. Sie wies darauf hin, dass die Forschung, auch an der HSG, heute sehr breit aufgestellt sei. Auch Ungleihheit sei ein grosses Thema. Einem Lehrstuhl für Feministische Ökonomie kann sie dennoch wenig abgewinnen. Es brauche einfach mehr Frauen in dieser Wissenschaft, so ihr Rezept.

Uneins über Feministische Ökonomie: Philine Widmer, Thomas Bieger, Monika Bütler, Moderatorin Olivia Kühni, Laura Bucher und Alyssa Schneebaum (von links). (Bild: Ralph Hug)

Rektor Thomas Bieger stellte nicht in Abrede, dass die HSG in der Verantwortung für eine zeitgemässe Lehre stehe. Es gebe «wenig beleuchtete» Flecken – von blinden wollte er nicht sprechen – in der Wirtschaftswissenschaft. Doch heute sei viel in Bewegung. Er verwies auf den Bereich Gender and Diversity, der seit Jahren auch auf dem Rosenberg gelehrt wird. Im Übrigen brachte er gegenüber der linken Forderung nach alternativen Ansätzen die Forschungs- und Lehrfreiheit in Anschlag. Man könne den Professoren nicht vorschreiben, was sie zu lehren und zu forschen hätten. Bieger liess aber durchaus Sympathien für die Forderung der Frauen durchblicken.

«Man will das einfach nicht»

«Wünsche allein genügen nicht. Es braucht klare Bekenntnisse»: Dies sagte SP-Kantonsrätin Laura Bucher. Sie war die einzige Politikerin auf dem Podium. Und sie hatte eine klare Botschaft: «Lassen Sie veraltete Lehrbücher verschwinden. Und sorgen Sie dafür, dass sich alle Studierenden während ihres Studiums auch einmal mit Feministischer Ökonomie auseinandersetzen müssen.» Die Kritik der SP-Frauen bemängelt nämlich, dass man an der HSG heute immer noch Wirtschaft studieren könne, ohne dabei je etwas von feministischen Ansätzen gehört zu haben. Dem hatte die Deputation der Uni wenig entgegenzusetzen. Dass eine jüngere Generation aber bereits weiter denkt, liess die wissenschaftliche Mitarbeiterin Philine Widmer erkennen. Sie forderte eine Wissenschaft ohne Scheuklappen, bei der die Geschlechterfrage keine Rolle mehr spiele.

Die St.Galler Uni hat ein feministisches Defizit. So weit, so klar. Davon berichtete aber auch eine Insiderin, die es wissen muss: Julia Nentwich arbeitet seit zehn Jahren als Professorin im Bereich Gender and Diversity an der HSG. Die Bemühungen ihres Fachbereichs seien immer wieder versandet. «Man will das einfach nicht», zeigte sie sich ernüchert und enttäuscht. Eine weitere Votantin kritisierte, es werde sich nur etwas ändern, wenn auch Geld und Ressourcen bereitgestellt würden und mit alternativen Ansätzen ein gewisses Prestige verbunden sei. Fünf Assistenzprofessuren würden schon reichen, um auf Dauer etwas zu bewirken.

Derlei Statements zeigten auf, dass von der HSG viel mehr Engagement erwartet wird. Der Zeitpunkt für Reformforderungen ist günstig: Die von Spesenkandalen geschüttelte HSG will 160 Millionen Franken für einen neuen Campus am Platztor in St.Gallen. Nächsten Sonntag wird darüber abgestimmt.

 

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