Zusammenschmelzen und entfalten

Was passiert, wenn Musiker:innen und Tänzer:innen gemeinsame Sache machen? Es wird musiziert und getanzt, klar. Doch was passiert, wenn sich die Grenzen dazwischen allmählich auflösen? Das zeigt die Produktion Klangtanz im Klanghaus Toggenburg.

Der Or­ches­ter­gra­ben ist ver­schwun­den. Die Mu­si­ker:in­nen ste­hen ge­mein­sam mit der Tanz­kom­pa­nie von Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len auf der glei­chen Spiel­flä­che. Der Balg des Schwy­zer­ör­ge­lis dehnt sich aus­ein­an­der. Am ei­nen En­de zieht ei­ne Mu­si­ke­rin, am an­de­ren ein Tän­zer. Der Kon­tra­bass wippt mit, bis auf ein­mal nur noch die Schrit­te ei­ni­ger Tän­ze­rin­nen zu hö­ren sind.

Beim ers­ten Zu­sam­men­tref­fen von Isa Wiss (Stim­me), Phil­ipp Moll (Kon­tra­bass) so­wie Eve­lyn und Kris­ti­na Brun­ner (Schwy­zer­ör­ge­li, Cel­lo, Kon­tra­bass) mit der Tanz­kom­pa­nie im ver­gan­ge­nen De­zem­ber schmol­zen die bei­den Wel­ten zu ei­ner neu­en zu­sam­men. «Es war auf ein­mal gar nicht mehr so klar, wer Tän­zer:in und wer Mu­si­ker:in ist», sagt Frank Fan­nar Pe­der­sen, Cho­reo­graf von Klang­tanz. Ge­mein­sam mit Chris­ti­an Zehn­der, dem künst­le­ri­schen Lei­ter der Klang­welt Tog­gen­burg, lud er zu ei­ner Art Jam­ses­si­on ein, es war der Start­schuss für ein spar­ten­über­grei­fen­des Pro­jekt, das ab En­de Mai im und um das Klang­haus zu er­le­ben sein wird.

Die bei­den ken­nen sich von der Ar­beit am Thea­ter Ba­sel, wo Zehn­der als Re­gis­seur und Kom­po­nist und Pe­der­sen als Tän­zer ar­bei­te­te. Schon vor ein paar Jah­ren lud Zehn­der ihn ge­mein­sam mit Ja­vier Ro­drí­guez Co­bos nach Neu St.Jo­hann ein, wo die bei­den Tän­zer in ei­ner Per­for­mance auf Schel­len­schöt­ter tra­fen. «Das war ei­ne kraft­vol­le und nach­hal­ti­ge Er­fah­rung, die zum Aus­gangs­punkt für die Ko­ope­ra­ti­on wur­de.» Zehn­der hat den Klang­tanz in­iti­iert. Pe­der­sen macht ge­mein­sam mit Ro­drí­guez die Cho­reo­gra­fie für die Per­for­mance, die ab En­de Mai am Schwen­di­see zu se­hen ist.

Ver­stecktes Poten­ti­al

Pe­der­sen glaubt, dass vie­le Künst­ler:in­nen in ih­ren Rol­len oft gar nicht ihr vol­les Po­ten­zi­al aus­schöp­fen kön­nen. «Klang­tanz ver­sucht nicht, Mu­si­ker:in­nen zu Tän­zer:in­nen zu ma­chen oder um­ge­kehrt. Aber die Mu­si­ker:in­nen in­te­grie­ren mehr Kör­per­lich­keit in ih­re Mu­sik, wäh­rend die Tän­zer:in­nen Rhyth­mus und Klang in ih­re Be­we­gun­gen auf­neh­men. Es geht dar­um, Über­schnei­dun­gen zu fin­den.»

Es ist ein Ex­pe­ri­ment, auf das sie sich ein­las­sen. Und da­mit passt die Pro­duk­ti­on per­fekt in das neue Haus, wo die Gren­zen von Klang und Re­so­nanz aus­ge­lo­tet wer­den. Das Klang­haus ist ein Ort der Krea­ti­on. Es ist nicht nur ei­ne Büh­ne, son­dern vor al­lem ei­ne Werk­statt. Der Pro­zess steht im Vor­der­grund. Im Klang­tanz wird es im­mer wie­der An­ker­punk­te ge­ben, doch da­zwi­schen ist auch viel Raum für Im­pro­vi­sa­ti­on. «Die vier Mu­si­ker:in­nen wer­den ge­mein­sam mit der Tanz­kom­pa­nie das Haus in Be­sitz neh­men und es in je­der Ecke aus­lo­ten», sagt Zehn­der. Ne­ben ih­nen kom­men auch lo­ka­le Schel­len­schöt­ter zum Ein­satz.

Das Klang­haus mit sei­nen or­ga­ni­schen For­men prägt die Per­for­mance be­deu­tend mit. «Der Bau hat Ele­men­te, die an Pa­ra­bol­spie­gel oder Ele­fan­ten­oh­ren er­in­nern», fährt Zehn­der fort. «Sie vi­sua­li­sie­ren die Idee, die Laut­sphä­re und ih­re Im­pul­se von aus­sen auf­zu­neh­men und zu et­was Neu­em zu­sam­men­flies­sen zu las­sen.» So führt auch der Klang­tanz aus der Land­schaft in das Haus. Das Pu­bli­kum wird draus­sen emp­fan­gen und ir­gend­wann in das Haus be­glei­tet.

Das Stück passt zur bis­he­ri­gen Ar­beit von Pe­der­sen am Kon­zert und Thea­ter St.Gal­len. Im­pro­vi­sa­tio­nen mit den Tän­zer:in­nen wa­ren im­mer die Quel­le in sei­nen letz­ten Pro­duk­tio­nen. Die Tanz­kom­pa­nie trifft sich in ei­nem Raum und lie­fert Ideen, die aus­pro­biert und dann gross­zü­gig ver­wor­fen wer­den. «Die Tän­zer:in­nen sind äus­serst krea­tiv und ge­hen mu­tig an die Sa­che ran. Das Ziel ist es, ge­mein­sam mit dem Pu­bli­kum et­was Neu­es zu er­le­ben.»

Pro­vo­kation muss sein

Zehn­der macht kein Ge­heim­nis dar­aus: «Der ei­ne oder an­de­re Tog­gen­bur­ger kann viel­leicht mit Ex­pe­ri­men­ten nicht so viel an­fan­gen, vor al­lem nicht, wenn sie mit Tra­di­tio­nen in Ver­bin­dung ste­hen.» Auf­kom­men­de Ängs­te, dass das ge­heg­te Brauch­tum miss­braucht und ver­hunzt wer­de, sei­en ver­ständ­lich. Dem will Zehn­der ent­ge­gen­set­zen, dass es sich im­mer um ei­ne ge­gen­sei­ti­ge An­nä­he­rung han­delt. Schliess­lich müs­se Kul­tur auch manch­mal an­ecken. «Wer Tra­di­tio­nen le­ben­dig hal­ten will, soll­te sie nicht nur kon­ser­vie­ren, son­dern auch wei­ter­ent­wi­ckeln.» Er will die po­li­ti­sche Ver­ein­nah­mung von Tra­di­tio­nen auf­bre­chen und für al­le öff­nen, die sich da­von in­spi­rie­ren las­sen wol­len. «Wir soll­ten die da­mit ver­bun­de­nen Wer­te nicht ze­men­tie­ren, son­dern mu­tig im­mer wie­der auf den Prüf­stand stel­len.»

Eng­li­sche Tou­rist:in­nen ver­hal­fen dem Alp­horn zum heu­ti­gen Kult­sta­tus, und auch das Hack­brett oder das Schwy­zer­ör­ge­li sind kei­ne rein schwei­ze­ri­schen Er­fin­dun­gen. «Schwei­zer Volks­mu­sik war nie et­was rein Länd­li­ches. Sie war schon im­mer ge­prägt von städ­ti­schen und in­ter­na­tio­na­len Ein­flüs­sen», er­klärt Zehn­der. Die Tanz­kom­pa­nie, be­stehend aus jun­gen Men­schen aus der gan­zen Welt, nimmt das Tog­gen­burg an­ders wahr als die ein­hei­mi­schen Schel­len­schöt­ter. Und die Mu­si­ker:in­nen, die al­le aus der neu­en al­pi­nen Volks­mu­sik kom­men, wer­den zu­sätz­lich für po­si­ti­ve Rei­bung sor­gen. Üb­ri­gens ist auch die Mu­sik noch nicht kom­po­niert. Sie ent­steht bei den Pro­ben, die ge­ra­de an­ge­fan­gen ha­ben. Und so wie Klang und Kör­per schon im­mer zu­sam­men­ge­hör­ten, wer­den auch Tra­di­tio­nen und Ex­pe­ri­men­te zu ei­nem neu­en Stück zu­sam­men­ge­führt.

Klang­tanz: 30. Mai (Pre­mie­re), 31. Mai, 13. und 14. Ju­ni, je­weils 19:30 Uhr, Klang­haus Tog­gen­burg, Wild­haus.
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