, 15. Mai 2022
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Zwischen den Ohren, nicht zwischen den Beinen

«Ich will ja nicht hochmütig sein, aber: Menschen wissen schon sehr wenig über Biologie», schreibt Anna Rosenwasser in ihrer Maikolumne. «Also nicht alle Menschen, aber solche, die trans Personen nicht respektieren wollen.»

Zuerst einmal: Eigentlich muss niemand irgendwas über Biologie wissen, um trans Menschen ein Leben in Würde zuzugestehen. Wenn ich mit einer Hündin namens Bella spazieren gehe und mir jemand sagt: «Oh, sonen Herzige! Wie heisster?», und ich antworte: «Sie heisst Bella», dann macht mein Gegenüber mit hoher Wahrscheinlichkeit Aussagen wie «ah, hoi Bella, sone Gueti bisch». (Oder was auch immer Menschen zu Hunden sagen.)

Dafür braucht es keine Kenntnisse über Hunde-Biologie. Genau genommen ist es sogar recht egal, denn Hunde haben kein Konzept von Gender.

Trans Menschen sind keine Hunde. Es tut mir also bereits leid, diesen Vergleich überhaupt heranziehen zu müssen. Er dient dazu, zu zeigen, dass cis Menschen – also jene, die selbst nicht trans sind – sehr wohl die Fähigkeit besitzen, von «so en Herzige!» zu «Ah, d’Bella, sone Gueti» zu wechseln. Auch dann, wenn es gar nicht so fest darauf ankommt.

Nun kommt es bei den meisten Menschen aber sehr wohl darauf an, ob man ihre Geschlechtsidentität respektiert oder nicht. Der Grund, warum ich das hier so konstatiere, ist der Umstand, wie viele Leute dann mit dem Thema Biologie unter einem Stein hervorgekrochen kommen: Sie berufen sich darauf, dass trans Menschen ja ein biologisches Geschlecht hätten. Und das sei eindeutig. Wenn ich jedes Mal einen Franken bekäme, wenn mir ein Gegenüber in diesem Kontext was von Chromosomen erzählt, könnte ich eine ganze Pride sponsern.

Anna Rosenwasser, 1990, wohnt in Zürich und ist freischaffende Journalistin. (Illustration: Lukas Schneeberger)

Geschlechtsidentität an «biologischen Körpern» festzumachen, ist aus mehreren Gründen unangebracht. Erstens hat Genderidentität nicht mit dem Körper zu tun, sondern mit einem inneren Wissen. Wenn beispielsweise ich meine Genitalien, meine Fähigkeit, zu gebären, oder sonstwelche als weiblich gelesenen körperlichen Merkmale verlieren würde, würde mich das ja auch nicht zum Mann machen. Gender am Körper festzumachen, wird der Vielfalt von Körpern schlicht nicht gerecht.

Zweitens sind Körper sowieso nicht so binär, wie manche selbsternannten Biolog:innen gerne argumentieren: Etwa 1,7 Prozent aller menschlichen Körper können aufgrund ihrer Ausprägungen gar nicht eindeutig den traditionellen Kategorien «Mann» oder «Frau» zugeordnet werden; neben XX- und XY-Chromosomen gibt es weitere Varianten, und auch Hormone und Genitalien können mehr als zwei Ausprägungen haben. (Wer Genaueres wissen will: Tippen Sie «Intergeschlechtlichkeit» in die Suchmaschine Ihres Vertrauens.)

Dass Körper nicht so zweigeschlechtlich sind, hat aber eigentlich gar nichts mit trans Identitäten zu tun: Gender liegt nicht zwischen den Beinen, sondern zwischen den Ohren.

Ich glaube, der wahre Grund, dass Leute sich mit Biologismen gegen trans Identitäten sträuben, ist ein anderer: Dass Gender keine starre Pflicht ist, sondern ein vielseitiges Spektrum, widerspricht allem, was wir im Laufe unseres Aufwachsens lernen. Wagen es Menschen, sich diesen Normen zu widersetzen – indem sie sich selber sind –, bringt das eine Ordnung durcheinander. Diese Veränderung, das Aufbrechen dieser starren Geschlechterordnung, das macht Angst. Es ist eine Entscheidung, dieser Angst mit verdrängender Ablehnung oder mit respektvoller Neugierde zu begegnen.

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