«Mägerle fehlt»

Der Arbeitstitel klingt ganz nach Christian Mägerle, dem Bücher- und Menschenfreund: «Liebendes Ergreifen». (Das erinnert, nebenbei, an ein ähnliches Motto: «Ergriffen sein», das künstlerische Credo von Othmar Schoeck, dem wahlverwandten Komponisten und früheren St.Galler Chefdirigenten, dem stets Mägerles besondere Zuneigunggegolten hat.) Der Arbeitstitel galt dem Plan einer Publikation über Ostschweizer Lyrik aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Für diese Epoche war Mägerle der unbestrittene Spezialist – entsprechend bedauerte Richard Butz an der Gedenkfeier im Kirchgemeindehaus St.Gallen-Lachen, dass aus dem Plan nichts mehr werden könne.
«Mägerle fehlt»: Das betonte nicht nur Butz, das empfanden beim Gedenkanlass wohl alle der über hundert Gäste.
Immerhin: Im Nachlass des im Mai überraschend verstorbenen Dichters und Literaturvermittlers, in der Wohnung «öber em Bäumli», oben an der steilen Stiege an der Schmiedgasse 18, fand sich eine ganze Reihe unpublizierter Gedichte, teils in Varianten, wie Rainer Stöckli bekanntgab. Daraus könnte allenfalls eine Publikation posthum werden – mehr als vier Jahrzehnte nach dem ersten Lyrikbüchlein, dem «Augenblick des Weinsterns».
«Leben und Lesen», Literatur und Leben hätten für Mägerle zeitlebens unauflösbar zusammengehört, sagte Stöckli. Und erinnerte an die Sammelleidenschaft des Freunds, die Gespräche über Buch-Funde, an die literarischen Favoriten des Dichters und Sammlers Mägerle: Hans Carossa, Anton Weinheber, Anton Wildgans, Paula Brocke, H.R. Hilty, Günther Eich, Ilse Aichinger, Karl Krolow…
Lehrerkollege Ruedi Hofmänner trug mit Anekdoten aus der gemeinsamen Schul-Zeit in Winkeln dazu bei, dass Mägerle an diesem Abend dann doch «nicht fehlte» und noch einmal gegenwärtig wurde. Seine Schwägerin und Nichte, Serafina und Michelle Mägerle, erinnerten an die Familienjahre, Richard Butz erzählte von den gemeinsamen Publikationen (darunter die Anthologien «Schreibwerkstatt St.Gallen Lyrik» und «Bäuchlings auf Grün») und las ein Epitaph des Dichterkollegen Ivo Ledergerber vor.
Peter Roth und sein Chorprojekt sangen die passenden Lieder zum Abschied: ein «Herbstlied» von Ruedi Stössel, den Ohrwurm «Per te» von Mikis Theodorakis, Biermanns «Lied vom donnernden Leben» und schliesslich «So trolln wir uns» vom unsentimentalen Liedermacher Bellman aus dem schwedischen 18.Jahrhundert– «so nimm noch einen Schluck, dann stirbst du nicht so schwer».
Mägerles schmale Publikationen, die am Büchertisch auflagen, bezeugten noch einmal, was der St.Galler Altmeister der «klassischen» Dichtkunst, Adrian Wolfgang Martin, in einem Mail zu Mägerles Tod geschrieben hat: Er verneige sich in Ehrfurcht vor einem Dichter, der nie auf dem «Marktplatz der Eitelkeiten» mitspielen wollte, asketisch gegenüber seinen eigenen Werken war und «es vorgezogen hat, nach aussen klein zu scheinen». Die grosse Besucherzahl liess erahnen, wie viele St.Gallerinnen und St.Galler Mägerles uneitle Vermittlungsarbeit und leidenschaftliche Bücherliebe geschätzt haben.