Wer hier eintritt…
«Wer hier eintritt, lasse alle Hoffnung fahren, dass er herauskommt, eh es Morgen wird. Und dass er herauskommt als der gleiche, der hineinging…»
Der deutsche Dichter und Dramatiker Heiner Müller(1929-1995) beschäftigte sich Zeit seines Lebens mit Träumen. Er sammelte Träume von Mitschülern, zeichnete eigene Träume auf und verarbeitete sie zu Traumtexten, die in seinen Stücken, seiner Prosa und seinen Gedichten Einzug hielten und einem seiner Bücher den Titel gaben. Müller sagte dazu: «Mich hat immer die Erzählstruktur von Träumen interessiert, das Übergangslose, die Ausserkraftsetzung von kausalen Zusammenhängen. Die Kontraste schaffen Beschleunigung. Die ganze Anstrengung des Schreibens ist, die Qualität der eignen Träume zu erreichen, auch die Unabhängigkeit von Interpretation.»
Aus den surrealen Texten hat der St.Galler Schauspieler Marcus Schäfer eine Auswahl getroffen, Stefan Kraft hat sie szenisch eingerichtet. Sie werden begleitet von Bildern von Tine Edel und den Stromgitarren von Marcel Elsener und Peter Lutz. Das Trio, das unter anderem auch schon in der Lokremise St.Gallen zu sehen war, gastiert bis Sonntag in Zürich.
Zu einer früheren Aufführung im St.Galler Palace schrieb Florian Vetsch im «Tagblatt»:
Es ist dunkel, als die Gitarristen einen Tonteppich auslegen: schwebend, sinternd, sich rhythmisierend. Da betritt Marcus Schäfer die weite Boxenlandschaft, auf der Stirn ein helles Licht, und liest Müllers Traumtext Die Einsamkeit des Films. Er setzt sich auf einen Würfel und gibt Traumhölle in Berlin ParisBar, dann stehend den Mann im Fahrstuhl etc. Die Traumtexte demonstrieren die Macht des «Schrecklichen», welches nach dem von Müller zitierten Philosophen Schelling «der wahre Grundstoff alles Lebens und Daseins» ist: die Angst vor dem Versagen, der totalen Orientierungslosigkeit, der rasenden Zeit, die Repression, physisch oder systematisch ausgeübt, das Ankämpfen gegen übermächtige Kräfte… Dabei muss man bedenken, dass Müller die Diktatur der Nazis und diejenige der DDR am eigenen Leib erfuhr. Doch seine Texte werden von Marcus Schäfer so packend, abgründig und hautnah dargeboten, dass ihre Aktualität jederzeit ausser Frage steht. Die einstündige Performance versetzt das Publikum in Hochspannung.
Den weiten Bogen beschliesst, getragen von einer versöhnlichen, zärtlichen Gitarrenmelodie, ein spätes Gedicht, das Heiner Müller seiner Tochter Anna gewidmet hat: «Das Glück der Angst // Manchmal zwischen Nacht und Morgen / Seh ich Hunde dich umkreisen / Hunde mit gebleckten Zähnen / Und du greifst nach ihren Pfoten / Und du lachst in ihre Zähne / Und ich wache auf mit Angstschweiss / Und ich weiss dass ich dich liebe».
Traumtexte von Heiner Müller:
Fr 28. 4. 20 Uhr, Sa 29.4. und So 30. 4. je 17 Uhr
Sogar-Theater Zürich
Bild: Dani Fels