Wie, du tanzst noch?

Das kannst du schon? Das tust du noch? Schon, noch: Die nervigen Wörter haben Choreographin Nelly Bütikofer zu einem humorvollen Stück mit Tanz, Wort, Musik und Bild inspiriert. Zu sehen noch heute und morgen im Nextex.
Von  Peter Surber

«Was, in Deinem Alter noch so farbige Kleider? Wie, Du tanzst noch? Oh, noch so beweglich?» Noch, noch, noch…: Das kleine Wort hat eine grosse, fatale Wirkung. Es zementiert die gesellschaftlichen Normen, was welchem Alter angemessen ist und was man gefälligst irgendwann unterlassen soll.

Das Wort nervt, sagen fast alle der älteren Frauen und Männer, die für das Stück von Nelly Bütikofer vor die Kamera (von Kristian Breitenbach) gestanden sind. Sie wollen ihre Spielräume behalten, frei von Altersnormen. Aber sie haben zugleich dieses Noch in sich selber, als Frage, als inneren Zweifler: Kann ich das, darf ich das noch? Wieviel Kraft, Beweglichkeit, Schnelligkeit bleibt mir?

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Mein Ich, mein Körper, mein Ich: Carina Neumer. (Bilder: Christian Glaus)

Noch gut genug  für die Bühne?

Der Schauspieler kennt das Thema: Unversehens wird er für die Väterrollen besetzt und nicht mehr für die jugendlichen Liebhaber. Im professionellen Tanz wird es erst recht existentiell. Sie unterrichte und höre deshalb  im Alltag die Frage «Wie, du tanzst noch?» zwar eher selten, sagt Claire Birrfelder-May. Aber ihr eigener Körper erinnere sie ständig daran. Die junge Carina Neumer bestätigt, dass das nicht bloss eine Altersfrage ist: Sie sei nach einer Verletzung bereits am Ende des Tanzstudiums mit diesem bohrenden Noch konfrontiert worden.

Ein Plädoyer für das Jetzt: Sa 3. Dezember 20 Uhr, So 4. Dezember 17 Uhr, Projektraum Nextex St.Gallen

Weitere Aufführungen: 26. Januar 2017 bühne fasson Lachen, 27. Januar 2017 Theater Schwyz

fasson-theater.ch

Video-Statements sind die eine Ebene in diesem Stück –  mit ihnen überlagert sich raffiniert die Live-Performance. Diese bestreiten die drei Tänzerinnen (Claire Birrfelder-May, Carina Neumer, Angela Stöcklin) zusammen mit zwei Schauspielern (Antje Lördemann und Dani Mangisch) und dem Mann am Bass (Marc Jenny). Alle haben sie auf einfachen Palett-Minibühnen ihre grossen und kleinen Auftritte, in denen lustvoll und mit Witz das «Trotzdem» praktiziert wird.

Denn zum Noch kommt das Schon hinzu, das Kinderwort. «Ich bin schon so alt. Ich kann schon hüpfen und seilspringen.» Kinder machen es, wieder im Video, vor und stecken damit, wiederum live, die Alten an. Und das Publikum dazu. Schon probiert: Hüpfen auf einem Bein, sängerische Mundlockerung? Kannst Dus noch: Armverschränken hinter dem Rücken? Und dann die ewigen Tonleitern am Bass…

Der Mensch, das übende Wesen

Alles übt, wir Zuschauer üben mit, das kollektive Üben wächst sich zu einer der anregendsten Sequenzen in diesem Stück aus. Lebenslanges Üben macht (laut Peter Sloterdijk, im Buch Du musst dein Leben ändern) den Menschen erst zum Menschen. Hier wird es durchexerziert. Und macht Mut und Lust, daheim weiterzuüben.

Nelly Bütikofer beschäftigt sich mit dem Schon und dem Noch seit langem, sie hat diverse Produktionen mit älteren Tänzerinnen realisiert, unter anderem im Tanztheater Dritter Frühling, und sie tritt selber immer noch erfolgreich auf. Für ihr jüngstes, mit einem St.Galler Werkbeitrag gefördertes Stück hat die in Jona tätige Choreographin ihr zusammengewürfeltes Ensemble zu einer packenden Einheit geformt, mit Bewegung, Musik und Bild. Und mit starken Texten. So zersetzt sich das «Jetzt» in virtuos rhythmisierte Silben, Textbrocken von Ernst Jandl wirbeln in die Körper hinein, den poetischen Gegenpol schaffen Gedichte und Prosa von Friederike Mayröcker und Robert Walser.

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Angela Stöcklin, Marc Jenny.

Das Jetzt will nicht recht werden

Länger dahin zieht sich der zweite Teil; die zuvor virtuos gesetzte Bild-Text-Bewegungs-Collage wird von länglichen Tanzetüden in Soli und im Trio abgelöst. Bassist Marc Jenny heizt ihnen zwar mit allen melodiösen und perkussiven Kräften ein, aber es steckt zuviel Konvention und zu wenig Entwicklung im Repertoire der Bewegungen. Sie kommen nicht an jenen Punkt, an den das Stück hinwill: zum Jetzt.

Am Schluss aber ist es wieder da, das kollektive Jetzt: Aus «O»  und «Sch» und «N» und «CH» formt sich ein lautmalerischer Choral. Ein An-Klang an jene Gegenwart, die sich nicht mehr um den gerade verpassten oder noch kommenden Moment schert, um das Könnenmüssen und -sollen, um Pläne und Gewohnheiten und Enttäuschungen, um das Schon und um das Noch. Sondern um die Präsenz, die dem Stück (mit John Lennons Worten) das Leitmotiv gibt: «live is what happens to you while you are busy making other plans.»

Andere Pläne? Dann also: hingehen zu Nelly Bütikofers Plädoyer für das Jetzt. In St.Gallen nur noch jetzt, heute und morgen, im Nextex, dem Projektraum am Blumenbergplatz, den es nächstens auch schon nicht mehr gibt.