Toller Hecht
IlsE Bill, das grosse E ist ihr wichtig, auch wenn Herbie, ihr Lebenspartner und Mann für alles, nicht recht weiss, warum – diese IlsE ist die resolute Chefin auf dem Camping und Vorturnerin bei der Morgengymnastik, die alle Campinggäste obligatorisch zu absolvieren haben. Die meisten sind seit Jahren hier; der Refrain zum munteren Gelenkeschütteln, mit dem das Stück beginnt, gibt die Devise vor: «So mues das immer sy».
Ein Märchen wird wahr
Aber die immergleiche Idylle währt nicht lange. Eines Morgens sichten die Gäste in der Badi eine Riesenflosse, einen «Monsterpiranha», und dem jungen Kenny Bill ist dank drei Semestern Germanistik sofort klar: Mantje mantje timpe te, das muss der Butt aus dem Grimm’schen Märchen sein. Der Fisch, der alle Wünsche erfüllt. Das tut er denn auch.
Der Butt zieht in den Camper von IlsE ein, Herbie wird kurzerhand ausquartiert, und das Füllhorn öffnet sich. Die Garderoben glänzen jetzt golden, Velofan Utzi bekommt ein goldenes Wasservelo, Kontrollfreak Guido eine Drohne, Eventmanagerin Nadja lacht sich Siebenmeilenstiefel an, Kioskfrau Susi badet im materiellen Glück, sogar die notorisch tropfenden Hähne können geflickt werden. Für die «Buttianerinnen» bricht das Schlaraffenland aus.
Für die andern aber die Hölle. Bienenfreundin Ulla, die weitgereiste Carla, die frankophile Florence und die stille Mädi trauen dem «Fischkopf» nicht über den Weg und werden ausgegrenzt. Die Standplatzgebühren explodieren, wer nicht mitzieht, kriegt nur noch schattenhalb Platz. Junior Kenny agitiert, Herbie versinkt in Depressionen.
Die Campinggemeinschaft spaltet sich in zwei Fraktionen, der Tanz um den goldenen Butt wird zur Glaubenssache, und als auch noch Journalistin Pascale zu recherchieren beginnt, eskaliert der Konflikt. Wer das Märchen kennt, ahnt: Die Sache wird bös ausgehen. Beziehungsweise gut.
Aus dem Leben gegriffene Figuren
Man merkt der verschworenen Truppe des Theatervarains die Erfahrung aus früheren Produktionen an: dem Festspiel Der dreizehnte Ort 2013 in Hundwil, dem Theaterrundgang Checkpoint Säntis 2016 im danach abgebrochenen alten Schwägalphotel oder Apéro Riche 2018 in einer Fabrikhalle in Bühler. Es menschelt pointenreich, die Dialoge jagen sich, samt Songs und einem Battle-Rap.
Die Moral des Stücks bleibt allerdings etwas eindimensional: Gold und Geld schüren den Egoismus und verderben den Gemeinsinn, gute Seelen wie der alte Herbie kommen unter die Räder. Zumindest ist aber nicht, wie im Märchen, allein die «Fru», die Ilsebill schuld, vielmehr ist es an vorderster Front das Frauenquartett, das den faulen Zauber nicht mitmachen will.
Beklemmend inszeniert ist, wie der Kult um den «tollen Hecht» mehr und mehr sektenhafte Züge annimmt. IlsE betet die neue Religion vor: «Es gibt nur mich». Und schmückt sich mit einer Krone.
Dass Egoismus und Materialismus fadengrad ins ökologische Unheil führen und unseren Planeten an den Rand des Ruins bringen – das hätte man anno 2023 anhand der Butt-Parabel auch noch deutlicher herausschälen können. Anfangs geht es zur Sache, gegen Plastikverschleiss und Wasserknappheit, für Nachhaltigkeit und Biodiversität. «Reduce to the max» – doch je höher die Wellen rund um den Butt schlagen, desto mehr geht der Klima-Faden verloren.
Weitere Aufführungen: 4., 9., 10. und 11. Juni, jeweils 20 Uhr, Badi Gais
Ihre Rollen haben die Laienspielerinnen aus Improvisationen entwickelt und sich selber auf den Leib geschrieben. Es spielen Aaron Uhler, Andreas Giger, Andreas Rohner, Anita Koller, Franziska Hess, Kurt Löffel, Marianne Neff-Gugger, Myriam Schaufelberger, Rahel Stieger van Dam, Rahel Werner, Ursula Tanner, Yvonne Blattner sowie Matthias Hugentobler als mit allen Wassern gewaschener Butt.
Für Text (Oliver Kühn), Regie (Barbara Bucher), Musik (Stefan Baumann), Choreographie (Sebastian Gibas), Ton (Jerome Longhi) und Licht (Walter Boos) wurden Profis engagiert. Die idyllische Badianlage hat Samuel Neff mit detailreichen Auf- und Einbauten in einen nostalgisch angehauchten Campingplatz verwandelt.
Eins muss man dem Butt lassen: Für das vergangene Premieren- und das jetzige Wochenende hat er perfektes Theaterwetter in die Badi Gais gezaubert. Die bisherigen Aufführungen waren allesamt ausverkauft.