«Dass Kairo gerade ein Museum eröffnet und die Nofretete wieder so im Blick ist, haben wir nicht gewusst», sagt Kuratorin Dinah Ehrenfreund-Michler. Sie freue sich aber über die aktuelle Aufmerksamkeit für die Büste der ägyptischen Königin, die als Ikone der Wissenschaftsgeschichte weltberühmt wurde und bei deren Entdeckung in Ägypten auch deutschsprachige jüdische Orientalisten mitgewirkt haben.
Bereits im Mittelalter haben jüdische Forschungsreisende auf dem Weg nach Jerusalem arabische und nordafrikanische Länder durchwandert und später in der Heimat von ihren Erkenntnissen berichtet. Ab dem 19. Jahrhundert rückt die Erforschung des Orients bei den deutschsprachigen jüdischen Wissenschaftlern immer mehr in den Fokus.
Mit manchen dieser Persönlichkeiten beschäftigt sich die Kuratorin und Initiatorin Felicitas Heimann-Jelinek schon seit dreissig Jahren. Einige Forscher wurden bereits in vorangegangenen Ausstellungen thematisiert, nun widmet sich die neue Sonderausstellung «Die Morgenländer» des Jüdischen Museums Hohenems komplett der Wissenschaftsgeschichte des Judentums und versucht anhand von Büchern, Schriften oder mitgebrachten Artefakten die Forschungsgeschichten der jüdischen Europäer nachzuzeichnen.
Die Suche nach dem Eigenen im Fremden
Die Ausstellung beginnt etwa um 1830, als die Orientalisten in der arabischen Welt und im Islam nach den Ursprüngen und Quellen der eigenen Kultur und Geschichte suchten. «Es wird einerseits die eigene Geschichte historisiert», sagt Ehrenfreund-Michler und beschreibt, wie sich das Judentum durch viele Einflüsse und Entwicklungen gewandelt habe. Andererseits würden die Studien auch zeigen, wie gross das Interesse der deutschsprachigen jüdischen Forscher am Arabischen, am Koran und vielen anderen Sprachen gewesen sei.
Auf der Suche nach den eigenen Quellen begreifen die Wissenschaftler die arabische Welt und den Islam nicht als «das Fremde», sondern als Ursprung ihrer europäischen Kultur. Die Fundstücke werfen dabei grundlegende Fragen zur Herausbildung jüdischer Identität auf. Denn ähnlich wie auch christliche Forscher ihre Erkenntnisse mit der biblischen Geschichte in Verbindung bringen, hätten auch die jüdischen Forscher versucht, «einen selbstbewussten Blick auf die Quellen zu erhalten» und diese bei der Ergründung von anderen Kulturen und Sprachen mit ihren eigenen kulturellen Wurzeln verknüpft.
Auf diese Weise haben deutschsprachige jüdische Forscher etwa Verbindungen zur Königin von Saba in Südarabien interpretiert. David Heinrich Müller, Eduard Glaser und Siegfried Langer untersuchten die Schriftzeichen der sabäischen Sprache und versuchten, über ihre arabischen und hebräischen Kenntnisse eine neue Sprache zu entdecken.
Beispielhaft gibt es in der Ausstellung auch Bühnenzeichnungen von der Oper Die Königin von Saba zu sehen und ein Tempelmodell interpretiert die Idee, wie Salomons Tempel hätte aussehen können. «Diese Begeisterung für diese Länder, diese kräftigen Farben und dieses Exotische, das ergreift sozusagen ganz Europa und hat dann nicht nur Einfluss auf die Musik und den Alltag, sondern auch wieder auf die Wissenschaft», beschreibt Kuratorin Ehrenfreund-Michler.
Aus Gips und dem 3D-Drucker
Anhand der Biografien der Forschenden beleuchtet die Ausstellung auch die Ausgrabungen, die in Babylon und Ägypten vor allem vom jüdischen Unternehmer und Kunstmäzen James Simon finanziert wurden. 1912 entdeckte der jüdische Architekt Ludwig Borchardt die Büste der Nofretete, die in der Ausstellung als Gipsnachbildung gezeigt wird. Der Selfmade-Orientalist Max von Oppenheim hat in Tell Halaf einen ganzen Königspalast und riesige Skulpturen ausgegraben und ein Museum eingerichtet.
Viele seiner gesammelten Objekte, darunter Bücher, Textilien, Wandfliesen, Steinfragmente und Tonaufnahmen, sind nun im Jüdischen Museum zu sehen. In Elephantine wurden Papyri ausgegraben, die jüdische Inhalte haben und nun in digitaler Form bereitgestellt sind. «Man versuchte dann Personen, Inschriften oder Orte mit Legenden aus der Bibel in Verbindung zu bringen», beschreibt Ehrenfreund-Michler. Nicht alles, was interpretiert wurde, sei historisch korrekt. Max Fleischer hat etwa biblische, historische und ägyptologische Vorstellungen anhand von Zeichnungen visualisiert.
Dabei verweisen die Pyramidenzeichnungen auf die Israelit:innen als Sklav:innen in Ägypten. Manche Objekte berichten auch von Fälschungen – Moses Wilhelm Shapira produzierte mit Salpeter behandelte Tonfiguren als vermeintliche «Moabitica»-Funde, die man nun auch als 3D-Druck im Museum betrachten kann.
Männlich dominiert
Anfang des 20. Jahrhunderts wird ein ethnografischer Blick immer wichtiger. «Diese europäisch-jüdischen Forscher, die in die Länder kommen, entdecken plötzlich eine lokale jüdische Bevölkerung vor Ort und sind völlig fasziniert», sagt Dinah Ehrenfreund-Michler und verweist auf den Künstler Ephraim Moses Lilien, der aus seinen Porträtaufnahmen Zeichnungen von «orientalisch geprägten Juden» entwirft und sie als Anschauungsmaterial auf Postkarten drucken und vervielfältigen lässt.
Neben dem kulturpolitischen Machtanspruch, der Aneignung und den Verstrickungen in koloniale Machenschaften wird auch beschrieben, wie Wissenschaftler während des Ersten Weltkriegs «entweder benutzt wurden oder auch selber versucht haben, in machtvolle Positionen zu kommen», denn obwohl jüdische Forscher durch ihre Hebräisch-Kenntnisse vermutlich einen speziellen Zugang hatten, «agieren sie im Prinzip wie alle anderen Imperialisten, Kolonialisten und europäisch privilegierten Männer», fasst die Kuratorin zusammen.
Diese ganze Wissenschaftsgeschichte ist sehr männlich dominiert, Forscherinnen sind kaum vertreten und tauchen erst in den 1930er Jahren auf, als nach der Machtübernahme der Nazis die jüdische Orientalistik für viele Jahrzehnte zu einem Ende kommt.
«Die Morgenländer. Jüdische Forscher und Abenteurer auf der Suche nach dem Eigenen im Fremden.»: bis 4. Oktober 2026, Jüdisches Museum Hohenems.