Für wen spiele ich?

von Dominik Kaschke Liebes Bildungsbürgertum, die ihr ins Theater geht: Achtung, Achtung. Ihr werdet weniger. Klingt hart, ist aber so. Ihr braucht nur den Fernseher einzuschalten und findet die Beweise. Früher hiess es, oh, Bildung wichtig, Unterhaltung mit Niveau und Message, deshalb Barbapapas, Kasperltheater, gemeinsames Bücherlesen und am Sonntag tschechische Märchenfilme. Heute heisst es, Pinkelfleck […]
Von  Gastbeitrag
von Dominik Kaschke
Liebes Bildungsbürgertum, die ihr ins Theater geht: Achtung, Achtung. Ihr werdet weniger. Klingt hart, ist aber so. Ihr braucht nur den Fernseher einzuschalten und findet die Beweise. Früher hiess es, oh, Bildung wichtig, Unterhaltung mit Niveau und Message, deshalb Barbapapas, Kasperltheater, gemeinsames Bücherlesen und am Sonntag tschechische Märchenfilme. Heute heisst es, Pinkelfleck bei DSDS, Exposed, Cheaters, Mitten im Leben (oder: echte Familien beim echten Kollaps, ich fühl mich gut; weil denen gehts schlecht), oder um es auf einen Nenner zu bringen: Bohlen Dieter. DAS ist der Untergang des Abendlandes, nicht die Moslems, und nicht die Chinesen. Und genau deshalb bin ich über jeden jungen Zuschauer glücklich. Weil die könnten auch oben genanntes gucken. Keine Ahnung, ob von der Schule gezwungen oder freiwillig, aber sie sind da. Und das Tolle: Sie reagieren. Jawohl, und zwar in alle Richtungen, positiv wie negativ. Wenn ihnen langweilig wird, schlafen sie nicht ein, sondern werden unruhig. Dann spürt man sie und fängt an, um sie zu kämpfen. Sie fürchten sich, wenn das Gespenst von Canterville auftritt, und lachen in der nächsten Sekunde, weil der Geist vor sich selbst erschrickt. Sie johlen, wenn Mercutio Benvolio vögelt, und weinen, wenn Romeo und Julia sterben. Und ja, manchmal stören sie, oder kotzen ins Klo, weil betrunken, weil Adventszeit, weil Weihnachtsmartkpunsch schon am Vormittag ausgeschenkt wird.
Aber da muss man durch, sonst sitzen wir bald allein im selbst gezimmerten Elfenbeinturm, und erzählen uns gegenseitig im Nachtprogramm auf Arte, warum Theater immer noch Gültigkeit besitzt.
Und deshalb, um auf die Frage zu antworten, für wen ich nun eigentlich spiele, für Kritiker und klassisch gebildete Theatergeher oder für junge Menschen, die sich manchmal daneben benehmen, bin ich bei letzteren. Weil sie mir sofort mitteilen, ob sie es gut oder schlecht finden. Weil sie sich in der Dunkelheit eines anonymen Zuschauerraums trauen, emotional zu reagieren. Sich also damit auseinandersetzen. Weil man die eben nicht unterschätzen darf. Schon der Zukunft wegen.