, 24. Juli 2015
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Sturmfrei

Der «Summer in Saint City» ist gar nicht so langweilig wie manche gern behaupten. Aber sollen sie nur in die Ferien gehen – St.Gallen ist gern allein zuhaus, wie es scheint.

Bild: co

Ganz verstehen kann ich es (trotz einem gewissen Neid) immer noch nicht, warum die Leute im Sommer scharenweise das Weite suchen. Während den Schulferien ist es im Schnitt nämlich ziemlich bis verdammt läss in St.Gallen. Erstens hat man die Stadt praktisch für sich, zweitens lassen sich die Daheimgebliebenen durchaus ein paar glatte Sachen einfallen, um sich die Ferienzeit gepflegt zu vertreiben.

Letzten Freitag zum Beispiel gab’s zum Sonnenuntergang «Rave am Stiel» in der Tankstell. Reicht völlig fürs gute Gefühl: zu guter Musik tanzen, unter Freunden und farbigen Girlanden. Oben stehen und auf die halbleere Stadt schauen. Sie schön finden und sich fragen, ob sie auch gerade aufatmet. Fand ich sehr gepflegt.

Ein bisschen kitschig vielleicht, aber die zweite Party an diesem Abend sollte das rasch ändern. Etwas vom Besten in letzter Zeit: Abtanzen zum Sound von Pa-Tee und P-Beat, in einem Gebräu aus Rauch und Bässen, tief im Innern der Stadt, dort, wo die Sonne noch lange nicht scheint. Eine sehr willkommene Abwechslung zu Openair-Kinos, Gartenbeizen, Kulturfestivals und all den anderen (durchaus besuchenswerten) Anlässen in der Region.

Trotzdem: Auch dieses Jahr beklagen sich wieder Leute, dass es im Sommer amel so tötele in St.Gallen. Die einen, weil Tonhalle und Stadttheater bis Mitte August geschlossen sind, die anderen weil die Clubs (bis auf ein paar Ausnahmen) ebenfalls Sommerpause machen. Vielleicht stört es sie auch, dass die VBSG-Chauffeure den ganzen Juli lang Samstag haben, dass der Rosenbergtunnel nicht mehr jeden Morgen verstopft ist, oder dass die Lokalmedien tatsächlich über Lokales berichten.

Man findet immer eine Ausrede, sich als Opfer eines verschlafenes Nests zu fühlen. Kein Wunder brauchen wir Unsummen für die Standortförderung.

Wieso genau soll St.Gallen im Sommer so langweilig sein? Weil alle weg sind? Mir ganz recht. Weil die Stammläden, Clubs und Institutionen im Juli geschlossen sind, ernsthaft? Ist es so schlimm, wenn man sich dienstags mal nicht zwischen Elternabend, Fitness, Fraktionssitzung und diversen Kulturanlässen entscheiden muss? Eben.

St.Gallen tötelet nicht, es versucht gemütlich zu sein.

Im Ernst, der Sommer hier ist super. Nicht nur dank dem Wetter. In dieser Zeit zeigt sich das St.Galler Stadtleben plötzlich von seiner legeren Seite: Man findet Gartenbeizen, die nicht ganz so pünktlich schliessen. Oder gar nicht, je nachdem wo sie sind. Man trifft Stadtkinder, die sich ganz alleine in die Agglo trauen und sich dann wundern, dass sie nicht öfters in Rorschach oder Dornbirn sind. Es gibt Konzerte, nach denen man gemeinsam in die Weieren juckt – mit der Band, füdliblutt. Man trifft Leute, die ohne Bewilligung «Musig uf dä Gass» machen und sogar vereinzelt Politiker, die freiwillig an Kulturanlässen auftauchen.

Selbst bei der Polizei, so scheint es, hat man derzeit den Sommergroove. Manchmal. Ein bisschen. Zweimal stand sie Freitagnacht vor dem Bunker und beschwerte sich über die Bässe. Drinnen befanden sich mehrere dutzend Leute, die sich bei etwa 50° Raumtemperatur gegenseitig zu-gepsssstet und gewartet haben, bis die Streife wieder abzog. Die DJ’s hatten Pause.

schiissi

Ein Fall für die WC-Polizei: Das Örtchen im Bunker

Die Polizei hat den Laden noch bis nach dem Morgengrauen im Auge behalten. Passiert ist nichts. Was nicht selbstverständlich ist. Vielleicht hatten sie in dieser Nacht etwas wenig Personal, keine Ahnung, oder vielleicht hatten sie – und das wäre die Hoffnung – schlichtweg keinen Bock wegen einer halblegalen Party mit dem Mahnfinger zu wedeln.

Es mag ein subjektiver Eindruck sein, aber der Summer in Saint City scheint den Hiergebliebenen ein wenig aufs Gemüt zu schlagen. Im positiven Sinn. Irgendwie scheint hier derzeit alles sehr gechillt zu laufen. Die Stadt ist im Flow, die Gassen in Farbe. Es herrscht fast schon grossmütige Stimmung. Wie Sturmfrei.

Aktuellstes Beispiel: Das Fest auf der gesperrten Rosenbergstrasse, das laut den Veranstaltern vom «Verein für gaile Sachen» relativ kulant abgenickt worden sei bei der Stadt. Wo sonst Autos fahren, kann man am Samstag den ganzen Tag Karaoke singen, Kuchen essen, Konzerte hören und allerhand mehr.

Selbst wenn mich mein gemütlicher Eindruck täuscht: Tötelig ist die Stadt ganz bestimmt nicht. Zumindest nicht dann, wenn man sich hin und wieder auch mal an unbekannte Orte wagt, während die Standardschüppen zu sind. Oder wenn man zur Abwechslung einfach mal etwas auf eigne Faust macht. Selber was Feines aufzieht. Und im Notfall halt schaut, ob die Polizei vielleicht nicht doch auch ein bisschen den Sommergrove hat.

Fragen kann man natürlich trotzdem, was wohl passieren würde, wenn die Ferien noch ein paar Wochen länger dauerten. Was wohl wäre, wenn sich St.Gallen an diesen Flow gewöhnen würde, wenn Groove und Grossmut bleiben würden. Ob St.Gallen in Wahrheit ein richtig wusliges Pflaster wäre.

 

Titelbild: Souvenir Nummer zwei von Freitagnacht.

 

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