, 4. April 2014
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Schweissperlen und Funkbeats

Es ist urbaner Tanz, Akrobatik und Dazugehören – seit zwanzig Jahren treffen sich Breakdancer am Montagabend zum Training im St.Galler Jugendkulturraum Flon. Jetzt wird gefeiert. von Luca Ghiselli

«Are you ready?», schallt es aus den Boxen, während Stanislav sich in einer Ecke aufwärmt. Die Turnschuhe klatschen mit dem Beat des Funk-Songs auf den Boden. Rhythmisch schüttelt Stanislav die Beine aus, beginnt auch den Oberkörper mit Übungen auf Temperatur zu bringen. Noch sind keine fünf Leute hier. «Die meisten kommen etwa um halb acht», sagt Son Le und setzt sich auf die Bühne im Flon. Er kennt alle, die an diesem Montagabend den Weg an die Davidstrasse 42 in St.Gallen. Flache Hand, dann Faust auf Faust – so grüsst man hier. Auch jene, die man nicht kennt.

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Krasse Posen und freizügige Shirts: Abdullah, 29, kultiviert das Breakdance-Image.

Mit 26 fast ein Urgestein Son leitet das Training. Er stellt seinen Erfahrungsschatz zur Verfügung, beantwortet Fragen und sorgt dafür, dass Musik läuft. «Ich sage ihnen nicht, was sie tun sollen», erzählt Son. Jeder hier habe einen unterschiedlichen Trainingsstand und andere Ambitionen. In der vierten Primarklasse hatten Klassenkameraden Son für das Breaken begeistert. Auch er profitierte damals vom Container, dem offenen Breakdance-Angebot des Jugendsekretariats St.Gallen. «Damals fand das Training noch in der Katharinengasse statt», erinnert er sich an die Anfänge. Während er spricht, beobachtet er die Tänzer, die erste Moves performen.

Es treffen immer mehr Leute im Flon ein. «Einige hier sind ehemalige Schüler von mir», sagt Son und zeigt auf Kilian: «Gegen ihn habe ich vor kurzem einen Battle gewonnen.» Routine habe beim Battlesieg eine Rolle gespielt. Ist man denn mit 26 schon alt in der Breaker-Szene? «Man gehört zu den Erfahrenen.» Das sei ein Vorteil. Denn wenn man Battle-Erfahrung mitbringt, könne man die Taktik besser wählen.

Weibliche Ästhetik

Son steht auf und macht ein paar Moves. In einer Ecke sitzen zwei Frauen am Boden und unterhalten sich. Ein kurzer Blick in den sich langsam füllenden Raum zeigt: Unter rund 15 Trainierenden sind vier Frauen. Wie fühlt man sich als Frau in einer von Männern dominierten Kulturszene? Runa bestätigt: Breaken sei eine Männerdomäne. Das sei aber kein Problem, sondern auch ein Vorteil: «Es ist dafür aussergewöhnlich, wenn Frauen breaken können.» Bei einer Frau sehe die Bewegung zudem ästhetischer aus, geschmeidiger.

Runa ist erst seit kurzem Teil des Containers. Vor drei Wochen kam sie das erste Mal ins Training. Sie kennt nur wenige, die hier trainieren. Livia ist eine davon. Die zwanzigjährige hat dank einem von Son geleiteten Workshop vor fünf Jahren angefangen zu breaken. Am Container und dem wöchentlichen Training schätzt sie die körperliche Betätigung und natürlich die Leute. «Ich habe mir hier ein Umfeld aufgebaut, das mir schnell ans Herz gewachsen ist», sagt Livia. Mitten im Satz stockt sie und wird unruhig. Der Beat hat gewechselt, es muss ihr Lieblingstrack sein. Sie fragt, ob sie tanzen gehen dürfe.

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«Wenn Frauen breaken, sieht es ästhetischer aus», sagt Runa über Jana, 20 (rechts).

Der soziale Aspekt war seit der Geburtsstunde des Breakdance in den Siebzigerjahren immer zentral. Diente das Breaken früher dazu, Jugendlichen auf den Strassen amerikanischer Grossstädte eine Perspektive und ein Ventil zu geben, ist es heute Anlass zur gegenseitigen Motivation. Breakdance fördert das Gemeinschaftsgefühl, gibt den Breakern das Gefühl, Teil von etwas Grösserem zu sein, auch wenns um die Integration geht. Son sagt, er habe schon unzählige Beispiele von geglückter Integration dank dem Container gesehen, soziale Schranken gebe es hier nicht; auch Austauschstudenten, die am Anfang ihres Aufenthaltes niemanden kennen, gehörten zur Klientel. «Durch das Breaken lernen sie auf einen Schlag zwanzig Gleichgesinnte kennen und bauen sich schneller ein soziales Netzwerk in St.Gallen auf.»

Breaken zu James Brown

Das Training wird intensiver. Die ersten Schweissperlen kullern auf den schwarzen Betonboden. Die Beats sind funkig und soulig, kein Hip-Hop weit und breit. Man hört James Brown, ein bisschen Swing-Bläser, wuchtige Bässe – Hauptsache Groove. «In der Szene ändert sich viel, aber die Musik bleibt gleich», sagt Son. Es sei nicht so, dass hier plötzlich zu Elektrobeats getanzt würde.

Was verändert sich? «Hier in St.Gallen, aber auch allgemein ist der Level in den letzten Jahren extrem gestie- gen», meint Son. Früher reichte ein Handstand, nun müssen viel komplexere Moves einstudiert werden, um in Battles zu bestehen. Auch die Moves selbst haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark entwickelt. Breakdance ist insgesamt im Vergleich zu den An-ngen technischer und anspruchsvoller geworden. Sons Traumland ist Korea Son ist der Initiant der Flonbattles, die vergangenes Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum feierten. Auch im Ausland hat er mit seiner Breakdance-Crew GhostRockz, einer der erfolg- reichsten Truppen der Schweiz, Erfahrung gesammelt. Mitte März strahlte das Schweizer Fernsehen eine Dokumentation über die Crew aus, unter anderem wurde die Reise und Teilnahme an einem Battle im französischen Sedan gezeigt.

Battles sind Wettkämpfe, bei denen in Teams oder alleine im K.O.-System gegeneinander angetreten wird. Die Jury beurteilt die Qualität der Aufführung nach Kriterien wie Rhythmus, Ausdruck und Fluss der Bewegungsabläufe. «Wenn ich im Ausland an Battles teilnehme, bin ich motivierter. Weil ich die anderen Tänzer nicht kenne, und weil auch das Niveau meist höher ist», sagt Son. Die USA – Geburtsland des Breakdance – seien heute aber nicht mehr das Mekka %r seinesgleichen. In Korea etwa sei die Faszination für den Sport viel grösser, die Bewunderung der Massen für Breaker breiter als in den Staaten. «In Korea gibt es sogar einen Livesender, vergleichbar mit Eurosport, der nur Breakdance zeigt.»

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Die akrobatischen Moves stehen unter Beobachtung von anderen Breakern – man hilft sich gegenseitig.

Erfolgreiche Container-Breaker

Einige der anwesenden Breaker sind jünger als das Container-Angebot des Jugendsekretariats. Seit zwei Jahrzehnten wird einer einstigen Subkultur, einem sozialen und sportlichen Jugendprojekt, diese Plattform geboten. Dass in diesem Umfeld erfolgreiche Breakdancer heranwachsen und ihre Fertigkeiten entwickeln können, beweisen Tänzer wie Son, der mit seiner Crew bereits mehrmals Schweizermeister wurde. Das 20-Jährige soll jetzt gefeiert werden: Am 5. April findet ein Tag der offenen Tür im Flon an der Davidstrasse statt. Tänzerinnen und Tänzer des Containers präsentieren Live-Performances, ausserdem wird ein Anfänger-Battle 3 vs. 3 durchgeführt. Offene Trainings und Workshops sollen den Interessierten einen authentischen Einblick in die Breakdance-Welt geben. Nachwuchsprobleme kennt der Container übrigens keine. «Wir haben genug Zuwachs, um Breakdance in St.Gallen weitere zwanzig Jahre betreiben zu können», lacht Son.

Der Abend ist inzwischen fortgeschritten und an seinem Höhepunkt angelangt. Die Tänzer sind warm, die Moves werden spektakulärer. Beine wirbeln durch die Luft, wenn die Breaker im Kopfstand um ihre eigene Achse rotieren. Man hilft sich gegenseitig, gibt und holt sich Tipps und spornt sich an. Der Geist des Containers, wie er vor zwanzig Jahren von den Initianten angedacht wurde, wird an diesem Abend gelebt. Kurz vor neun verlassen die ersten Breaker das Training wieder, irgendwann gehen die Lichter aus. Man sieht sich nächsten Montag.

Jubiläums-Anlass des Jugendsekretariats im Flon: Samstag, 5. April, 13–20 Uhr Infos: flon-sg.ch
Breakdance-Battle im Rahmen des Tanzfests St.Gallen: Samstag 3. Mai, 14–17 Uhr, anschliessend Tanznacht Choréoké, Lokremise St.Gallen. Infos: dastanzfest.ch

Fotos: Florian Bachmann

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