Zu Synthklängen brettert ein schwarzer Maserati durch die Dämmerung, der Beat setzt ein. Vorne auf dem Sanktgaller Nummernschild steht «ELIO RICCA», hinten «RCH AF» – also: «rich as fuck». Die Ironie dieser Protzerei wird einem allerspätestens klar, als der Bolide hinter einem Fabrikgebäude hält und sofort von einer pinken Piaggio Ape zuparkiert wird. Elio Ricca steigt aus dem knuffigen Italo-Dreirad und beginnt in They Say They Say über die Konsumgesellschaft und inflationäre Ratschläge zur egomanischen Selbstoptimierung zu singen. Er wird dabei von einer aufdringlichen People-Journi-Meute verfolgt, es gibt eine Überfall- und eine Vamp-Szene, alles gipfelt in einer K-Pop-Choreo. Im Videoclip wimmelt es nur so von popkulturellen Anspielungen. Das sitzt und passt alles hervorragend zusammen. Wie immer, wenn Elio Ricca ein Video produzieren.
Als der Clip vergangenen Dezember rauskam, war vielen nicht sofort klar, dass ein neues Elio-Ricca-Album im Anmarsch ist. Das gschaffige St.Galler Duo hatte sich nach dem letzten Album Luna Park (2022) in erster Linie darauf konzentriert, live zu spielen und dann und wann einzelne Singles rauszuhauen. Wie man das heute halt macht. Doch Elio Ricca, Songschreiber, Sänger, Multiinstrumentalist und Namensgeber der Band, hatte im Frühling 2024 dieses Reissen, doch wieder etwas Umfassenderes zu schaffen. Vielleicht lags an seinen damaligen Lebensumständen, die ihn Tag und Nacht in den Proberaum trieben, oder auch daran, dass er sich seit einiger Zeit vertieft mit Lyrics auseinanderzusetzen begann.
Gegen Weltschmerz und radikalen Individualismus
Die Texte auf Emotional Hardcore, dem mittlerweile vierten Langspieler, sind denn auch persönlicher und tiefgründiger und nicht mehr nur Beigemüse mit mal mehr, mal weniger Sinn wie auf den Vorgängerplatten. Und endlich wagte Elio sich auch an seine Muttersprache. Mit dem Italo-Disco-Banger Miele und der Ballade Tu mi fai male hat er zwei Songs auf Italienisch eingesungen, obwohl er Aufforderungen dazu aus seinem Umfeld lange kategorisch abgewehrt hatte. «Hinter dem Englischen konnte ich mich auch immer etwas verstecken», sagt Ricca.
Elio Ricca: Emotional Hardcore (Mouthwatering Records). Am 22. August auf diversen digitalen Platt- formen veröffentlicht. Eine Pressung ist aktuell nicht geplant.
Live:
5. September, 21.45 Uhr, Musig i dä Stadt, Frauenfeld
Plattentaufe: 5. Dezember, Grabenhalle St.Gallen.

Bei aller Melancholie ist Emotional Hardcore – schon der Albumtitel suggeriert es – mit viel wohltuendem Augenzwinkern durchsetzt. Im wavigen ADHD spekuliert Ricca über eine ADHS-Diagnose, ohne dem übertriebenen Ernst beimessen oder irgendjemanden beschulen zu wollen – inklusive Inkaufnahme der Gefahr, sich wegen des unverkrampften Umgangs mit seelischem Leiden Diskriminierungsvorwürfen auszusetzen, die heute so schnell bei der Hand sind. Und mit dem Schlusstrack Sometimes I Dream Up Places hüpft das Album richtiggehend fröhlich seinem Ende entgegen.
Dem radikalen Rückzug aufs Individuum und eigene Befindlichkeiten als Reaktion auf den allgemeinen Weltschmerz kann die Popkultur im Grunde nur mit Humor und Zuversicht begegnen. «No future» war noch nie die Antwort. Emotional Hardcore hat nun aber nicht den naiven Anspruch, die Welt zu verbessern. Dazu ist Mastermind Ricca viel zu bescheiden. Sein Anspruch gilt guter Kunst. Seine Erzählungen sind persönlich gefärbte Anekdoten, die mit feiner Ironie den Irrsinn der Welt und die Wirrungen des eigenen Lebens widerspiegeln.
Computer-Beats und solides Handwerk
Und der Soundtrack dazu basiert wie gewohnt auf solidem Musikhandwerk. Klanglich ist Emotional Hardcore die logische Fortsetzung des Wegs, den Elio Ricca bereits mit Luna Park eingeschlagen haben: weg vom rauen Zwei-Mann-Garagenrock, hin zu etwas vielschichtigeren Mellotron- und anderen Synth-Experimenten. Eine coole Mischung, die überzeugt. Hübsch ist zum Beispiel das langgezogene Piano- und Chörli-Outro zum Titeltrack Emotional Hardcore. Oder die Referenz auf dessen Haupt-Riff im Folgetrack 1001 Nacht.
Ohrenfällig ist der häufige Einsatz des Drum-Computers. Schlagzeuger Philipp Meienhofer sei deswegen nicht beleidigt, versichert Elio Ricca. Als sie die entsprechenden Parts besprachen, waren sie sich rasch einig, dass der programmierte Beat oft einfach besser passte. Als Konsequenz hat Meienhofer sein analoges Drumkit um einige E-Pads ergänzt. In der Live-Umsetzung, bei der er auch mal gleichzeitig zum Beat einen Synthesizer bedient, zeigt sich Meienhofers Multitasking-Talent, das jenem Riccas in nichts nachsteht.
Als audiovisuelles Gesamtkunstwerk funktionieren Elio Ricca nach wie vor hervorragend. Dazu beigetragen haben diesmal auch Mixer Giuliano Sulzberger (Porchmouse Studio) und Künstlerin Marlène Pichler (Artwork). Schade, gibt es bis auf weiteres keine zusätzlichen Videoclip-Auskopplungen zu Emotional Hardcore, sondern «nur» Shortclips. Aber selbst diese sind allesamt kreative und liebevoll produzierte Hingucker.