, 3. Dezember 2020
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Von der Macht und der Macht der Stimme

Sie hat die grossen Wagner- oder Strauss-Rollen gesungen. Jetzt bringt sie quer durch die Ostschweiz Schubert zu einem jungen Publikum. Die Sängerin Mona Somm über Mobbing auf dem Theater, die «Winterreise» und das Projekt «Play Schubert». Von Dieter Langhart

Szene aus der Videoarbeit zur «Winterreise» von Caroline Schenk.

Sie mag die Anonymität der Stadt. Seit zwölf Jahren lebt sie in St.Gallen, die Sopranistin Mona Somm: weltgewandt, stimmgewaltig, selbstbewusst. Sie waren drei Mädchen, damals im thurgauischen Wilen, ihre Mutter besucht sie regelmässig noch dort. Selber ist sie Mutter eines zwölfjährigen Sohnes.

«Mona Somm liebt Figuren, die laut, stark und trotzdem verletzlich sind», steht im Programmheft zu Whistleblowerin/Elektra, das am 5. November im Zürcher Theater Neumarkt Premiere feierte. Anne-Sophie Mahlers dokumentarisches Stück mit Operngesang bringt den allgegenwärtigen Machtmissbrauch auf die Bühne. Erlitten hat ihn Yasmine Motarjemi bei Nestlé, erlitten hat ihn Elektra in der Antike, erlitten hat ihn auch Mona Somm bei den Tiroler Festspielen in Erl – ihre erste Rolle dort war Richard Strauss‘ Elektra.

Dann wandte sie sich gemeinsam mit vier Kolleginnen in einem offenen Brief an den Festspielpräsidenten. Darin geht es um Mobbing, öffentliche Blossstellung, Demütigung, Schikane, seelische Gewalt, anhaltenden Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung. Im Zentrum: Gründer und Dirigent Gustav Kuhn, genannt «Erlkönig». Mona Somm kennt beides: die Genugtuung der erschaffenen und gesungenen Partien auf der Bühne und die Demütigungen hinter der Bühne, während der Proben.

Das Mass war voll

37 war Mona Somm, als sie Gustav Kuhn kennenlernte. « Da ich mich im Jahr 2011 weigerte, in die Accademia di Montegral einzutreten und einen Vertrag zu unterzeichnen, der mich meines Erachtens wie eine Schülerin behandelte, war der Grundstein für eine komplizierte Arbeitsbeziehung gelegt.» Kuhn habe sie mehr als einmal als seinen «schwierigsten Fall» bezeichnet – auch öffentlich. Weil sie rebellisch war? Die Sängerin hat vieles erduldet, aber sie sagt: «Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht.»

Im Herbst 2017 fand sie endlich den Mut auszusteigen. Eine intransparente Situation führte zum Eklat. «Das Mass war voll», sagt sie. «Eine grosse Enttäuschung in einer schwierigen Situation führte dazu, dass ich unter den gegebenen Umständen nicht mehr für das Festival singen wollte – der offene Brief folgte ein halbes Jahr darauf.»

Mona Somm. (Bild: Edouard Olszewski)

Café der Bibliothek in der Hauptpost, ihr Chai steht auf dem Tisch. «Das Thema ist längst nicht vom Tisch», sagt Mona Somm, das schwarze Haar zu einer wilden Geste hochgesteckt, jetzt geht es um die Gegenwart. Die Sopranistin verweist auf zwei Gesprächsrunden nach Vorstellungen des Stücks Whistleblowerin/Elektra im Theater am Neumarkt in Zürich. Sie spricht von Powerplay, und Übergriffen; von geschenktem und entzogenem Vertrauen; vom Aufbauen und Fallenlassen. «Ich sang in Erl sieben Spielzeiten die schwierigsten Rollen, dann brach mir der Boden weg.»

Mona Somm musste das alles erst einmal sacken lassen nach Monaten der Enttäuschung. «Ich bin musikalisch, umgänglich, eine gute Teamplayerin, ich bin loyal und diszipliniert. Auf der Bühne, beim Vorsingen muss man von sich sich überzeugt sein, die Agenten und Intendanten wollen keine Zweifel spüren.»

Mona Somm geriet in eine Krise, konnte erst nicht loslassen, musste sich fangen, ihren Selbstwert definieren. «Man denkt, es sollte in der Opernwelt Respekt dafür geben, dass man selbstbestimmt ist, mutig und aufrichtig, aber so war es nicht.» Vielmehr herrsche im Operngeschäft Business as usual. «Durch ein Outing wird man noch viel angreifbarer.»

Rückhalt geben ihr die Kolleginnen und Mitstreiterinnen des offenen Briefes, Familie und Freunde. Hat der offene Brief und ihr Rückzug etwas verändert? «Ja, ich bin freier und entspannter geworden», sagt Mona Somm, «aber keinesfalls bitter.» Sie war zwei Jahre ohne Arbeit, vernetzte sich und schuf ein eigenes Projekt: «Ich brauchte etwas, das mich rausholt.»

Unorthodox mit Schubert

«Als ich Schuberts Winterreise entdeckte, war ich fasziniert von der Emotionalität der Komposition. Das Werk hat mich sehr bewegt, und nach und nach näherte ich mich der komplexen Musik» Sie spricht von einer grossen Herausforderung: «Die Winterreise ist ein Meisterwerk, das höchste Ansprüche an die beiden Interpretinnen, an Stimme und Klavier stellt.» Sie hatte genügend Zeit dank eines Einsatzprogrammes des Bundes im Kulturmarkt Zürich, und unter anderem galt ein Kursteil der Lancierung von Projekten. «Ich fühlte mich sehr motiviert. Aus früheren Jahren kannte ich die Form der Projektlancierung: selbständig, selbstbestimmt, verbunden mit viel Arbeitsstunden und Verantwortung.»

Videostill zur Winterreise von Caroline Schenk.

Als erstes stellte sich Somm die Frage: Wie Schubert musikalisch umsetzen, damit der Publikumsradius sich erweitern kann? «Ich überlegte mir gleich zu Beginn, den Zyklus mit einem neuen, andersartigen Instrumentarium zu besetzen; auch Kinder, Chöre, Laien sollten die Lieder singen. Die musikalische Sprache des Romantikers Schubert sollte kaum angetastet werden, nur die Farben sollen sich erneuern.» Mona Somm stellte sich Arrangements aus verschiedenen Sparten wie Klassik, Chanson, Elektro-Pop und alle Arten von Instrumenten vor. «Unorthodox und wild sollte es werden, doch die Idee hätte den personellen Rahmen gesprengt.»

In Jacques Erlanger fand sie einen gut vernetzten Kulturmanager und Projektleiter aus der Region St.Gallen. Und er war es auch, der ihr zu einem «richtigen Bruch» riet. Denn Mona Somms Ziel war es vor allem, die Jugend anzusprechen. Schon zu Beginn stand die Idee einer visuellen Umsetzung im Raum, die die Musik auf einer zusätzlichen Ebene zeitgemäss darstellt. «Ich holte die Videoperformerin Caroline Schenk ins Boot. Wir kannten uns aus einem ehemaligen Atelieraufenthalt an der Cité des Arts in Paris. Und Erlanger kannte Valentin Baumgartner und seine Urban Band Extrafish.»

Die Videoinstallation von PlaySchubert ist noch bis 6. Dezember im Zeughaus Teufen zu sehen. Weitere Stationen in der Ostschweiz: 17. Dezember bis 3. Januar, Lokremise St.Gallen, 29. Januar bis 7. Februar, Hof zu Wil, 25. Februar bis 6. März, Remise Chur, 30. April bis 12. Mai Talhof/GBS St.Gallen und andere.

playschubert.ch

Es entstand in einem langen Prozess das Projekt PlaySchubert. Der Untertitel bringe es auf den Punkt, sagt Somm: «Popconcert @ Installation». Videoperformerin Caroline Schenk habe ihre eigene, ganz persönliche Winterreise geschaffen. «Sie macht aus dem Wanderer eine Wandererin und transformiert die düsteren und schweren Textinhalte von Wilhelm Müller in eine heutige, sensible und humorvolle Sprache um.» Untermalt wird die Arbeit mit den von Mona Somm und Pianistin Ute Gareis eingespielten Soundtracks nach den Originalkompositionen Schuberts. Der «Bruch», der alles auf eine neue, eine jugendliche Ebene hebe, sei die Musik, die Valentin Baumgartner komponiert hat.

Krähe lies mir Kafka

Mona Somm zitiert Komponist Baumgartner zu seinem von Franz Schubert inspirierten Album Krähe, lies mir Kafka: «Zugedröhnt im Rausch der Arbeit, des Konsums und der Grossstadthektik entsteht ein Kontrollwahn über die Emotionen des Neuzeit-Wanderers. Ich übersetze Schuberts Winterreise aus der Klassik in eine zeitgenössische Sprache zwischen Pop-, Urban- und Kunstmusik.» In einem Satz: «Wir zelebrieren dubbige, trippige Popmusik im Dadagewand.» Die Idee dahinter sei so schlicht wie bestechend, sagt Mona Somm: «die jungen Hörer einzuladen, durch die Installation und Performance-Videos Schuberts Original kennenzulernen.»

Nur 50 Hörerinnen und Hörer pro Konzertvorstellung sind aktuell erlaubt – an der Premiere im Kult-X Kreuzlingen war eine ganze Schulklasse dabei, machte bei der Fragerunde mit. Zum Projekt gehören auch Workshops zu Musik, Video/Performance und Literatur, zu finden auf dem Kulturvermittlungsportal kklick.ch.

Somm sagt: «Einer zweiten Sekundarklasse erzählte ich morgens um halb acht in meinem Gesangsworkshop Wissenswertes über das Singen wie auch aus meinem Leben. Wir redeten über Selbstbestimmung, Fleiss und Disziplin ebenso wie über das Scheitern und das Sich-wieder-Aufrichten.» Um halb acht sei es ohnehin für Sängerinnen und Sänger noch zu früh, um ein hohes C zu schmettern.

Was kommt nach Play Schubert? Mona Somm kann sich weitere Projekte vorstellen, die neben der Musik auch etwas zum gesellschaftlichen Leben beitragen. Und: «Auf eine erneute Walküre Wagners, ohne Klinken putzen zu müssen, würde ich mich sehr freuen. Jetzt aber sind wir ganz PlaySchubert.»

Dieser Beitrag erschien im Dezemberheft von Saiten.

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