, 12. Dezember 2013
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Das Asyl-Zauberwort

Lampedusa, Asylgesetzrevision, humanitäre Tradition: Was ein Streitgespräch über Schweizer Werte hätte werden können, wurde in der St.Galler Offenen Kirche zum Kaffeesatzlesen. Luca Ghiselli berichtet.

Im Rahmen der St.Galler Friedenswoche trafen sich am Mittwoch Asylexperten aus der Region. Die Frage, die als Motto der Veranstaltung rhetorisch klang, lautete: Ist die Schweiz noch humanitär?

Die Diskussion beginnt schleppend, auch weil sich die Teilnehmenden in vielen Belangen einig sind. So widerspricht niemand, als Tilla Jacomet, Leiterin des Hilfswerks der evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS), der Schweiz eine Mitverantwortung für die humanitäre Katastrophe vor Lampedusa attestiert. Stadtparlamentarier Basil Oberholzer (Junge Grüne) fügt an, dass durch die Kontingente eine solche Mitverantwortung schwarz auf weiss nachzuweisen sei.

Jürg Eberle, Leiter des kantonalen Migrationsamtes (auf dem Bild ganz rechts), betont hingegen immer wieder, dass er nur ausführe, was der Bund beschliesse. Im Vollzug seien die Gemeinden ohnehin autonom, auch dort könne der Kanton nichts machen. Oberholzer hakt nach. Fordert, man müsse wachsam sein. Bezweifelt, ob sich die Gemeinden, die Asylsuchende aufnehmen, an die Regeln halten.

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Auf die Frage von Moderator Kaspar Surber, ob die Asylgesetzrevision tatsächlich eine Beschleunigung der Verfahren mit sich bringe oder ob eben jene Beschleunigung ein Zauberwort bleibe, weiss niemand so recht eine Antwort. «Beschleunigte Verfahren sind auch heute möglich», meint Tilla Jacomet. Ein Problem sei die Verkürzung der Rekursfrist. Diese führe dazu, dass tendenziell negativ zu beurteilende Gesuche prioritär behandelt würden. «Diejenigen, die sowieso irgendwann eine Aufenthaltsbewilligung bekommen, vegetieren so jahrelang mit einem N-Ausweis vor sich hin.»

Ob die Asylgesetzrevision etwas bringe, sei zu diesem Zeitpunkt Kaffeesatzlesen, sagt Jürg Eberle. Grundsätzlich töne die Revision aber gut, denn: «Die einzigen, die davon nicht profitieren, sind jene, die aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz geflüchtet sind.» Eberle zitiert eine Statistik, die besagt, dass 85 Prozent der Flüchtlinge in der Schweiz nicht an Leib und Leben bedroht seien. Es könne nur im Interesse der wirklich Schutzbedürftigen sein, wenn sich jene 85 Prozent nicht zu lange in der Schweiz aufhielten.

Die Kernfrage des Abends bleibt bis fast zum Schluss unbeantwortet. Ist die Schweiz nun humanitär oder nicht? Tilla Jacomet meint, dies sei im 18. und 19. Jahrhundert vielleicht der Fall gewesen, doch nach der Jahrhundertwende sei es bergab gegangen. Andere Länder seien mutiger und unkomplizierter im Umgang mit Asylsuchenden.

Zurück bleibt der Eindruck, dass die Schweiz mit der Asylgesetzrevision einen Sprung ins Ungewisse wagt. Die Diskussionsrunde liess auch in diesem Punkt verschiedene Interpretationen, aber keine Schlüsse zu.

Bild: Andreas Schwendener

Die Abschluss-Veranstaltungen der Friedenswoche:

12. Dez., 16-21 Uhr: Briefmarathon Amnesty International. Restaurant Schwarzer Engel

13. Dez., 19.30-21 Uhr: Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung – eine  eklatante Verletzung der Menschenrechte. Vortrag von Anne Pawletta (Politikwissenschaftlerin und Beraterin bei der Internationalen  Arbeitsorganisation). Leitung: CaBi, Katharinensaal St. Gallen

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