, 29. Mai 2014
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Die Freiheit der Ewigkeit

Morgen findet in Zürich die Trauerfeier für HR Giger statt. Künstler und Autor Akron alias Carl-Friedrich Frey will seinem einstigen Weggefährten einen letzten Brief mit auf die Reise geben.

Lieber Hans-Ruedi,

Die erste Berührung war lange bevor wir uns persönlich kennenlernten, zur Zeit nämlich, als mir dein erster grosser Bildband Necronomicon (1984) in die Hände fiel, dessen Titelbild ein faszinierendes Monster zeigte: Baphomet, ein Symbol der Verbindung von rationaler und irrationaler Welt. Beim näheren Betrachten fiel mir auf, dass es kaum den Schimmer einer seelischen Aufhellung zu zeigen schien; es verkapselte in sich Verzahnungen menschlichen Leidens in einer geradezu grotesk-selbstquälerischen Perfektion. Diese eruptiven, filigran gestalteten und sehr verschachtelten Motive verdichteten und überlagerten sich zu einem bizarren Panoptikum von Eros und Thanatos, Traum und Realität, und ich fragte mich, enthüllten sie angesichts des alltäglichen Grauens nicht Ängste, die sehr real sind? Ängste, die wir nicht zulassen wollen und die deshalb ihre natürliche Aufgabe nicht erfüllen können, nämlich uns mit den Auswirkungen unseres eigenen Handelns zu konfrontieren? Damit reihst du dich nahtlos ein in die Galerie großer Künstler, denen es nicht möglich scheint, sich mit der öffentlich sanktionierten Konstruktion der Wirklichkeit in einem faulen Kompromiss zu arrangieren. Sie sind es, die in inspirierten Augenblicken jene innere Form des Geistes erspüren, dem sich unsere kollektiven Vorstellungen nachbilden.

Szenenwechsel. Ein paar Jahre später war ich Gast bei dir in Zürich-Seebach. Du wolltest mir etwas draussen zeigen, und schon bald stand ich im verwilderten Garten und lauschte dem geheimnisvollen Raunen der Bäume. Es war der Versuch, jenes tiefe innere Erahnen zu ergründen, das einen jeden befällt, der in deiner psychischen Aura meditiert und sich in das kollektive Schaudern versenkt, mit dem du dich zeitlebens in deinen Bildern auseinandergesetzt hast und das dich in einem Glied mit Meistern wie Kubin, Lovecraft oder Dali zeigt. Es ist dieses merkwürdige Kribbeln, das den Betrachter befällt, wenn er sich in deinem seelischen Szenario aufhält, dieses menschliche Grauen, abstossend und faszinierend zugleich, das sich über deine schöpferischen Visionen hinaus inzwischen einen festen Platz in den kollektiven Abspeicherungen der Menschen erobert hat. Vielleicht war es aber auch dein künstlerischer Ausdruck, der die Schrecken der menschlichen Seele in den US-amerikanischen Blockbustern der 80er und 90er ins Licht des Bewusstseins heraufgespült hat und inzwischen in allen gängigen Designs und Stilrichtungen Heimat gefunden hat.

Geisterbahn«Obacht!» riefst du laut, als du auf einem fauchenden Gefährt, eine Kreuzung aus Ungetüm und Schneepflug, direkt aus deinem Schlafzimmer auf mich zugerumpelt kamst, strahlend wie ein kleiner Junge, der sich in der Erinnerung seiner Churer Jugend, im Hauseingang der Storchengasse 17, im flackernden Licht zwischen den Skeletten, Monstern und selbstfabrizierten Pappleichen seiner ersten Inszenierung (Geisterbahn 1, 1955) bewegt. Diese «Gartenbahn» hier, an der du mit deinen Helfern Tag und Nacht wie ein Besessener tüfteltest, ging auf den Science-fiction-Streifen Species (1995) zurück, in dem du neben der weiblichen Filmfigur Sil auch einen Zug realisiertest, der als schnaubendes Ungeheuer, wenn auch nur für gerade mal acht Sekunden, durch den Film raste. Ja, wenn alle deinen Garten sehen könnten…: Geleise krümmen sich in mysteriöse Tunneleingänge, der Weg ist mit allerlei Totenköpfen und Schaufensterpuppen gesäumt, Dämonen quellen zwischen den Überresten eines gestrandeten Ufos zwischen den Büschen hervor, das Ganze ist ein Konstrukt von Bühnen, ineinander verschachtelt, und im Mittelpunkt sitzt der Meister auf dem Kommandositz seiner Lokomotive und rattert durch eine Welt surrealer Motive. Am Ende der Strecke führt die Reise über den 1,70 Meter tiefen Pool, bis zum Rand gefüllt mit einer seit Jahrzehnten vor sich her faulenden Brühe, direkt durch ein grosses Fenster wieder ins Schlafzimmer zurück.

Ein Jahr später kam dann der Erwerb eines Teils des Schlosses Saint-Germain in Gruyère hinzu, in dem du dein eigenes Museum als eine Art Rahmen zur «Rettung deines Werkes» installiertest, Ausdruck deines Protests an die staatlichen Institutionen, die mit deinen Bildern einfach nichts anzufangen wussten. In den folgenden Jahren habe ich erlebt, dass, je mehr du dich von den musealen Gralshütern zurückgezogen hast, die deine Kunst zur Gebrauchsgrafik oder gar zum Horrorspektakel reduzierten, jüngere Menschen immer mehr nach dir verlangten, denn durch die Popularität deiner Filme bist du vor allem in den Staaten zu einem richtigen Pop-Star geworden. Und wieder trat die mysteriöse Geisterbahn aus deiner Vergangenheit in die Gegenwart: diesmal als ein kostspieliger Traum in den Gemäuern aus dem 15. Jahrhundert, das schon beim Kauf fast zwei Millionen Franken verschlang. Und auch wenn sich deine Vision nicht so toll entwickelt hat, wie du es dir vielleicht im Geheimen ersehntest, eine elektrisch angetriebene Bahn, mit der die Besucher durch deine Bilder «hindurchfahren», eine Art erlebter Szenen, während durch Lichteffekte verstärkte Monster und Aliens dreidimensional aus den Wänden drängen bzw. auf die Betrachter einwirken, so ist es dir in all den Jahren immerhin gelungen, das Museum für Besucher aus aller Welt kostendeckend zu führen.

Lieber Hans-Ruedi, dein Leben war erfüllt vom unablässigen Entwerfen von Bühnen: Du hast Bühnen designt, Höllenbühnen eben, und mehrdimensional ineinander gestellt. Und du verführtest den Betrachter für einen Moment, diese Bühnen zu betreten und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Irgendwie warst du ein Wanderer in den Grenzbereichen menschlicher Erfahrungswelten, der eine direkte Verbindung zum Unbewussten hat und dessen künstlerisches Können es dir ermöglicht, aus deinen inneren Visionen in Form von Bildern, Skulpturen und Design äußere Realitäten zu schaffen. Mit anderen Worten: ein moderner Aufklärer, der den Finger auf die wunden Stellen unserer Lebensweise legt. Wenn du dies nicht auf klassisch-aufklärerische Art und Weise tatest – nämlich mit Hilfe der Logik, der kritischen Vernunft und des rationalen Arguments –, sondern in irrationalen, mystischen Visionen, dann deshalb, weil auch die Bedrohung unserer Welt in ihrem innersten Kern zutiefst irrationale Züge aufweist. Damit hast du die Menschen wieder in Kontakt mit ihrem Unbewussten gebracht. Und nicht nur das. Es ging dir auch darum, die Menschen an der Hand zu nehmen und die dunklen Räume zu durchqueren, denn nur die, die diese Räume nicht betreten, müssen Angst vor ihnen haben, denn es ist die Angst vor der Angst, die uns krank macht: nicht die Bilder, unsere Angst vor ihnen ist es, die uns quält.

Ich wünsche dir die Freiheit der Ewigkeit immer neuer Bilder und die unerschütterliche Freude am Ende als Voraussetzung zum ständigen Neuanfang.

Akron alias C. F. Frey

Die Trauerfeier für HR Giger findet am Freitag, 30. Mai um 13 Uhr im Zürcher Fraumünster statt. Musikalisch wird sie von Malcolm Green und Urs C. Eigenmann aus St.Gallen begleitet. 

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