Eine Band wie ein Fiebertraum

The Birthday Party: Mick Harvey, Nick Cave, Tracy Pew, Phil Calvert (obere Reihe von links) und Rowland S. Howard (mittlere Reihe 2. von rechts). (Bild: pd) 

The Birthday Party zählten in der kurzen Zeit ihres Bestehens zu den wildesten Bands der Rockszene. Ein Film zeichnet die Explosivität der Post-Punk-Gruppe um Nick Cave nach.

Es gibt Band­do­kus, die er­zäh­len. Und es gibt Mu­ti­ny In He­a­ven. Die­ser Film brüllt, kreischt, häm­mert, kratzt, sab­bert. Er ist ein au­dio­vi­su­el­ler Höl­len­ritt, der ei­ne Band da­bei be­glei­tet, wie sie wie in ei­nem Fie­ber­traum durch die Sub­kul­tur von Lon­don und Ber­lin rast, bis sie schliess­lich im­plo­diert: The Bir­th­day Par­ty.

Noch lan­ge, be­vor Nick Ca­ve mit den Bad Seeds zu ei­nem der pro­fi­lier­tes­ten Song­wri­ter der al­ter­na­ti­ven Rock­mu­sik auf­stieg, der heu­te rie­si­ge Hal­len füllt und des­sen Kon­zer­te in­zwi­schen wie Mes­sen sind, pflüg­te er mit The Bir­th­day Par­ty wie ein Ber­ser­ker durch den Un­ter­grund. Be­ein­flusst von der Punk-Ex­plo­si­on, grün­de­te der Aus­tra­li­er Mit­te der 1970er-Jah­re mit sei­nen Schul­freun­den Mick Har­vey (Gi­tar­re) und Phil Cal­vert (Schlag­zeug) so­wie mit Tra­cy Pew (Bass) die Grup­pe The Boys Next Door. Mit Row­land S. Ho­ward, des­sen viel­schich­ti­ges Gi­tar­ren­spiel und Krea­ti­vi­tät die Mu­sik auf ein neu­es Le­vel ho­ben, fand sie die per­fek­te Er­gän­zung. Schon bald mach­te sich die Band in der Sze­ne ih­rer Hei­mat ei­nen Na­men.

1980, kurz nach­dem sich The Boys Next Door in The Bir­th­day Par­ty um­be­nannt hat­ten, zog die Band nach Lon­don. Statt dem er­hoff­ten Auf­schwung kam je­doch der Ab­sturz: Ar­mut, Al­ko­hol, Hun­ger, Dro­gen. Und ei­ne Sze­ne, in wel­che die Band, die das Mu­sik-Es­tab­lish­ment ver­ach­te­te, nie so recht rein­pass­te. Die Mu­si­ker ent­wi­ckel­ten ei­nen Hass ge­gen­über der Stadt und flüch­te­ten 1982 nach Ber­lin, wo sie im blü­hen­den künst­le­ri­schen Um­feld neue In­spi­ra­ti­on fan­den – je­der für sich. Per­sön­li­che und krea­ti­ve Span­nun­gen führ­ten aber letzt­lich da­zu, dass sich The Bir­th­day Par­ty 1983 auf­lös­ten.

Ihr Sound – fest­ge­hal­ten auf drei Stu­dio­al­ben – war ei­ne ex­plo­si­ve Mi­schung aus wü­ten­dem Post-Punk, Blues, Rocka­bil­ly, Noi­se und Psy­che­de­lic Rock.

Die In­ten­si­tät wird spür­bar

In Mu­ti­ny In He­a­ven rollt Re­gis­seur Ian White die Ge­schich­te von The Bir­th­day Par­ty auf, in ani­mier­ten Col­la­gen, zer­kratz­ten Su­per-8-Auf­nah­men, hys­te­risch flir­ren­den Tapes, brü­chi­gen Er­in­ne­run­gen. Zwar han­delt es sich bei den meis­ten In­ter­views mit den Band­mit­glie­dern um Ar­chiv­ma­te­ri­al, der Er­zäh­lung tut das aber kei­nen Ab­bruch. Es gibt vie­le in­ter­es­san­te Ein­bli­cke, Stu­dio­auf­nah­men und Kon­zert­mit­schnit­te. Auch der 2009 ver­stor­be­ne Row­land S. Ho­ward kommt aus­führ­lich zu Wort. Ein­zig von Tra­cy Pew, der 1986 starb, gibt es kein Au­dio- oder In­ter­view­ma­te­ri­al. 

We­nig Be­wegt­bil­der gibt es auch aus den An­fangs­ta­gen von The Boys Next Door. Wo die­se für die Er­zäh­lung feh­len, hat Rein­hard Kleist Ani­ma­tio­nen bei­gesteu­ert. Ca­ve-Fans dürf­te er als Au­tor bzw. Zeich­ner der Co­mic-Bio­gra­fie Nick Ca­ve: Mer­cy On Me und des il­lus­trier­ten Bild­bands Nick Ca­ve & The Bad Seeds (bei­de 2017) be­kannt sein. Die­se Ani­ma­tio­nen wir­ken nie als Not­lö­sung, son­dern ge­ben dem Film zu­sätz­li­che Tie­fe.

Ei­ne gros­se Stär­ke des Films ist, dass er die In­ten­si­tät spür­bar ver­mit­telt, je­ne der mu­si­ka­li­schen und zwi­schen­mensch­li­chen Span­nun­gen ge­nau­so wie je­ne der Kon­zer­te. Die­se wa­ren ei­ne Grenz­erfah­rung – laut, wild, un­be­re­chen­bar, ag­gres­siv, ge­walt­voll, ge­fähr­lich. Die Band war um­ge­ben von Cha­os, und die­ses kul­mi­nier­te an ih­ren Kon­zer­ten. Ca­ve ver­wan­del­te sich auf der Büh­ne in ein ma­ni­sches, spei­en­des Biest, elek­tri­siert vom er­bar­mungs­lo­sen Sound sei­ner Mit­mu­si­ker. Die­se En­er­gie ent­lud sich in kör­per­li­chen Kon­fron­ta­tio­nen mit dem Pu­bli­kum. Ge­walt als Teil der Kunst. 

Ein fes­seln­des Do­ku­ment

Die­ser Ruf eil­te The Bir­th­day Par­ty vor­aus – und zog Zu­schau­er:in­nen an, die vor al­lem der Ge­walt we­gen ka­men und die­se auch selbst prak­ti­zier­ten. Die Band, ins­be­son­de­re Ca­ve, fühl­te sich vom Pu­bli­kum zu­se­hends ab­ge­stos­sen. «The Bir­th­day Par­ty zog die zy­nischs­ten, selbst­ver­ach­tends­ten Ni­hi­lis­ten an, die man sich vor­stel­len konn­te. Die Art von Leu­ten, für die ich nie wirk­lich Zeit hat­te, selbst da­mals nicht, als ich selbst ei­ner war», schreibt Ca­ve in sei­nem 2022 er­schie­ne­nen Buch Faith, Ho­pe and Car­na­ge.

Dass der Film eben­falls manch­mal über­hitzt – ge­schenkt. Mu­ti­ny In He­a­ven ist ge­wis­ser­mas­sen ein Zerr­bild, aus der Per­spek­ti­ve der Mu­si­ker, die auch mit jah­re­lan­gem Ab­stand gröss­ten­teils un­kri­tisch auf je­ne Zeit zu­rück­bli­cken. 

Mu­ti­ny In He­a­ven ist aber auch ein fes­seln­des Do­ku­ment ei­ner Band, die so kom­pro­miss­los leb­te, wie sie un­ter­ging. Ei­ne fast schon wit­zi­ge No­te ist, dass Nick Ca­ve am Schluss des Films sagt, er ha­be nie her­aus­ge­fun­den, war­um sich The Bir­th­day Par­ty auf­ge­löst hät­ten. Man selbst fragt sich, wie sie die paar Jah­re über­lebt ha­ben.

 

Mu­ti­ny In He­a­ven: ab 20. Ju­ni, Ki­nok St.Gal­len und Ki­no Ca­meo Win­ter­thur.
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