Kämpfen lohnt sich

Das Buch der Klimaseniorinnen Als die Schweiz ins Schwitzen kam erzählt die Geschichten der Aktivistinnen, welche die Schweiz am 9. April 2024 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in die Knie zwangen. Ein Buch, das einen Überblick zum historischen Entscheid gibt und Hoffnung macht.

Viola Poli, 1992, zeigt im «Bücherherbst» Abdrücke von Wildsalbeiblättern auf mit Bienenwachs getränkten Stoffen sowie Biokunststoffe aus Asche und Holzkohle. Damit möchte sie ökologische Fragen thematisieren und eine Perspektive fernab der menschlichen einnehmen.

Die Schweiz ver­letzt Men­schen­rech­te, weil sie nicht ge­nug ge­gen die Kli­ma­kri­se tut. Das ent­schied der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) ver­gan­ge­nes Jahr. Der be­deut­sa­me Sieg für mehr Kli­ma­ge­rech­tig­keit ist das Er­geb­nis jah­re­lan­ger Vor­be­rei­tung, die im Buch in 14 Ka­pi­teln aus­führ­lich be­schrie­ben wird.

Die drei Au­torin­nen Bri­git­te Hür­li­mann, Cor­de­lia Bähr und Eli­sa­beth Stern brin­gen ver­schie­de­ne Per­spek­ti­ven mit. Hür­li­mann fasst die vie­len Ge­schich­ten, die weit über die ju­ris­ti­schen Aspek­te hin­aus­ge­hen, im jour­na­lis­ti­schen Stil zu­sam­men. Bähr, die als An­wäl­tin die Kli­ma­se­nio­rin­nen un­ter­stütz­te, er­klärt im Buch al­le De­tails zu den ge­richt­li­chen Pro­zes­sen. Stern bringt An­ek­do­ten und Er­leb­nis­se rein und er­zählt, wie der Ver­ein sich or­ga­ni­siert und ent­wi­ckelt hat.

Je­des Ka­pi­tel be­ginnt mit dem Por­trät ei­ner Kli­ma­se­nio­rin, un­ter an­de­rem von den Ost­schwei­ze­rin­nen Pia Hol­len­stein und Ri­ta Schirm­er-Braun. Be­son­ders be­ein­dru­ckend ist das Por­trät der Zür­che­rin Ruth Schaub, die ei­ne der Ein­zel­klä­ge­rin­nen vor dem EGMR wer­den soll­te. Sie schil­dert, wie Hit­ze­wel­len ihr Le­ben zu­neh­mend ein­schrän­ken: Zu­sam­men­brü­che, ver­scho­be­ne Ta­ges­ab­läu­fe, so­zia­le Iso­la­ti­on. Am 15. Ju­li 2021 stirbt sie mit 90 Jah­ren – das Ur­teil aus Strass­burg er­lebt sie nicht mehr.

Ihr Sohn An­dré Sei­den­berg über­nimmt ih­re Rol­le als Klä­ger. Im En­ga­ge­ment sei­ner Mut­ter sieht er ei­nen di­rek­ten Zu­sam­men­hang mit ih­rer jü­di­schen Fa­mi­li­en­ge­schich­te und der Er­fah­rung, wie ge­fähr­lich es ist, wenn Men­schen­rech­te po­li­tisch re­la­ti­viert wer­den.

Ei­ne jun­ge An­wäl­tin gibt den An­stoss

Über die ver­schie­de­nen Ka­pi­tel wird die Bio­gra­fie von Cor­de­lia Bähr er­zählt. Sie ar­bei­te­te beim Bun­des­amt für Um­welt im Rechts­dienst Kli­ma – je­nem Amt, das sie spä­ter als An­wäl­tin der Kli­ma­se­nio­rin­nen in Strass­burg ju­ris­tisch be­kämpft. Sie er­kennt früh die Ver­bin­dung von Kli­ma­schutz und Grund­rech­ten und legt da­mit ei­ne zen­tra­le ju­ris­ti­sche Grund­la­ge für die Kla­gen der Kli­ma­se­nio­rin­nen. Weil man in­zwi­schen weiss, dass äl­te­re Frau­en be­son­ders stark durch Hit­ze ge­fähr­det sind, schlägt Bähr sie als Klä­ge­rin­nen vor.

Im­mer wie­der wer­den die Hit­ze­som­mer er­wähnt. Neue Tem­pe­ra­tur­re­kor­de wer­den ge­bro­chen, wäh­rend die Schweiz die Kli­ma­kri­se ver­schläft. Und auch me­di­al wird die La­ge her­un­ter­ge­spielt: «Die Glet­scher sind heu­er ins Schwit­zen ge­kom­men», schreibt die NZZ im Jahr 2015. Es ist das Jahr, als das Pa­ri­ser Ab­kom­men un­ter­zeich­net wur­de. Die Schwei­zer Po­li­tik schafft es nicht, Ant­wor­ten auf die Kri­se zu fin­den. Das ab­ge­lehn­te CO₂-Ge­setz ist ein Bei­spiel da­für. Der Ver­ein der Kli­ma­se­nio­rin­nen plant wäh­rend die­ser Zeit po­li­ti­sche Ak­tio­nen, macht Me­di­en­trai­nings, zieht das An­lie­gen von ei­ner In­stanz zur nächs­ten.

Bähr be­schreibt das ju­ris­ti­sche Hin und Her de­tail­liert und ver­ständ­lich: das Ge­such beim UVEK, die Be­schwer­de beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, beim Bun­des­ge­richt und schliess­lich die Kla­ge beim EGMR. Erst in Strass­burg hat das Ge­richt als ers­te In­stanz über­haupt die zen­tra­le Fra­ge – die der Ver­bin­dung zwi­schen den Treib­haus­gas­emis­sio­nen und der staat­li­chen Schutz­pflicht – ge­prüft.

Die Di­plo­ma­ten schwit­zen

Das Ka­pi­tel 12 ist der wohl un­ter­halt­sams­te Teil im Buch: Show­down in Strass­burg heisst es. Es be­schreibt, wie die Schwei­zer Di­plo­ma­tie kei­ne Ant­wor­ten fand auf die Fra­gen aus Strass­burg. Als der Rich­ter Dari­an Pav­li aus Al­ba­ni­en nach dem CO₂--Bud­get der Schweiz fragt, re­agiert der Schwei­zer Um­welt­bot­schaf­ter Franz Per­rez über­for­dert. Die Au­torin­nen be­schrei­ben, wie die­ser ein Durch­ein­an­der mit den Spra­chen macht und den Über­blick bei sei­nen Un­ter­la­gen ver­liert.

Die cha­ris­ma­ti­schen Kli­ma­se­nio­rin­nen, die man aus dem Fern­se­hen oder In­sta­gram kennt, kom­men in man­chen Ka­pi­teln et­was zu kurz. Doch das Buch ist eben kein wei­te­rer «Gro­sis ver­kla­gen die Schweiz»-Be­richt. Von der Tat­sa­che mal ab­ge­se­hen, dass gar nicht al­le Ak­ti­vis­tin­nen Gross­kin­der ha­ben, war vie­les, das über die Kli­ma­se­nio­rin­nen im Vor­aus be­rich­tet wur­de, her­un­ter­ge­spielt. Wie schon in der NZZ zu den schwit­zen­den Glet­schern. Ins Schwit­zen ka­men die Kli­ma­se­nio­rin­nen nicht, sie hat­ten Recht. Das Buch ist des­we­gen viel­mehr die Ge­schich­te aus ei­ge­ner Per­spek­ti­ve: mit Fak­ten, Er­leb­nis­sen und be­mer­kens­wer­ten Bio­gra­fien.

Bri­git­te Hür­li­mann, Eli­sa­beth Stern, Cor­de­lia Bähr: Als die Schweiz ins Schwit­zen kam – Die Kli­ma­se­nio­rin­nen. Lim­mat Ver­lag, Zü­rich 2025.
Le­sung und Ge­spräch mit Bri­git­te Hür­li­mann und Eli­sa­beth Stern: 2. De­zem­ber, 19 Uhr, Pa­lace, St.Gal­len.
lim­mat­ver­lag.ch

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