Nie Mode, immer Avantgarde

Die Schweizer Literaturzeitschrift «Orte» feiert ihr 50-Jahr-Jubiläum. Ein paar Notizen aus der Redaktion: ein Standort, ein Blick zurück und ein Blick nach vorne – sowie einige Seitenblicke.

Die Titelseiten der drei ersten «Orte»-Ausgaben im Jubiläumsjahr 2024 zum übergreifenden Jubiläumsthema «Orte für Orte». (Bilder: pd) 

«Or­te» steht als Weg­mar­ke mit un­ver­kenn­ba­ren For­men in der Li­te­ra­tur­land­schaft. Zum 50-Jahr-Ju­bi­lä­um geht es rund um «Or­te» ver­stärkt pu­bli­kums­in­ten­siv und hör­bar zu und her: Aus­ser den fünf re­gu­lä­ren Aus­ga­ben der Zeit­schrift gibt es sie­ben Ver­an­stal­tun­gen, an de­nen Li­te­ra­tur zu­sam­men mit Mu­sik ge­lebt wird. Und neu gibt es ei­nen On­line-Bau­stein: ei­nen für «Or­te» cha­rak­te­ris­tisch aus­ge­form­ten li­te­ra­ri­schen Pod­cast, ba­sie­rend auf den O-Tö­nen der Ju­bi­lä­ums­ver­an­stal­tun­gen. Elf För­der­stel­len un­ter­stüt­zen xdie­se Ak­tio­nen.

Ganz ak­tu­ell: Am 3. Sep­tem­ber liest und singt in der Zür­cher Was­ser­kir­che der Schwei­zer Schrift­stel­ler aus Is­land Joa­chim B. Schmidt aus der kürz­lich er­schie­ne­nen «Or­te»-Aus­ga­be. Und da­zu ge­hört auch ei­ne al­te Bal­la­de aus Is­land, auf Is­län­disch und ins Chu­rer-Rhein­ta­li­sche über­setzt ge­sun­gen. Ein Akt von «Or­te» an ei­nem Ort für «Or­te». Li­te­ra­tur ganz nah und le­ben­dig dar­ge­bo­ten.

Blick zu­rück 

Wer­ner Bucher, Ver­le­ger und Au­tor (1938–2019), hat die «Or­te»-Li­te­ra­tur­zeit­schrift 1974 ge­grün­det. Es war ein Wil­lens­akt, Li­te­ra­tur – na­ment­lich auch Ly­rik – auf ei­ge­ne und ge­teil­te Wei­se zu le­ben, ab­seits von mo­di­schen oder gar aus­ge­tre­te­nen Li­te­ra­tur­pfa­den. Ge­le­sen, de­bat­tiert wur­de – und wird bis heu­te – in der Beiz, Neu­es ent­steht, Al­tes wird be­wusst für Neu­es ge­nutzt. Ei­ne Eri­ka-Bur­kart-Aus­ga­be, Da­da-Hef­te oder ei­ne Aus­ga­be mit heu­ti­ger Ly­rik aus Al­ba­ni­en ge­hö­ren eben­so zum Pro­gramm wie Tex­te von jun­gen, noch un­be­kann­ten Au­tor:in­nen, wie bei­spiels­wei­se der­zeit aus dem Jun­gen Li­te­ra­tur­la­bor JULL in Zü­rich. In der Wirt­schaft Rüt­egg in Ober­egg AR, bis heu­te ge­führt von Wer­ner Buch­ers Wit­we Ire­ne Boss­hart, steht ei­ne al­te Mu­sik­box. Beim Drü­cken auf ei­ne der Tas­ten er­klingt Wer­ner Buch­ers Stim­me, Ly­rik aus den frü­hen 80er-Jah­ren – Spo­ken Words. «Or­te» war und ist nie Mo­de, «Or­te» ist Avant­gar­de.

Vir­gi­lio Ma­scia­dri, Wer­ner Buch­ers jün­ge­rer Weg­ge­fähr­te und Nach­fol­ger, ging die­sen Weg un­be­irrt wei­ter, ei­nen Blei­stift­stum­mel in der fein­glied­ri­gen Hand (denn Li­te­ra­tur braucht No­ti­zen), in die Re­dak­ti­ons­run­de in der Wein­stu­be am Zür­cher Cen­tral bli­ckend (denn ei­ne Li­te­ra­tur­zeit­schrift braucht Aus­tausch), kri­tisch, kon­zen­triert, un­kon­ven­tio­nell. 

Nach Vir­gi­lio Ma­scia­dris früh­zei­ti­gem Hin­schied im Jahr 2014 spann­ten die Mit­glie­der der Re­dak­ti­on wei­ter­hin zu­sam­men; der Ver­lag und die Zeit­schrift sind seit 2015 un­ter dem Dach des um­sich­tig von Mar­cel Stei­ner ge­grün­de­ten Ver­lags­hau­ses Schwell­brunn; die Re­dak­ti­ons­sit­zun­gen fin­den bis heu­te am sel­ben Ort in Zü­rich von Mo­nat zu Mo­nat statt. Ei­nes der neun Re­dak­ti­ons­mit­glie­der ist schon seit En­de der sieb­zi­ger Jah­re da­bei, ein an­de­res erst seit drei Jah­ren – Kon­ti­nui­tät und neue For­men, Be­harr­lich­keit und flie­gen­de Ge­dan­ken be­stim­men «Or­te» von Aus­ga­be zu Aus­ga­be. Die Wor­te, die Zei­len, die Spra­che ha­ben ih­ren Wert. Man ist li­te­ra­risch und auch un­ter­neh­me­risch nicht an­ders, um an­ders zu sein, son­dern weil es an­ders nicht geht, will man «Or­te» sein – und blei­ben.

Blick nach vor­ne 

In den nächs­ten Mo­na­ten, bis En­de des Jah­res, fol­gen noch zwei Ju­bi­lä­ums­the­men: «Buch­hand­lun­gen – Ge­schich­ten zie­hen Wän­de» und «Un­ter­wegs im Zug & das li­te­ra­ri­sche Ol­ten», mit Ver­an­stal­tun­gen da­zu in Zü­rich, Bern und Ol­ten. Mu­si­ka­lisch wird der Ak­kor­deo­nist Tom Eg­ger in das The­ma «Buch­hand­lun­gen» ein­ge­bun­den; für das letz­te Ju­bi­lä­ums­the­ma wird die Ro­ma-Mu­sik­grup­pe Ss­as­sa En­de No­vem­ber am Bahn­hof Ol­ten auf­spie­len, durch die Stadt zie­hen und dann die le­sen­den Au­tor:in­nen vor Ort be­glei­ten. Auch die­se O-Tö­ne wer­den im zwei­ten «Or­te»-Pod­cast zu hö­ren sein, im Ton­stu­dio kon­tex­tua­li­siert von Spre­che­rin Ka­rin Pfam­mat­ter, ab Mit­te De­zem­ber die­ses Jah­res über Goog­le Ads dis­tri­bu­iert.

Und noch et­was wei­ter in die Zu­kunft ge­schaut: Nach dem Ju­bi­lä­ums­jahr wird es in der stets neu­en al­ten Ma­nier wei­ter­ge­hen, Per­so­nen-Aus­ga­ben, Schwei­zer Li­te­ra­tur mit Neu­ent­de­ckun­gen, Poe­sie aus an­de­ren Kul­tu­ren. Die en­ge Ver­bin­dung mit Mu­sik wird wei­ter­ver­folgt. Für den Pod­cast gibt es be­reits wei­te­re Ideen. Der sorg­sa­me Um­gang mit dem treu­en Stamm von Abon­nent:in­nen und die Zu­sam­men­ar­beit mit eben­so treu­en, re­nom­mier­ten Schwei­zer Au­tor:in­nen sind und blei­ben wich­tig für «Or­te». 

Für ei­ne zu­sätz­li­che Dis­tri­bu­ti­on wird sich «Or­te» von Aus­ga­be zu Aus­ga­be neue We­ge bah­nen, sein (Zu­satz-)Pu­bli­kum je nach The­ma de­fi­nie­ren und fin­den. Die Ba­sis ist die lang­jäh­ri­ge Er­fah­rung, die un­ge­bro­che­ne Mo­ti­va­ti­on so­wie der Spür­sinn für neue li­te­ra­ri­sche Ver­bin­dun­gen und For­men.


Vi­via­ne Eg­li, 1956, ist Schrift­stel­le­rin, In­ha­be­rin ei­ner Kom­mu­ni­ka­ti­ons­agen­tur und Mit­glied der «Or­te»-Re­dak­ti­on. Sie ist in St.Gal­len auf­ge­wach­sen und lebt heu­te in Zü­rich.
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