Behördenverbote und Mordanschlag: NS-Organisationen in der Ostschweiz

Hitlergruss in St.Gallen: Nationalsozialist:innen feiern am 2. Mai 1942 im St.Galler Schützengarten­-Saal den Tag der Deutschen Arbeit, vorne auf der Bühne steht eine Jugendgruppe. (Bild: Staatsarchiv St.Gallen)

Trotz der Bereitschaft hierzulande, dem nördlichen Nachbarn entgegenzukommen: Die Nationalsozialisten hatten es nicht nur leicht im Osten der Schweiz. 1936 wurde der Schweizer NSDAP-Landesleiter in Davos erschossen.

Vor der Macht­er­grei­fung der Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deut­schen Ar­bei­ter­par­tei (NSDAP) 1933 gab es noch kei­ne Ab­le­ger in der Ost­schweiz, son­dern nur un­po­li­ti­sche Lands­mann­schaf­ten. Wil­helm Gustl­off, der späte­re Lan­des­lei­ter der NSDAP in der Schweiz, bau­te hier die Grund­la­gen für die Ak­ti­vi­täten der Par­tei auf.

Be­reits im Ja­nu­ar 1936 fei­er­ten die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten in St.Gal­len im Kon­gress­haus Schützen­gar­ten – ei­ni­ge als Braun­hem­den der Sturm­ab­tei­lung (SA), dem pa­ra­mi­li­täri­schen Arm der Par­tei, er­kenn­bar – den «Tag der Macht­er­grei­fung» der NSDAP. Or­ga­ni­siert hat­te das Gan­ze das deut­sche Kon­su­lat.

Pro­gramma­ben­de im «Deut­schen Heim»

Die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten woll­ten die in der Ost­schweiz le­ben­den Deut­schen in ih­re Ideo­lo­gie und ih­re Par­tei ein­bin­den. Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Orts­grup­pen or­ga­ni­si­er­ten re­gel­mässig Pro­gramma­ben­de. Ge­fei­ert wur­de et­wa der «Tag der na­tio­na­len Ar­beit» oder «Führers Ge­burts­tag». Die Ver­an­stal­tun­gen soll­ten die all­ge­mei­ne Stim­mung he­ben und die Volks­ge­mein­schaft er­leb-­ und fühl­bar ma­chen. Die­se Art der fa­schis­ti­schen Ge­mein­schafts­bil­dung war ei­ner der zen­tra­len Pfei­ler na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Herr­schaft. Sie dien­ten aber auch ka­ri­ta­ti­ven Zwe­cken. So fand zum Bei­spiel all­jähr­lich das so­ge­nann­te «Ein­top­fes­sen» statt, de­ren Er­träge ins «Win­ter­hilfs­werk» (Reichs­deut­schen­hil­fe in der Schweiz) flos­sen.

Die Teil­nah­me an die­sen Ver­an­stal­tun­gen war für die in der Ost­schweiz le­ben­den Deut­schen Pflicht. 1942 war wohl et­wa die Hälf­te der 80’000 Deut­schen in der Schweiz in NS­-Or­ga­ni­sa­tio­nen ein­ge­bun­den. Die NSDAP war be­strebt, die «Volks­ge­mein­schaft», wie es in der ras­sis­ti­schen Ideo­lo­gie der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten hiess, auch im Aus­land zu­sam­men­zu­hal­ten und ideo­lo­gisch zu in­dok­tri­nie­ren. Wenn die «reichs­deut­schen Volks­ge­nos­sen» ideo­lo­gisch ge­fes­tigt auf­tra­ten, gab es kei­ne Pro­ble­me. Wenn sie aus Sicht der Par­tei aber zu we­nig En­ga­ge­ment an den Tag leg­ten, droh­te man ih­nen Pro­ble­me bei der Ein­rei­se ins Drit­te Reich an. Schliess­lich sand­te das Pro­pa­gan­da­mi­nis­te­ri­um in Ber­lin ei­gens Per­so­nal in die Schweiz, um die Ver­an­stal­tun­gen durch­zu­führen.

Im Ökonomiegebäude unmittelbar neben der Villa Rosenhof am Höhenweg in St.Gallen, im Volksmund «Villa Wahnsinn» genannt, war zwischenzeitlich das deutsche Konsulat untergebracht. Die Polizei räumte die Räumlichkeiten am späteren Standort – ebenso wie die Klubhütte bei Ebnat­-Kappel – erst am Tag der deutschen Kapitulation auf Geheiss des Bundesrats. (Bild: Stadtarchiv / PA Steigmeier, AF205)

Die An­lässe in St.Gal­len wa­ren gut be­sucht, zum Teil mit rund 2000 Per­so­nen. Grösse­re Ver­an­stal­tun­gen fan­den zwi­schen 1933 und 1945 meis­tens im «Schützen­ gar­ten» statt. Re­gel­mässi­ge Tref­fen und Schu­lun­gen fan­den darüber hin­aus im so ge­nann­ten «Deut­schen Heim» statt, das zu­nächst an der Teu­fe­ner­stras­se 5 un­ter­ge­bracht war und ab 1940 in grösse­re Räum­lich­kei­ten an der na­he ge­le­ge­nen Hal­den­stras­se 1 ver­legt wur­de.

Das gröss­te «Deut­sche Heim» in der Schweiz stand in Ba­sel, im Volks­mund das «Brau­ne Haus» ge­nannt. Die Um­trie­be der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten in der Stadt führ­ten im­ mer wie­der zu Span­nun­gen und Kon­flik­ten mit der Bas­ler Lo­kal­be­völke­rung. In Schaff­hau­sen hin­ge­gen hat­ten die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ei­ne Lie­gen­schaft an der Fäsen­staub­stras­se 43 ge­kauft. Die­se dien­te den Zoll­be­am­ten auch als Wohns­tätte. In klei­ne­ren Ort­schaf­ten, an de­nen kein Deut­sches Heim zur Ver­fügung stand, fan­den die NS-Tref­fen in Pri­vat­woh­nun­gen oder Re­stau­rants statt. 1941 wur­de in St.Mar­grethen eben­falls ein Deut­sches Heim eröff­net.

Die Reichs­deut­sche Ju­gend in der Ost­schweiz

Fast in der ge­sam­ten Schweiz hat­ten die reichs­deut­schen Jun­gen und «Mädel» ih­re Stand­or­te. Zu ih­ren bes­ten Zei­ten brach­ten sie es auf 47 Ab­le­ger. In der Ost­schweiz wa­ren sie et­wa in Frau­en­feld, Ar­bon, Am­ris­wil, Ror­schach, St.Gal­len, Wil, Wer­den­berg, Gla­rus, Kreuz­lin­gen, Schaff­hau­sen, St.Mar­grethen, St.Mo­ritz oder Da­vos zu fin­den. Die Reichs­deut­sche Ju­gend (RDJ) war un­ter­teilt in Jung­volk, Hit­ler­ju­gend, Bund deut­scher Mädel und Jung­mädel. In St.Gal­len soll sie auf dem Ze­nit un­ge­fähr 150 Mit­glie­der um­fasst ha­ben.

Im In­sti­tut Ro­sen­berg, der da­mals gröss­ten Pri­vat­schu­le der Schweiz, war die Hälf­te der Schüler­schaft deut­sche Reichs­an­ge­höri­ge. Gemäss dem His­to­ri­ker Mar­tin J. Bucher, der ein Buch zur reichs­deut­schen Ju­gend in der Schweiz ge­schrie­ben hat, sym­pa­thi­sier­ten zeit­wei­se die Di­rek­to­ren des In­sti­tuts mit den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten. Das deut­sche Kon­su­lat be­fand sich ab 1938 un­weit vom In­sti­tut, nämlich di­rekt ne­ben der Vil­la Ro­sen­hof, im Volks­mund «Vil­la Wahn­sinn», am Höhen­weg auf Höhe der Kin­der­fest­wie­se. Auch das Verhält­nis zum deut­schen Kon­sul Frei­herr von Fal­ken­hau­sen soll gut ge­we­sen sein. Je­den­falls kam es zu Ver­trags­ab­schlüssen, da­mit das In­sti­tut reichs­deut­sche Schüler auf­neh­men konn­te, wo­bei das In­sti­tut dem Drit­ten Reich in den Kon­di­tio­nen ent­ge­gen­kam.

Die Po­li­zei be­ob­ach­te­te das Ge­sche­hen ge­nau. Gemäss ih­ren In­for­ma­tio­nen be­stand ein gros­ser Teil der RDJ in St.Gal­len aus Schülern des In­sti­tuts. Es soll gar zu ei­nem Spio­na­ge­fall ge­kom­men sein, bei dem deut­sche Schüler In­for­ma­tio­nen über mi­li­täri­sche An­la­gen an Stel­len des Drit­ten Reichs wei­ter­ge­reicht hätten. Nach dem Krieg war die­se Epi­so­de al­ler­dings schnell ver­ges­sen.

Wie die RDJ Druck auf ei­ge­ne Mit­glie­der ausübte und ih­nen da­bei scha­de­te, da­von be­rich­tet der vom His­to­ri­ker Bucher ent­deck­te Fall von Kurt Merkt aus St.Mar­grethen. Merkt trat mit 13 Jah­ren der RDJ Rhein­tal bei. Als der bis­he­ri­ge Stand­ort­führer Eu­gen Klai­ber 1943 zur Wehr­macht ging, wur­de Merkt na­he­ge­legt, die­sem in der Lei­tungs­funk­ti­on nach­zu­fol­gen. Merkt lehn­te ab. Of­fi­zi­ell schob er schu­li­sche Gründe vor. Den­noch wur­de er im Herbst 1943 ge­gen sei­nen Wil­len zum Stand­ort­führer er­nannt. Nach­dem die RDJ 1945 ver­bo­ten wur­de, soll­te Kurt Merkt aus der Schweiz aus­ge­wie­sen wer­den. Die­ser wehr­te sich mit ei­nem Wie­der­er­wägungs­ge­such. Ob­wohl aus­ser sei­ner Funk­ti­on als Stand­ort­führer nichts ge­gen ihn vor­lag und selbst der Re­gie­rungs­rat für sei­nen Ver­bleib plädier­te, wur­de Merkts Ge­such ab­ge­lehnt. Er muss­te am 20. Sep­tem­ ber 1945 die Schweiz ver­las­sen. Der jun­ge Gym­na­si­ast stand kurz vor dem Ab­schluss der Kan­tons­schu­le in St.Gal­len. Die Schweiz wies als sym­bo­li­schen Akt zwi­schen 1945 und 1946 rund 2000 Na­tio­nal­so­zia­list:in­nen aus, 1000 konn­ten nach er­folg­rei­chen Re­kur­sen in der Schweiz blei­ben.

Einträge aus dem Hüttenbuch der Stangenhütte oberhalb von Ebnat­-Kappel, wo die Reichsdeutsche Jugend diverse Anlässe und Lager durchführte. (Bilder: Staatsarchiv St.Gallen)

Tref­fen und Schu­lun­gen der RDJ im städti­schen Ge­biet führ­ten zu Un­mut der An­woh­ner:in­nen. Aber auch in länd­li­chen Ge­bie­ten wur­de die Ju­gend­or­ga­ni­sa­ti­on be­ob­ach­tet. Ober­halb von Eb­nat­-Kap­pel konn­te die RDJ 1942 ei­ne Klub­haus­hütte für Stand­ort­führer­ta­gun­gen und an­de­re Tref­fen nut­zen. Die Kan­tons­po­li­zei liess trotz Falsch­aus­sa­gen der RDJ, die den An­lass harm­los aus­se­hen las­sen soll­ten, das Tref­fen über­wa­chen. An sol­chen an­geb­lich harm­lo­sen Aus­flügen, die zum Bei­spiel auch als Ski­aus­flug ge­tarnt wa­ren, wur­den, wie die Kan­tons­po­li­zei fest­stell­te, gleich­zei­tig auch Schu­lun­gen durch­ge­führt.

Ver­bo­te durch städti­sche und kan­to­na­le Be­hörden

In­ter­es­san­ter­wei­se wies St.Gal­len im Ver­gleich zu an­de­ren Kan­to­nen und im Ge­gen­satz auch zur Li­nie des Bun­des ei­ne kla­re Hal­tung auf. Im­mer wie­der wur­den Ver­an­stal­tun­gen der reichs­deut­schen Ju­gend, aber auch von na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Or­ga­ni­sa­tio­nen der Er­wach­se­nen ver­bo­ten. Selbst der mehr­fa­che Pro­test des deut­schen Kon­su­lats ver­moch­te die Hal­tung der kan­to­na­len Ver­ant­wort­li­chen nicht zu ändern.

Zum Bei­spiel wur­de ei­ne ge­plan­te Re­de von Ar­tur Axmann, Reichs­ju­gend­führer des Drit­ten Rei­ches, der höchs­ten Stel­le in der Hit­ler­ju­gend, die für die ideo­lo­gi­sche Schu­lung der deut­schen Ju­gend ver­ant­wort­lich war, in St.Gal­len un­ter­sagt. Die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Agi­ta­ti­on sei dem Schwei­zer Emp­fin­den fremd und wür­de nicht zu den hier gel­ten­den de­mo­kra­ti­schen Wer­ten pas­sen, lau­te­te die Be­gründung der Be­hörden. In Ror­schach ver­bot der Schul­rat so­gar als ein­zi­ge Be­hörde im Kan­ton die Hit­ler­ju­gend, der in der Stadt am Bo­den­see 20 Jun­gen und 6 Mädchen an­ge­hörten.

In an­de­ren Städten konn­ten sol­che Re­den statt­fin­den. Das lag aber auch dar­an, dass das Eid­ge­nössi­sche Po­li­ti­sche De­par­te­ment erst 1935 Richt­li­ni­en für den Um­gang mit aus­ländi­schen Red­nern her­aus­gab. Manch­mal schritt der Bund auch ge­gen die kan­to­na­len Ver­bo­te von na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­an­s­tal­tun­gen ein und der je­wei­li­ge Kan­ton muss­te ein­len­ken. Der St.Gal­ler Po­li­zei­di­rek­tor Va­len­tin Keel woll­te zum Bei­spiel 1941 ein RDJ-­La­ger in Ober­hel­fen­schwil nicht be­wil­li­gen. Ar­gu­men­ta­tiv ge­schickt konn­te er ins Feld führen, dass das in der Kar­wo­che statt­fin­den­de La­ger das st.gal­li­sche Sonn­tags­ru­he­ge­setz störe. Ein Te­le­gramm des Ge­samt­bun­des­rats an das Po­li­zei­de­par­te­ment kipp­te den Ent­scheid je­doch und zwang die Be­hörden zur Be­wil­li­gung des An­las­ses.

1936 kam es zum Ver­bot der Lan­des- so­wie der Kreis­lei­tun­gen der NSDAP (aber nicht der Par­tei an sich), wor­auf die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten die Lei­tun­gen for­mal an die Aus­lands­or­ga­ni­sa­ti­on der Par­tei (NSDAP/AO) an­knüpf­ten und die­se da­mit zu­min­dest of­fi­zi­ell au­to­nom wur­den. In der Or­ga­ni­sa­ti­on und Ko­or­di­na­ti­on wirk­ten aber de fac­to die deut­schen Kon­su­la­te mass­geb­lich mit.

Er­mor­dung des NS-Lan­des­lei­ters in Da­vos

Der be­reits er­wähn­te Wil­helm Gustl­off (1895–1936) war von 1932 bis 1936 Lan­des­lei­ter der NSDAP in der Schweiz, wohn­te in Da­vos und ar­bei­te­te dort am 1907 ge­gründe­ten Phy­si­ka­lisch­-Me­teo­ro­lo­gi­schen Ob­ser­va­to­ri­um. Da­vid Frank­fur­ter, ein jüdi­scher Stu­dent aus Ju­go­sla­wi­en, er­schoss Gustl­off am 4. Fe­bru­ar 1936 in des­sen Woh­nung. Frank­fur­ter stell­te sich der Po­li­zei frei­wil­lig und war ges­tändig. Sei­ne Tat ha­be ei­gent­lich Hit­ler ge­gol­ten, soll er ge­sagt ha­ben. Er wur­de zu 18 Jah­ren Zucht­haus und zu ei­nem le­bens­lan­gen Lan­des­ver­weis ver­ur­teilt. Hit­ler und Goeb­bels sand­ten Kon­do­lenz­te­le­gram­me. Die NSDAP liess pro­mi­nen­te Trau­er­red­ner ein­rei­sen, et­wa Ernst Wil­helm Boh­le, den Lei­ter der Aus­lands­ab­tei­lung der NSDAP. Die Par­tei nann­te Gustl­off ei­nen «Märty­rer der Be­we­gung».

Die hef­ti­ge Re­ak­ti­on des Drit­ten Rei­ches be­wies, wel­che Be­deu­tung den Aus­lands­or­ga­ni­sa­tio­nen auch in der Schweiz zu­kam. Das deut­sche Pro­pa­gan­da­mi­nis­te­ri­um gab je­den­falls ei­ne Bro­schüre zum Fall in Auf­trag. Die Bro­schüre er­schien un­ter dem Ti­tel Der Fall Gust­loff, Au­tor war Wolf­gang Die­werge. Dar­in wur­den die Schwei­zer Zei­tun­gen als «Hetz­blätter» dif­fa­miert, die ei­ne deutsch­feind­li­che Stim­mung ver­brei­ten würden. Nur die Fron­tis­ten würden sich nicht an die­ser Het­ze be­tei­li­gen. So­mit tra­ge die Pres­se Mit­ver­ant­wor­tung für die Er­mor­dung von Gustl­off.

Fron­tis­ti­sche Zei­tun­gen as­sis­tier­ten bei den Vor­wür­ fen, so et­wa der «Grenz­bo­te», ei­ne in Stein am Rhein pro­du­zier­te Zei­tung. Sie stand im Dienst der Neu­en Front, später der Na­tio­na­len Front und der Na­tio­na­len Ge­mein­schaft Schaff­hau­sen. Chef­re­dak­teu­re wa­ren Hans Kläui und Her­mann Ei­sen­hut. Die Zei­tung mein­te in ei­nem Ar­ti­kel vom 6. Fe­bru­ar 1936, die Ur­he­ber des At­ten­tats aus­fin­dig ge­macht zu ha­ben, nämlich die «Ro­ten»:

«Die ei­gent­li­chen Ver­ant­wort­li­chen (...) sit­zen in den Re­dak­ti­ons­stu­ben der ver­lu­der­ten Mar­xis­ten­pres­se und je­ner so­ge­nannt bürger­li­chen Blätter, die ih­re eke­l­er­ re­gen­de Krie­che­rei vor dem ro­ten Un­ter­men­schen­tum so lan­ge be­trei­ben und des­sen scham­lo­se Het­ze ge­gen Deutsch­land so lan­ge wohl­wol­lend un­ter­stützen, bis das schwei­ze­ri­sche Bürger­tum von der ro­ten Mord­kom­mu­ne ei­nes Ta­ges an die Stras­sen­la­ter­ne auf­ge­knüpft und nach rus­si­schem Vor­bild vie­hisch ab­ge­schlach­tet wird.»

Die Ant­wort der übri­gen Schwei­zer Pres­se liess nicht auf sich war­ten. Sie lehn­te ei­ne sol­che Dar­stel­lung, dass ih­re Be­richt­erstat­tung Het­ze sei, ent­schie­den ab. In der Schweiz herr­sche Pres­se­frei­heit. In der «Ga­zet­te de Lau­sanne» hiess es et­wa am 8. Fe­bru­ar 1936: «La li­ber­té d’opi­ni­on (...) et de la pres­se exis­te heu­reu­se­ment en­co­re en Su­is­se.» Zu­dem wur­de der Pa­trio­tis­mus der Fron­ten in Fra­ge ge­stellt, die sich so will­fährig ei­ner aus­ländi­schen Macht un­ter­stell­ten und dem An­se­hen der Schweiz scha­den würden.

Wilhelm Gustloff, ab 1932 Landesleiter der NSDAP in der Schweiz, wurde 1936 in Davos ermordet. (Bild: pd)

Reichsjugendführer und oberster Chef der Hitlerjugend Artur Axmann wollte vor der RDJ in St.Gallen eine Rede halten. Die St.Galler Behörden verhinderten den Anlass. (Bild: pd)

Die Tat selbst wur­de trotz be­kun­de­ter Ab­leh­nung des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus in der Ost­schwei­zer Pres­se ver­ur­teilt. Der «Ober­eg­ger An­zei­ger» aus Ap­pen­zell In­ner­rho­den erk­lärte bei­spiels­wei­se, dass auch oh­ne Sym­pa­thie für das Op­fer und des­sen Ge­sin­nung ei­ne sol­che Tat ver­ab­scheu­ungs­würdig sei. Der «Thur­gaui­sche Bo­te vom Un­ter­see und Rhein» be­klag­te, dass ei­ne sol­che Tat den Ju­den in Deutsch­land scha­den würde. In der «En­ga­di­ner Post» sprach man trotz ge­gen­sätz­li­cher po­li­ti­scher An­schau­un­gen von ei­ner em­pören­den Tat. Auch beim Bun­des­rat war die Angst gross, dass sich die deutsch­schwei­ze­ri­schen Be­zie­hun­gen ver­schlech­tern könn­ten. Bun­des­rat Giu­sep­pe Mot­ta, Chef des Po­li­ti­schen De­par­te­ments, liess dem Ge­sand­ten in Bern sein Bei­leid und sei­ne Em­pörung über den An­schlag mit­tei­len.

Der Zorn der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ent­lud sich aber nicht nur pu­bli­zis­tisch und nicht nur ge­gen die Pres­se. In der Zürcher Ton­hal­le sol­len im Fe­bru­ar 1936 rund 1500 Per­so­nen zu ei­nem Pro­test zu­sam­men­ge­kom­men sein. Red­ner wa­ren ETH­-Do­zent Ernst Bran­den­ber­ger, der späte­re Mit­gründer der Na­tio­na­len Be­we­gung Schweiz, Wolf Wirz, und der Lan­des­führer der Na­tio­na­len Front, Rolf Hen­ne. Die Re­den wett­ei­fer­ten in ih­ren an­ti­se­mi­ti­schen Ti­ra­den un­ter­ein­an­der. For­mu­liert wur­den auch For­de­run­gen an den Bun­des­rat: «Hin­aus mit den Emig­ran­ten» und «so­for­ti­ge Sper­re der Gren­zen für jüdi­sche Ein­wan­de­rer». Die Na­tio­na­le Front gab ein Flug­blatt her­aus: «Ein­mal und nie wie­der – ein Ju­den­-Cha­os!» und for­der­te «Ju­den Hin­aus!».

Denk­mal für deut­sche Sol­da­ten in St.Gal­len?

Das deut­sche Kon­su­lat in St.Gal­len war äus­serst um­trie­big. Es lei­te­te und or­ga­ni­sier­te et­wa Orts­grup­pen der reichs­deut­schen Ju­gend. Ei­ni­gen Auf­ruhr er­weck­te der Ver­such na­tio­nal­so­zia­lis­ti­scher Ak­teu­re, mit­hil­fe des Kon­su­lats ein Sol­da­ten­denk­mal in St.Gal­len zu er­rich­ten. Das be­ab­sich­tig­te «Krie­ger­denk­mal» soll­te der im Ers­ten Welt­krieg ge­fal­le­nen und der in der Schweiz in­ter­nier­ten deut­schen Sol­da­ten ge­den­ken. Die Orts­grup­pe St.Gal­len des «Volks­bunds Deut­sche Kriegs­gräber­fürsor­ge» woll­te 1937 an der Spei­cher­stras­se ein Grund­stück er­wer­ben, um ei­ne im­po­san­te Gräbers­tätte zu er­rich­ten, wie der frühe­re St.Gal­ler Stadt­ar­chi­var Ernst Zieg­ler nach­ge­wie­sen hat.

Wi­der­stand kam da­bei vom Po­li­zei­de­par­te­ment in St.Gal­len und vom Re­gie­rungs­rat. Sie si­gna­li­sier­ten klar, dass das An­lie­gen oh­ne Wenn und Aber ab­zu­leh­nen sei. Das Eid­ge­nössi­sche Po­li­ti­sche De­par­te­ment, dem das Ge­such für den Bau des Denk­mals wei­ter­ge­lei­tet wor­den war, riet dem deut­schen Kon­su­lat, das of­fi­zi­ell nichts mit dem Bau­an­lie­gen zu tun hat­te, das Ge­such zu­rück­zu­zie­hen. Falls dies nicht ge­sche­he, emp­fahl er den kan­to­na­len Be­hörden eben­falls die Ab­leh­nung.

Das An­lie­gen kam auch bei der St.Gal­ler Be­völke­rung nicht gut an. Schnell for­mier­te sich Wi­der­stand, der sich in meh­re­ren Zei­tungs­ar­ti­keln ma­ni­fes­tier­te. Dar­in wur­de auch die Rol­le des deut­schen Kon­su­lats als «Bu­reau für na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Agi­ta­ti­on» kri­ti­siert, wie es et­wa in der so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen «Volks­stim­me» hiess. Auch in an­de­ren Zei­tun­gen wur­de mo­niert, ein sol­ches Denk­mal wäre nicht nur «un­schwei­ze­risch», son­dern als po­li­ti­sches Sym­bol auch ei­ne Pro­vo­ka­ti­on. Das An­sin­nen wur­de ab­ge­lehnt. Man ver­wies auf die Möglich­keit, auf den vor­han­de­nen Fried­ höfen ei­ne re­gu­läre Grabs­tätte zu er­rich­ten. Ab­sa­gen für ähn­li­che Bau­ge­su­che er­hiel­ten die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten auch in Teu­fen und Spei­cher.

Nach 1945: Ent­na­zi­fi­zie­rungs­for­de­run­gen brin­gen Wahl­er­folg

Ab 1944 nahm das na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche En­ga­ge­ment in der Schweiz merk­lich ab. An­ge­sichts der schlech­ten Nach­rich­ten von den Kriegs­fron­ten im Os­ten und Wes­ten und der be­vor­ste­hen­den Kriegs­nie­der­la­ge ver­düster­te sich die Stim­mung und die Teil­nah­me­freu­dig­keit liess nach. Durch­hal­te­pa­ro­len und Auf­for­de­run­gen zu mehr Ak­ti­vis­mus der «Gau­lei­tun­gen» sind auch im Thur­gau, in St.Gal­len und bei­den Ap­pen­zell nach­ge­wie­sen.

Bei ab­seh­ba­rem Kriegs­en­de mach­te sich das deut­sche Kon­su­lat un­ter Graf Joa­chim von Ho­hen­thal, der es seit 1943 führ­te, am 3. Mai 1945 dar­an, hun­der­te Ak­ten zur ver­nich­ten. Be­hilf­lich war Ma­rio Kar­rer, der mit ei­nem Au­to zum Kon­su­lat fuhr, um die Ak­ten ab­zu­ho­len und sie dann zu­sam­men mit Kon­su­lats­mit­ar­bei­tern nach Thal zu fah­ren und dort zu ver­nich­ten. Ge­se­hen hat­te ihn ein ehe­ma­li­ger Stadt­po­li­zist Max Fäss­ler, der da­mals in Thal im Mi­li­tärdienst war.

Par­al­lel da­zu wur­den Stim­men laut, die ei­ne Aus­wei­sung der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten for­der­ten. Die 1944 ge­gründe­te Nach­fol­ge­rin der vier Jah­re zu­vor ver­bo­te­nen Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Schweiz, die Par­tei der Ar­beit (PdA), er­ober­te bei den Gross­rats­wah­len 1945 in St.Gal­len drei Sit­ze und in Ror­schach ei­nen. Auch in den Ge­mein­de­rats­wah­len in St.Gal­len kam sie auf vier Sit­ze. Ihr Wahl­er­folg rühr­te auch da­her, dass sie ei­ne kla­re Li­nie ge­genüber den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ge­for­dert hat­te.

Auch die SP ver­zeich­ne­te zwei Sit­ze mehr bei den Gross­rats­wah­len. An ei­ner Ver­samm­lung der SP und der Ge­werk­schaf­ten for­der­te un­ter an­de­rem der SP­-Po­li­ti­ker und Ju­rist Ha­rald Hu­ber, dass die Po­li­zei, das Mi­li­tär und die In­dus­trie von Na­tio­nal­so­zia­lis­ten «ge­säubert» und die Na­zis aus der Schweiz aus­ge­wie­sen wer­den soll­ten. Mässi­gen­de Stim­men mach­ten auf die 47 be­reits aus­ge­wie­se­nen Na­zis auf­merk­sam, wo­mit der Kan­ton St.Gal­len schweiz­weit die meis­ten Aus­wei­sun­gen vor­ge­nom­men ha­be. Es müss­ten aber al­le 150 ak­ti­ven Na­tio­nal­so­zia­lis­ten St.Gal­len ver­las­sen. Den Re­den sol­len im Schützen­gar­ten-­Saal 2000 Zu­hörer ge­lauscht ha­ben.

 

Li­te­ra­tur:

Mar­tin J. Bucher: «Führer, wir ste­hen zu dir!». Die Reichs­deut­sche Ju­gend in der Schweiz, 1931–1945. Chro­nos Ver­lag, Zürich 2021.

Ernst Zieg­ler: Die Stadt St.Gal­len in den dreis­si­ger Jah­ren, S. 23–44, in: Ror­scha­cher Neu­jahrs­blatt 1982, 72. Jg.

Ernst Zieg­ler: Als der Krieg zu En­de war ...  Zur Ge­schich­te der Stadt St.Gal­len von
1935 bis 1945, Vor­le­sungs­ma­nu­skript 1995 Uni­ver­si­tät St.Gal­len. Sa­bon-Ver­lag, St.Gal­len 1996.