Sich selbst sein

In den Songs ihres Debüts kommt man der Appenzeller Musikerin Riana ganz nah. (Bild: Fabio Martin)

Ein Album als Reise zu sich selbst: Auf ihrem Debüt baut Riana Song für Song ihre Selbstzweifel und Unsicherheiten ab. Und erstmals singt die Appenzeller Musikerin ausschliesslich im Innerrhoder Dialekt.

Der Ti­tel ist ein State­ment: Mi söl­be seh. Und Ria­na löst die­ses State­ment auf ih­rem De­büt­al­bum ein: kei­ne Mas­ke, kein Fil­ter, son­dern Songs, die di­rekt aus ih­rem In­ne­ren kom­men. Der Ti­tel ist al­so auch Pro­gramm – es geht um Au­then­ti­zi­tät und Ehr­lich­keit. Zwei ab­ge­dro­sche­ne Be­grif­fe, die in der heu­ti­gen Pop­mu­sik, die von KI ver­seucht ist, ziem­lich gar nichts mehr aus­sa­gen. Hört man Ria­nas Tex­te, merkt man al­ler­dings schnell, dass die­se Be­grif­fe in ih­rer Mu­sik zen­tral sind. Nicht zu­letzt, weil die Ap­pen­zel­ler Mu­si­ke­rin «sehr au­to­bio­gra­fisch» schreibt, wie sie sagt.

Den­noch ist Mi söl­be seh kei­ne De­mons­tra­ti­on von Selbst­be­wusst­sein. Die zehn Pop-Bal­la­den er­zäh­len viel­mehr da­von, wie schwie­rig es ist, sich selbst zu sein. «I ha so viel glo­ge / Wöll i gwesst ha, d Lüg chonnt bes­ser ah / Ha mi lang ve­bo­ge fö eu / I bi fö eu / Viel z’lang fö eu / Nüd mi söl­be gse», singt sie im Ti­tel­stück. 

In ih­ren Tex­ten geht es um Un­si­cher­heit, Selbst­zwei­fel, Über­for­de­rung, ums Sich-Ver­stel­len, um die Su­che nach dem Platz in die­ser Welt. The­men, wel­che die 26-Jäh­ri­ge seit je­her be­glei­ten. «Ich bin ein Mensch, der schnell an sich zwei­felt und sich oft hin­ter­fragt», sagt Ria­na. Je län­ger sie Mu­sik ma­che, des­to mehr ste­he sie da­zu, dass sie so sei, wie sie eben sei. Da­von sang sie be­reits in ih­rer ers­ten Sin­gle, dem An­fang 2020 ver­öf­fent­lich­ten Stück He­art of Gold, das auch ih­rer ers­ten EP den Ti­tel gab. Trotz der in­halt­li­chen Schwe­re sind Ria­nas ge­fühl­vol­le Songs nicht be­drü­ckend – Hoff­nung, Trost, Zu­ver­sicht schwin­gen fast im­mer mit.

Nur noch Ap­pen­zel­ler Dia­lekt

Er­öff­net wird das Al­bum von Näme, ei­ner Pia­no-Bal­la­de. Das sei «die Es­senz von Ria­na», sagt die Mu­si­ke­rin. Sie kom­po­nie­re al­le ih­re Songs am Kla­vier, des­halb soll­te Mi söl­be seh mit die­sem Stück be­gin­nen. Sie öff­net da­mit gleich­zei­tig ei­ne in­halt­li­che Klam­mer, die sich übers gan­ze Al­bum spannt: Die zehn Songs sind so an­ge­ord­net, dass man dem Sich-selbst-Sein von Song zu Song nä­her­kommt. Am Schluss, in Mi­ni Gschicht, heisst es dann im­mer­hin: «Ir­gend­wenn chonnt de Tag / Wo­me lan­ged we­ni bi ond wa­ni cha.»

Mi söl­be seh ist Ria­nas bis­her run­des­tes Werk, mit ei­ner kla­ren mu­si­ka­li­schen Spra­che. Die spar­sam in­stru­men­tier­ten Songs flies­sen schön in­ein­an­der über, durch­tränkt von ih­rer sam­te­nen Stim­me. Ni­no, ein Tren­nungs­lied, ist qua­si das Ge­gen­stück zu Ru­by von der Los­loh-EP. Und der ein­zi­ge Song auf dem Al­bum, von dem Ria­na sagt, er ha­be nichts mit ihr zu tun. Gleich dar­auf folgt Du, ein Lie­bes­lied.

Erst­mals singt Ria­na al­le Songs im In­ner­rho­der Dia­lekt – da­mit ist sie in der Pop­sze­ne oh­ne­hin ein­zig­ar­tig. Als sie mit dem Mu­sik­ma­chen an­fing, schrieb sie aus­schliess­lich eng­li­sche Lei­der. Auf He­art of Gold war ei­nes von sechs – He­weh – in Mund­art, auf dem vor knapp zwei Jah­ren ver­öf­fent­lich­ten zwei­ten EP Los­loh be­reits vier von sechs.

In­zwi­schen schreibt sie gar kei­ne eng­li­schen Tex­te mehr. Sie kön­ne sich auf Mund­art nun mal bes­ser aus­drü­cken, sagt sie. «Und frü­her hat­te ich Angst, dass die Leu­te fin­den, der Ap­pen­zel­ler Dia­lekt ge­hö­re der Volks­mu­sik und ha­be in der Pop­mu­sik nichts ver­lo­ren.» Ihr sei es eben­falls wich­tig, Tra­di­tio­nen nicht zu «ver­hun­zen», son­dern zu re­spek­tie­ren: «Ich wür­de nie in ei­ner Tracht auf die Büh­ne ge­hen.»

Auf dem rich­ti­gen Weg

Die Ap­pen­zel­le­rin, die seit Kur­zem in Win­ter­thur wohnt, ist ih­ren Weg im­mer mit Be­dacht ge­gan­gen. Nach dem Sieg am Nach­wuchs­wett­be­werb Ban­dXOst 2018 mel­de­ten sich so­fort Plat­ten­fir­men bei ihr: «Ich war da­mals 19. Wahr­schein­lich dach­ten sie, sie könn­ten mich for­men und in be­stimm­te Bah­nen len­ken.» Sie lehn­te die An­ge­bo­te ab und schloss ih­re Aus­bil­dung zur Pri­mar­leh­re­rin ab – und ging ih­ren ei­ge­nen Weg wei­ter. «Zum Glück, ich glau­be, sonst wür­de ich heu­te nicht mehr Mu­sik ma­chen.» In Träum singt sie da­von. Und der Ge­winn des Swiss Mu­sic Awards in der Ka­te­go­rie «Best Ta­lent» 2024 ha­be sie dar­in be­stä­tigt, dass ihr Weg rich­tig sei und sie wei­ter­hin auf ihr Ge­fühl hö­ren dür­fe.

Vor ei­nem Jahr hat sie ihr Pen­sum an der Pri­mar­schu­le re­du­ziert, um mehr Zeit für die Mu­sik zu ha­ben. Ganz auf die­se Kar­te set­zen will sie je­doch nicht – un­ab­hän­gig da­von, dass sie es sich fi­nan­zi­ell (noch) nicht leis­ten könn­te. Son­dern in ers­ter Li­nie des­halb, weil sie ih­ren Job liebt und ihr das Un­ter­rich­ten gut­tut: «Beim Mu­sik­ma­chen be­fas­se ich mich stän­dig mit mir selbst und mit mei­nen Pro­ble­men. Ich fin­de es rich­tig schön, zwei Ta­ge in der Wo­che für an­de­re Men­schen da zu sein, die dar­auf an­ge­wie­sen sind.» Selbst wenn ihr der Rol­len­wech­sel von Ria­na zu «Frau Stein­mann» am Mon­tag­mor­gen nicht im­mer mü­he­los ge­lin­ge.

Das Wich­tigs­te ist oh­ne­hin, dass sie «sich söl­be seh» kann.


Ria­na: Mi söl­be seh (Bak­a­ra Mu­sic), er­schie­nen am 19. Sep­tem­ber auf Vi­nyl und di­gi­tal.
Live: 24. Ok­to­ber, 20 Uhr, Al­te Stuhl­fa­brik, He­ris­au (aus­ver­kauft); 26. No­vem­ber, 20 Uhr, Werk­statt, Chur; 4. De­zem­ber, 20 Uhr, Al­ba­ni, Win­ter­thur.
ria­na­mu­sic.com

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