Der Titel ist ein Statement: Mi sölbe seh. Und Riana löst dieses Statement auf ihrem Debütalbum ein: keine Maske, kein Filter, sondern Songs, die direkt aus ihrem Inneren kommen. Der Titel ist also auch Programm – es geht um Authentizität und Ehrlichkeit. Zwei abgedroschene Begriffe, die in der heutigen Popmusik, die von KI verseucht ist, ziemlich gar nichts mehr aussagen. Hört man Rianas Texte, merkt man allerdings schnell, dass diese Begriffe in ihrer Musik zentral sind. Nicht zuletzt, weil die Appenzeller Musikerin «sehr autobiografisch» schreibt, wie sie sagt.
Dennoch ist Mi sölbe seh keine Demonstration von Selbstbewusstsein. Die zehn Pop-Balladen erzählen vielmehr davon, wie schwierig es ist, sich selbst zu sein. «I ha so viel gloge / Wöll i gwesst ha, d Lüg chonnt besser ah / Ha mi lang veboge fö eu / I bi fö eu / Viel z’lang fö eu / Nüd mi sölbe gse», singt sie im Titelstück.
In ihren Texten geht es um Unsicherheit, Selbstzweifel, Überforderung, ums Sich-Verstellen, um die Suche nach dem Platz in dieser Welt. Themen, welche die 26-Jährige seit jeher begleiten. «Ich bin ein Mensch, der schnell an sich zweifelt und sich oft hinterfragt», sagt Riana. Je länger sie Musik mache, desto mehr stehe sie dazu, dass sie so sei, wie sie eben sei. Davon sang sie bereits in ihrer ersten Single, dem Anfang 2020 veröffentlichten Stück Heart of Gold, das auch ihrer ersten EP den Titel gab. Trotz der inhaltlichen Schwere sind Rianas gefühlvolle Songs nicht bedrückend – Hoffnung, Trost, Zuversicht schwingen fast immer mit.
Nur noch Appenzeller Dialekt
Eröffnet wird das Album von Näme, einer Piano-Ballade. Das sei «die Essenz von Riana», sagt die Musikerin. Sie komponiere alle ihre Songs am Klavier, deshalb sollte Mi sölbe seh mit diesem Stück beginnen. Sie öffnet damit gleichzeitig eine inhaltliche Klammer, die sich übers ganze Album spannt: Die zehn Songs sind so angeordnet, dass man dem Sich-selbst-Sein von Song zu Song näherkommt. Am Schluss, in Mini Gschicht, heisst es dann immerhin: «Irgendwenn chonnt de Tag / Wome langed weni bi ond wani cha.»
Mi sölbe seh ist Rianas bisher rundestes Werk, mit einer klaren musikalischen Sprache. Die sparsam instrumentierten Songs fliessen schön ineinander über, durchtränkt von ihrer samtenen Stimme. Nino, ein Trennungslied, ist quasi das Gegenstück zu Ruby von der Losloh-EP. Und der einzige Song auf dem Album, von dem Riana sagt, er habe nichts mit ihr zu tun. Gleich darauf folgt Du, ein Liebeslied.
Erstmals singt Riana alle Songs im Innerrhoder Dialekt – damit ist sie in der Popszene ohnehin einzigartig. Als sie mit dem Musikmachen anfing, schrieb sie ausschliesslich englische Leider. Auf Heart of Gold war eines von sechs – Heweh – in Mundart, auf dem vor knapp zwei Jahren veröffentlichten zweiten EP Losloh bereits vier von sechs.
Inzwischen schreibt sie gar keine englischen Texte mehr. Sie könne sich auf Mundart nun mal besser ausdrücken, sagt sie. «Und früher hatte ich Angst, dass die Leute finden, der Appenzeller Dialekt gehöre der Volksmusik und habe in der Popmusik nichts verloren.» Ihr sei es ebenfalls wichtig, Traditionen nicht zu «verhunzen», sondern zu respektieren: «Ich würde nie in einer Tracht auf die Bühne gehen.»
Auf dem richtigen Weg
Die Appenzellerin, die seit Kurzem in Winterthur wohnt, ist ihren Weg immer mit Bedacht gegangen. Nach dem Sieg am Nachwuchswettbewerb BandXOst 2018 meldeten sich sofort Plattenfirmen bei ihr: «Ich war damals 19. Wahrscheinlich dachten sie, sie könnten mich formen und in bestimmte Bahnen lenken.» Sie lehnte die Angebote ab und schloss ihre Ausbildung zur Primarlehrerin ab – und ging ihren eigenen Weg weiter. «Zum Glück, ich glaube, sonst würde ich heute nicht mehr Musik machen.» In Träum singt sie davon. Und der Gewinn des Swiss Music Awards in der Kategorie «Best Talent» 2024 habe sie darin bestätigt, dass ihr Weg richtig sei und sie weiterhin auf ihr Gefühl hören dürfe.
Vor einem Jahr hat sie ihr Pensum an der Primarschule reduziert, um mehr Zeit für die Musik zu haben. Ganz auf diese Karte setzen will sie jedoch nicht – unabhängig davon, dass sie es sich finanziell (noch) nicht leisten könnte. Sondern in erster Linie deshalb, weil sie ihren Job liebt und ihr das Unterrichten guttut: «Beim Musikmachen befasse ich mich ständig mit mir selbst und mit meinen Problemen. Ich finde es richtig schön, zwei Tage in der Woche für andere Menschen da zu sein, die darauf angewiesen sind.» Selbst wenn ihr der Rollenwechsel von Riana zu «Frau Steinmann» am Montagmorgen nicht immer mühelos gelinge.
Das Wichtigste ist ohnehin, dass sie «sich sölbe seh» kann.
Riana: Mi sölbe seh (Bakara Music), erschienen am 19. September auf Vinyl und digital.
Live: 24. Oktober, 20 Uhr, Alte Stuhlfabrik, Herisau (ausverkauft); 26. November, 20 Uhr, Werkstatt, Chur; 4. Dezember, 20 Uhr, Albani, Winterthur.
rianamusic.com