Schon im Vorfeld versicherten die Executive Producer des diesjährigen Eurovision Song Contests (ESC), dass dieses Jahr sehr viel Schweiz in der Show stecken würde. Sie sollte ganz unter dem Motto «Welcome Home» stehen, damit am Ende auch wirklich alle wissen, dass die Veranstaltung eine Schweizer Erfindung ist.
Uiuiui, das könnte richtig peinlich werden. Nationalismus ist ja eh grüslig, aber wenn man die Aufgabe hat, das Land und seine Kulturen der Welt zu präsentieren, wäre es angebracht, eine Schweiz zu zeigen, die den Erwartungen trotzt und der Realität gerecht wird. Darauf verzichteten die Produzent:innen aber – und es war grossartig.
Kurve knapp gekriegt
Die Show begann mit Alphörnern, Jodel, Trachten, Hackbrett und Contemporary Dance. Ein Spektakel, das mit Feuer, Windmaschine, Nebel und einer Berglandschaft im Hintergrund ESC-tauglich gemacht wurde. Als die Show die Cringe-Grenze erreichte, kippte die Melodie in Nemos The Code.
Huch, die Kurve knapp erwischt. Ja, wir habens kapiert: Wir sind in der Schweiz. Die beiden Moderatorinnen werden vorgestellt: Sandra Studer und Hazel Brugger. Die SRG hat mit den beiden eine gute Wahl getroffen, sie sind lustig, sympathisch und locker. Für die Finalshow am Samstag stösst Michelle Hunziker als dritte Moderatorin dazu.
Mit Basel hat der ESC dieses Jahr einen Austragungsort, der einen guten Job macht. Dass St.Gallen da nicht hätte mithalten können, war nach der PR-Kampagne für den Standort St.Gallen und die neue Olma-Halle auch Frau Bolt klar. Basel ist moderner, weltoffener und kann einem internationalen Publikum mehr bieten.
Schweden Tell als Höhepunkt
Erst nach den 16 Teilnehmerländern packen Brugger und Studer ihr Entertain-Talent richtig aus. Sie performten eine Super-Schweiz-Show. Die Musicalnummer mit dem Namen Made in Switzerland war so richtig camp.
Camp? Laut Urban Dictionary ist das die Bezeichnung für «an aesthetic style in which something appeals because of its irony. Basically it’s so bad that it’s good». XXL-Fondue-Gabeln ( «🎶Let‘s raise our fondue forks in unity 🎶»), eine Dragqueen-Heidi und Personen in Glitzer-Sackmesser-Kostümen oder neonfarbigen Trachten tanzten über die Bühne. Dabei wurden Schweizer Erfindungen wie LSD, die «neutrale» Waffenindustrie oder die Cellophanfolie vorgestellt («🎶 When you need transparency, just use some cellophane that’s made in Switzerland 🎶»).
Der Höhepunkt war Willhelm Tell, verkörpert von der schwedischen Komikerin Petra Mede. Sie moderierte den Contest bereits dreimal und gilt als ESC-Ikone. Der ESC sei wie die Schweiz: «🎶 unpolitical, strictly neutral, doesn’t matter if you’re good or brutal. Welcome Gender Diversity but with decency and no nudity 🎶.»
Die Show schaffte es nicht, mit Stereotypen zu brechen. Trotzdem ist es besser als alles, das ich mir erhofft habe: eine selbstironische Cellophan-Heidi-LSD-Show. Absolut unpolitisch, natürlich.