«Es geht um Verantwortung, nicht um Ideologie»

Der Thurgauer Grossrat Marc Rüdisüli, bis vor Kurzem Präsident der Jungen Mitte Schweiz, versteht sich als bürgerlicher Politiker. Weshalb er sich dennoch für eine nationale Initiative engagiert, die einen grüneren Schweizer Finanzplatz fordert, erklärt er im Interview.

Sai­ten: Bis Mai 2026 bleibt Zeit, die nö­ti­gen 100’000 Un­ter­schrif­ten für die Fi­nanz­platz-In­itia­ti­ve zu sam­meln. Sind Sie auf Kurs?

Marc Rü­disü­li: Von der Stras­se und den Ver­bän­den ver­neh­me ich po­si­ti­ve Si­gna­le. Das The­ma lässt sich gut ver­mit­teln. Auch wenn die Kli­ma­po­li­tik auf­grund der geo­po­li­ti­schen La­ge, Krie­ge und Zöl­le lei­der ziem­lich weit in den Hin­ter­grund ge­rückt ist.

War­um set­zen Sie sich per­sön­lich für die Fi­nanz­platz-In­itia­ti­ve ein?

Der Schutz un­se­res Kli­mas ist mir wich­tig. Die Dring­lich­keit des Han­delns ist un­be­strit­ten. Trotz­dem flies­sen im­mer noch Mil­li­ar­den in fos­si­le Lang­frist­pro­jek­te im Aus­land, ob­wohl klar ist: Die In­ves­ti­tio­nen von heu­te prä­gen die Welt von mor­gen. Wir müs­sen hier ei­nen Za­cken zu­le­gen. Es war von An­fang an klar, dass die In­itia­ti­ve auf ei­ne brei­te Al­li­anz ge­stellt wird. Im Ko­mi­tee sind dar­um nicht nur Um­welt­or­ga­ni­sa­tio­nen, SP und Grü­ne ver­tre­ten, son­dern auch Mit­glie­der der GLP, EVP, Mit­te und zum Bei­spiel auch der ehe­ma­li­ge FDP-Stän­de­rat Ra­phaël Comte. Auch Per­so­nen aus der Fi­nanz­bran­che be­tei­li­gen sich. Die­se Brei­te passt zu mei­nen Wer­ten und zeigt: Hier geht es um Ver­ant­wor­tung für die Zu­kunft, nicht um Ideo­lo­gie.

Die Idee zur In­itia­ti­ve für ei­nen «grü­ne­ren» Fi­nanz­platz Schweiz geis­tert schon län­ger her­um. War­um kommt die In­itia­ti­ve jetzt?

So­gar der da­ma­li­ge Fi­nanz­mi­nis­ter Ueli Mau­rer hat im Na­men des Bun­des­ra­tes ein­mal ge­sagt, ein öko­lo­gisch nach­hal­ti­ge­rer Fi­nanz­platz müs­se der An­spruch der Schweiz sein. Klar, das war noch vor dem gan­zen CS-De­ba­kel. Den­noch soll die Schweiz im Be­reich «sus­tainable fi­nan­ce» ei­ne füh­ren­de Rol­le ein­neh­men. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren hat man die Fi­nanz­bran­che bei kli­ma­po­li­ti­schen Mass­nah­men fast im­mer aus­ge­klam­mert. Ins­ge­samt ge­schieht noch zu we­nig. Es braucht des­halb den po­li­ti­schen Druck.

Die bür­ger­li­che Mehr­heit im na­tio­na­len Par­la­ment von SVP, FDP und gros­sen Tei­len Ih­rer ei­ge­nen Par­tei dürf­ten sich ge­gen das Vor­ha­ben stem­men, das den Fi­nanz­sek­tor in sei­ner Wirt­schafts­frei­heit ein­schrän­ken will. Wie ge­hen Sie da­mit um?

Als Mit­te-Po­li­ti­ker bin ich es ge­wohnt, in­ner­par­tei­lich kon­tro­vers zu dis­ku­tie­ren. Die Ein­sicht, dass das fos­si­le Zeit­al­ter zu En­de geht, tei­len aber oh­ne­hin sehr vie­le, auch bür­ger­li­che Po­li­ti­ker:in­nen. Die Fra­ge ist nur, wie der Über­gang in die neue Zeit ge­stal­tet wird. Mir ist wich­tig, dass wir ei­nen Schritt wei­ter­kom­men. Ich ver­ste­he mich sel­ber als bür­ger­li­chen Po­li­ti­ker mit so­zia­ler Ver­ant­wor­tung und ei­nem li­be­ra­len Ge­wis­sen. Und die In­itia­ti­ve ist sehr li­be­ral. Denn li­be­ral be­deu­tet auch, den kom­men­den Ge­ne­ra­tio­nen nicht Schä­den, die man sel­ber ver­ur­sacht hat, zu hin­ter­las­sen und da­mit de­ren künf­ti­ge Frei­heit ein­zu­schrän­ken. Neue In­ves­ti­tio­nen in fos­si­le En­er­gien sind ei­ne Hy­po­thek für die Jun­gen.

Was will die Fi­nanz­platz-In­itia­ti­ve kon­kret?

Ers­tens soll der Bund die Fi­nanz­bran­che ver­pflich­ten, sich in ih­ren In­vest­ments an den in­ter­na­tio­na­len Kli­ma- und Bio­di­ver­si­täts­zie­len zu ori­en­tie­ren. Kon­kret ist da­mit zum Bei­spiel das Pa­ri­ser Kli­ma­ab­kom­men mit dem 1,5-Grad-Ziel ge­meint. Zwei­tens soll die Fi­nan­zie­rung und Ver­si­che­rung von fos­si­len En­er­gie­quel­len ver­bo­ten wer­den. Be­reits lau­fen­de In­ves­ti­tio­nen wür­den da­von aus­ge­nom­men. Das Ziel ist kein ra­di­ka­ler Schnitt, son­dern le­dig­lich die Be­schleu­ni­gung der Pha­sing-out-Pha­se. Und drit­tens soll ei­ne neue Auf­sichts­be­hör­de ge­schaf­fen wer­den, wel­che die Ein­hal­tung der Nach­hal­tig­keits­zie­le über­prüft und Trans­pa­renz schafft.

Fi­nanz­in­sti­tu­te sol­len ge­mäss In­itia­tiv­text «Emis­sio­nen so­wie Aus­wir­kun­gen auf die Bio­di­ver­si­tät ent­lang der ge­sam­ten Wert­schöp­fungs­ket­te» be­rück­sich­ti­gen. Ist das an­ge­sichts der Kom­ple­xi­tät ei­ner glo­ba­li­sier­ten Wirt­schaft rea­lis­tisch?

Das muss un­ser An­spruch sein. Wenn ei­ne Bank heu­te viel Geld zur Ver­fü­gung stellt, dann nimmt sie das Ge­schäft in al­ler Re­gel auch schon sehr ge­nau un­ter die Lu­pe. Wenn Ban­ken ih­re ge­samt­ge­sell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung wahr­neh­men wol­len, müs­sen sie ih­re Ge­schäf­te mit der glei­chen Sorg­falt auch auf die Aus­wir­kun­gen auf die Um­welt prü­fen. Die­sen Schritt darf man den Ban­ken durch­aus zu­trau­en. Es muss aber nicht al­les bis ins letz­te De­tail durch­re­gu­liert sein.

Hat denn die Fi­nanz­bran­che gar nichts un­ter­nom­men bis­lang?

Seit Trump die Welt­po­li­tik do­mi­niert, sind Rück­schrit­te in der Kli­ma­po­li­tik fest­zu­stel­len. Aber ge­wis­se po­si­ti­ve Ent­wick­lun­gen sind nicht mehr auf­zu­hal­ten. Und man darf auch nicht die gan­ze Fi­nanz­bran­che in ei­nen Topf wer­fen. Es gibt sehr wohl Ban­ken oder Ver­si­che­run­gen, die sehr vor­bild­lich un­ter­wegs sind. Zah­len des Bun­des zei­gen aber, dass nur et­wa 60 Pro­zent der Bran­che sich über­haupt ein Net­to-Null-Ziel ge­setzt hat. Da­zu kommt die Kli­ma­wir­kung der Bran­che. Ge­mäss ei­ner McK­in­sey-Stu­die von 2022 ste­hen die Ge­schäf­te des Schwei­zer Fi­nanz­plat­zes mit rund 14- bis 18-mal so ho­hen CO₂-Emis­sio­nen wie die ge­sam­ten In­lan­de­mis­sio­nen der Schweiz in Ver­bin­dung. Da ist al­so noch viel Luft nach oben. Aus der Bran­che hö­re ich, man sei ja be­reits dran oder ein nach­hal­ti­ge­rer Fi­nanz­sek­tor kom­me so­wie­so ir­gend­wann. Mein An­spruch ist aber, dass es schnel­ler pas­siert. 2050 ist schon bald.

Kri­ti­ker:in­nen wen­den ein, dass dem Pla­ne­ten mit dem Um­set­zen der In­itia­ti­ve über­haupt nicht ge­hol­fen sei, weil so oder so wei­ter­hin in fos­si­le En­er­gien in­ves­tiert wird. Sie be­fürch­ten ei­nen Ka­pi­tal­ab­fluss aus der Schweiz.

Wir kön­nen un­se­re schmut­zi­gen Ge­schäf­te nicht da­mit recht­fer­ti­gen, dass sie sonst ein­fach je­mand an­de­res macht. An­de­re Fi­nanz­plät­ze ken­nen heu­te schon stren­ge­re Re­gu­lie­run­gen: Lon­don, Sin­ga­pur, die EU – dort wird viel mehr Trans­pa­renz ge­for­dert als in un­se­rer In­itia­ti­ve. «Sus­tainable fi­nan­ce» ist auch ein Zu­kunfts­ge­schäft, vie­le wol­len be­reits heu­te dar­in in­ves­tie­ren. Na­tür­lich wer­den ge­wis­se Län­der lei­der auch in Zu­kunft noch Koh­le­kraft­wer­ke bau­en. Aber die Schweiz könn­te bei de­ren Nicht­fi­nan­zie­rung welt­weit ei­ne nicht zu un­ter­schät­zen­de Vor­bild­rol­le ein­neh­men.

«Gu­te Idea­le zer­stö­ren den Markt», schrieb die «Han­dels­zei­tung» in ei­nem Kom­men­tar zur In­itia­ti­ve. Was hal­ten Sie da­ge­gen?

Wenn Ver­än­de­run­gen ge­for­dert wer­den, ist Be­sitz­stand­wah­rung oft ein ers­ter, zum Teil auch nach­voll­zieh­ba­rer Re­flex. Nichts­des­to­trotz wird die Ver­än­de­rung kom­men, sie ist wich­tig. Wenn sich die Schwei­zer Fi­nanz­bran­che nicht be­wegt, ver­passt sie ei­ne Chan­ce und wird von an­de­ren über­holt. Das ist auch ei­ne Wett­be­werbs­fra­ge. Es er­scheint zu­dem nicht ge­recht­fer­tigt, Ban­ken und Ver­si­che­run­gen von ih­rer ge­sell­schaft­li­chen Ver­ant­wor­tung aus­zu­neh­men, wäh­rend sich an­de­re Schwei­zer Un­ter­neh­men zu­neh­mend um nach­hal­ti­ges Wirt­schaf­ten be­mü­hen.

Wird die De­bat­te als klas­si­scher Kon­flikt zwi­schen Markt- und Um­welt­ideo­lo­gie aus­ge­tra­gen?

Die Ge­fahr die­ser Zu­spit­zung be­steht. Das wä­re aber nicht ziel­füh­rend. Wir müs­sen eher Emo­tio­nen raus­neh­men aus die­ser De­bat­te und uns auf Zah­len und Fak­ten stüt­zen. Für die Fi­nanz­bran­che ist die Dis­kus­si­on auch ei­ne Chan­ce auf­zu­zei­gen, was sie punk­to Nach­hal­tig­keit be­reits leis­tet. Ei­ni­ge ver­öf­fent­li­chen nicht nur ih­re jähr­li­chen Ge­schäfts­be­rich­te, son­dern zu­sätz­lich auch Nach­hal­tig­keits­be­rich­te. Es gibt sehr gu­te Bei­spie­le, in der Ost­schweiz zum Bei­spiel die Thur­gau­er Kan­to­nal­bank. Der Ball liegt nun auch bei der Bran­che, ob sie sich rein de­fen­siv ver­hal­ten oder kon­struk­tiv mit­ar­bei­ten will.

Ein Ser­gio Er­mot­ti und sein Nach­fol­ger voll­füh­ren den­noch kei­ne Freu­den­sprün­ge ob der In­itia­ti­ve. Wie könn­te sich ei­ne An­nah­me zum Bei­spiel auf den Ban­ken­platz St.Gal­len aus­wir­ken?

Die In­itia­ti­ve lässt auch Aus­nah­men zu, zum Bei­spiel die Na­tio­nal­bank oder klei­ne Kan­to­nal­ban­ken. Kre­di­te fürs Ge­wer­be im In­land oder Klein­an­le­ger sind durch die In­itia­ti­ve nicht ge­fähr­det, denn lo­ka­le Ban­ken tä­ti­gen kaum fos­si­le Aus­land­ge­schäf­te. Die In­itia­ti­ve zielt klar auf die gros­sen In­vest­ments der gros­sen In­sti­tu­tio­nen ab. Da­zu zählt na­tür­lich die UBS. 2022 hat sie – da­mals noch oh­ne die CS – rund 8 Mil­li­ar­den Fran­ken Kre­di­te an Pro­jek­te zum Aus­bau fos­si­ler En­er­gien ge­währt. Bei sol­chen Ge­schäfts­in­ter­es­sen wun­dert ei­nen die Angst vor staat­li­cher Re­gu­lie­rung nicht. Letzt­lich geht es ums gros­se Gan­ze, nicht nur um den Er­halt un­se­rer Glet­scher, son­dern um die Be­wohn­bar­keit der Äqua­tor­re­gio­nen und die Er­näh­rung der 1,5 bis 3 Mil­li­ar­den Men­schen, die in die­ser Re­gi­on le­ben. Das gros­se, lang­fris­ti­ge Bild darf nicht wei­ter aus­ge­blen­det wer­den.

Marc Rü­disü­li, 1998, lebt in Sir­nach und schliesst ge­ra­de sein Ge­schichts- und Po­li­to­lo­gie­stu­di­um an der Uni­ver­si­tät Zü­rich ab. Bis Mit­te Sep­tem­ber war er Prä­si­dent der Jun­gen Mit­te Schweiz, ist nach wie vor im Par­tei­prä­si­di­um der Mit­te Schweiz, wo er die Um­be­nen­nung der Par­tei von CVP zu «Die Mit­te» haut­nah mit­er­lebt hat, und sitzt seit 2024 im Thur­gau­er Gros­sen Rat.
fi­nanz­platz-in­itia­ti­ve.ch

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