Helvetia spricht und wird gehört

Männer, die auf Bühnen in Mikrofone reden, gibt es viele. Ein Ostschweizer Podcast macht inspirierende Frauengeschichten hörbar und beweist, wie einfach es eigentlich ist, weibliche Vorbilder zu finden. Man muss ihnen nur zuhören.

Um den Schwerpunkt im Juniheft künstlerisch umzusetzen, hat Zoé Aubry zwei ihrer Projekte neu aufgearbeitet. Noms Inconnus und Reproduction. Suture. sind Multimedia-Arbeiten der Schweizer Künstlerin, die sich mit strukturellem Femizid auseinandersetzen. 

Nach der Ma­tu­ra hat Kath­rin Lopp­a­cher sich ent­schlos­sen, es gleich wie Eli­sa­beth Kopp zu ma­chen: ab in den Mi­li­tär­dienst. «Mein Ziel war es im­mer, glei­che Rech­te und Pflich­ten für al­le zu schaf­fen, und ich be­gann mit den glei­chen Pflich­ten.» Ob sie es heu­te wie­der ma­chen wür­de, weiss sie nicht. «Ich war un­ter den 200 in der Kom­pa­nie die ein­zi­ge Frau. Es war ei­ne har­te, aber lehr­rei­che Schu­le.»

Heu­te ist sie Lei­te­rin Aca­de­my und Of­fice Ma­nage­ment bei der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer St.Gal­len-Ap­pen­zell so­wie en­ga­giert als Co-Prä­si­den­tin der FDP Frau­en Kan­ton St.Gal­len, Mut­ter und Co-In­iti­an­tin des Ver­eins Hel­ve­tia spricht. Die­ser ist ein Zu­sam­men­schluss ver­schie­de­ner Frau­en­or­ga­ni­sa­tio­nen aus der Ost­schweiz.

Vor­bil­der wie die ers­te Bun­des­rä­tin gibt es vie­le – auch in der Ost­schweiz. Man muss sie nur sicht­bar ma­chen. Des­halb lan­cier­te Hel­ve­tia spricht die Re­fe­ren­tin­nen­platt­form Al­pha­ber­ta. Lopp­a­cher weiss, dass der Be­darf ge­ra­de in der Ost­schweiz gross ist: «Über 70 Pro­zent von den re­fe­rie­ren­den Men­schen auf un­se­ren Büh­nen sind männ­lich. Vie­le Frau­en sa­gen ab, weil sie sich zu Un­recht nicht für die idea­len Re­fe­ren­tin­nen hal­ten.» Ge­ra­de bei Events, die von Män­nern or­ga­ni­siert wer­den, feh­le es oft an Frau­en, da Ver­an­stal­ter in ih­ren ei­ge­nen Netz­wer­ken nach Know-how su­chen. Al­pha­ber­ta ist in­zwi­schen ei­ne Platt­form mit Ex­per­tin­nen aus al­len Be­rei­chen der Ge­sell­schaft.

Beim Auf­bau des Pro­jekts führ­te Lopp­a­cher dut­zen­de Ge­sprä­che mit den Frau­en, die auf der Platt­form sind. «Ich war in­spi­riert und wir fan­den, dass die­se Ge­schich­ten wei­ter­ge­tra­gen wer­den müs­sen.» Der Pod­cast «Ber­ta & Gam­ma» ent­stand. In der ers­ten Fol­ge vom 8. März 2024 be­grüss­te Mo­de­ra­to­rin Sa­bri­na Leh­mann die St.Gal­ler Jour­na­lis­tin Eve­li­ne Falk. Sie ha­be laut Lopp­a­cher ge­zö­gert, die An­fra­ge an­zu­neh­men, doch ein Zi­tat von Ga­brie­la Man­ser ha­be sie über­zeugt: «Frau­en müs­sen in die Öf­fent­lich­keit, um an­de­re Frau­en zu in­spi­rie­ren.»

Män­ner in der Ver­ant­wor­tung

Seit­her fin­det im­mer am ers­ten Don­ners­tag im Mo­nat ei­ne wei­te­re Aus­ga­be statt, wo je­weils zwei Fol­gen vor Liv­e­pu­bli­kum auf­ge­zeich­net wer­den. «Das ist je­den Mo­nat ein High­light für mich, die Ge­sprä­che ent­wi­ckeln sich oft in über­ra­schen­de Rich­tun­gen», sagt Lopp­a­cher. Nach ei­ner der ers­ten Fol­gen be­fürch­te­te ein Zu­hö­rer zwar, es wür­de Män­ner-Bas­hing be­trie­ben. «Da­bei geht es in den Ge­sprä­chen oft gar nicht um Män­ner. Und wenn, dann wird bei­spiels­wei­se dar­über ge­spro­chen, wie wich­tig es ist, ei­nen un­ter­stüt­zen­den Part­ner zu ha­ben.» Für ei­ne ge­rech­te­re Ge­sell­schaft brau­che es schliess­lich al­le.

Et­wa 15 Pro­zent des Pu­bli­kums ist männ­lich. «Das darf ger­ne mehr sein. Wir wol­len auf­zei­gen, mit wel­chen Pro­ble­men Frau­en noch zu kämp­fen ha­ben und auf wel­che Ar­ten man sie un­ter­stüt­zen kann.» Doch Dis­kus­sio­nen wie je­ne ums an­geb­li­che Män­ner-Bas­hing sei­en nicht ziel­füh­rend. «Ich ver­su­che na­tür­lich im­mer, die Men­schen dort ab­zu­ho­len, wo sie sind. Aber wenn es nur um ei­nen Schlag­ab­tausch geht, ist mir die Zeit zu scha­de.» Klar sei aber auch, dass Män­ner ih­ren Teil zur Gleich­be­rech­ti­gung leis­ten müss­ten, wes­we­gen man auf ih­re Un­ter­stüt­zung, Pri­vi­le­gi­en und Netz­wer­ke an­ge­wie­sen sei.

Mit Vor­bil­dern in­spi­rie­ren

Die Ge­sprä­che in «Ber­ta & Gam­ma» sind nah bei den Men­schen. «Es geht dar­um, die fe­mi­nis­ti­schen Dis­kur­se mit lo­ka­len Vor­bil­dern und ih­ren Ge­schich­ten zu er­gän­zen, prak­ti­sche Tipps zu ge­ben und über Her­aus­for­de­run­gen zu re­den», sagt Lopp­a­cher. Es ist viel­leicht ein we­ni­ger in­tel­lek­tu­el­ler Zu­gang zu Fe­mi­nis­mus. Wir wol­len in­spi­rie­ren und Fe­mi­nis­mus so the­ma­ti­sie­ren, dass er kei­ne Ab­wehr­hal­tun­gen aus­löst.»

Ist in der ak­tu­el­len Welt­la­ge der Fe­mi­nis­mus nicht so­gar selbst in der De­fen­si­ve? «Vor ein paar Jah­ren war Bush noch der schlimms­te Prä­si­dent, den ich mir hät­te vor­stel­len kön­nen. Nun hat mit Trump die Po­le­mik und auch das Be­schrän­ken von Frau­en­rech­ten neue Di­men­sio­nen er­reicht.» Hier­zu­lan­de sei das Tem­po et­was ge­mäch­li­cher. Das ha­be jetzt auch Vor­tei­le, denn das Be­wusst­sein für Fe­mi­nis­mus kom­me – ge­ra­de in der Ost­schweiz – zwar lang­sa­mer, aber es kom­me. Die gros­se vio­let­te Wel­le vom Streik im Jahr 2019 ha­be hier viel­leicht ei­ni­ge nicht er­fasst. «Auch wenn sich hier Trum­pis­ten die Hän­de rei­ben und auf ei­nen kon­ser­va­ti­ven Auf­schwung hof­fen, glau­be ich, dass es nicht ein­fach wird, das Selbst­ver­ständ­nis vie­ler Frau­en wie­der weg­zu­neh­men.»

Das Pod­cast-Pro­jekt ist für wei­te­re 29 Fol­gen fi­nan­ziert, ins­ge­samt gibt es so 55 Fol­gen. Ob es da­nach wei­ter­geht, ist laut Kath­rin Lopp­a­cher un­klar: «Ich ma­che die Pro­jekt­lei­tung eh­ren­amt­lich. Doch wir woll­ten nicht in die ty­pi­sche Frau­en­pro­jekt­fal­le tap­pen, wo dann al­les gra­tis ge­macht wird.» Die Pro­duk­ti­on, So­cial-Me­dia-Ar­beit und Mo­de­ra­ti­on er­hal­ten ei­nen Un­kos­ten­bei­trag. Die Lis­te mög­li­cher Pod­cast­gäs­te sei lang, und die Vi­si­on von der Gleich­stel­lung der Ge­schlech­ter wohl auch nach 55 Fol­gen noch nicht Rea­li­tät.

«Ber­ta & Gam­ma»: Auf­zeich­nung der nächs­ten Pod­cast-Fol­ge mit den Un­ter­neh­me­rin­nen Chris­tin Wal­ser und Ca­ro­li­ne Stu­der am 12. Ju­ni, 19 Uhr, Col­lek­tiv St.Gal­len.
ber­ta-gam­ma.ch