Immer weiter. Immer besser. Immer Crimer.

Nach zwei gefeierten Alben zog sich Crimer fast komplett zurück. Zum einen wegen der Geburt seines Kindes, zum anderen aufgrund psychischer Probleme. Nun feiert er vier Jahre nach der letzten Platte mit der EP The Birthday Celebration eine gelungene Rückkehr – und spielt am Samstag im Palace. 

Der Rheintaler Musiker Alexander Frei alias Crimer. (Bilder: Mindaugas Matulis)

Alex­an­der Frei sitzt an die­sem grau­en Herbst­vor­mit­tag in ei­nem Zür­cher Ca­fé. Er trägt ei­nen schwar­zen An­zug mit weis­sem Mus­ter, die Au­gen sind ge­schminkt, die halb­lan­gen Haa­re per­fekt ge­stylt, als wür­de er gleich ein Kon­zert spie­len. Frei ist Cri­mer und Cri­mer ist Frei, es gibt kei­ne Tren­nung zwi­schen Pri­vat­per­son und Per­so­na. Zu­min­dest in Mo­men­ten wie sol­chen nicht. Cri­mer spricht über sei­ne neue EP The Bir­th­day Ce­le­bra­ti­on, die En­de No­vem­ber er­schie­nen ist, ei­nen Tag nach sei­nem 36. Ge­burts­tag, qua­si ein Ge­schenk an sich selbst. Und gan­ze vier Jah­re nach sei­nem letz­ten Al­bum Fake Nails. In der schnell­le­bi­gen Zeit und der strea­ming­platt­for­mi­sier­ten Mu­sik­welt ei­ne hal­be Ewig­keit. Beim Rhein­ta­ler Mu­si­ker, der seit vie­len Jah­ren in Zü­rich lebt, mi­schen sich Freu­de und Er­leich­te­rung, das wird im Ge­spräch im­mer wie­der spür­bar. Dar­über, dass die Ar­beit an der EP ab­ge­schlos­sen ist. Und dar­über, dass Cri­mer zu­rück ist. 

Cri­mer war zwar nie ganz weg. Er trat spo­ra­disch auf, im Som­mer 2023 ver­öf­fent­lich­te er ei­ne Sin­gle mit dem Italo-Dis­co-Senk­recht­star­ter Va­len­ti­no Vi­va­ce und En­de 2024 er­schien dann mit Sports­car die ers­te neue Ei­gen­kom­po­si­ti­on seit Lan­gem, ein mu­si­ka­li­sches Le­bens­zei­chen und ein Ap­pe­ti­zer auf die EP. Apro­pos Ap­pe­ti­zer: Das Co­ver, auf dem ein an­ge­schim­mel­tes Me­nü ei­ner Bur­ger­ket­te zu se­hen ist, ist ir­re­füh­rend – Cri­mer ser­viert auf The Bir­th­day Ce­le­bra­ti­on kei­nes­wegs mu­si­ka­li­sches Fast Food oder gamm­lig-ab­ge­stan­de­ne Klän­ge, son­dern fünf le­cke­re Tracks, die Lust auf mehr ma­chen. 

Keep On Run­ning heisst der Ope­ner, ei­ne hym­ni­sche Syn­th-Pop-Num­mer, wie man sie von Cri­mer kennt: tief ver­wur­zelt in der Äs­the­tik der 80er-Jah­re, aber mit mo­der­nem An­strich – dies­mal et­wa mit den French-House-ty­pi­schen Vo­co­der-Ef­fek­ten. Es folgt Spi­der­web, ei­ne eu­pho­ri­sche Pop­num­mer mit Wa­ve-Ein­flüs­sen. «Time’s not on our si­de / And the stars don’t ali­gn / Now my spot­light’s go­ne but I’m not yet do­ne / Guess I’m all in to­night», heisst es da. The­men wie Äl­ter­wer­den oder Selbst­zwei­fel fin­den sich auf der EP eben­so wie Lie­bes­schmerz, et­wa im gross­ar­ti­gen Love Kills, ei­nem Song, der auf ei­ner ein­fa­chen, re­pe­ti­ti­ven Ge­sangs­me­lo­die über ei­nem sanft pul­sie­ren­den Beat auf­baut, ehe nach zwei Mi­nu­ten die auf­ge­stau­te En­er­gie aus­bricht. 

Nicht al­les auf The Bir­th­day Ce­le­bra­ti­on ist so schwer­mü­tig. In Sports­car singt Cri­mer von ei­nem Ca­brio­let, das er und sei­ne Frau wo­chen­lang ge­sucht hat­ten. 

Raus aus dem Tief 

«Keep on run­ning» kann man durch­aus auch als Mot­to der EP ver­ste­hen. Zu­letzt war Cri­mer eher ge­mäch­lich un­ter­wegs. Dass er in den ver­gan­ge­nen Jah­ren das Tem­po raus­ge­nom­men hat­te, hat meh­re­re Grün­de. 2021, kurz vor dem Re­lease sei­nes zwei­ten Al­bums Fake Nails, be­ka­men er und sei­ne Frau, die sich aus der Schul­zeit im Rhein­tal ken­nen, ihr ers­tes Kind, ei­ne Toch­ter. Die Be­treu­ung tei­len sie sich auf. «Das Va­ter­sein gibt mir sehr viel. Des­halb konn­te und woll­te ich mich an­fangs nicht ta­ge­lang aus­klin­ken, um an der Mu­sik zu ar­bei­ten.» Durch sei­ne neue Rol­le ha­be er ge­lernt, sich bes­ser zu or­ga­ni­sie­ren und lang­fris­ti­ger zu den­ken. «Mein Va­ter hat mir schon im­mer ge­sagt, ich müs­se ei­nen Fünf­jah­res­plan ha­ben. Frü­her fand ich das pein­lich. In­zwi­schen ha­be ich ei­nen – und das macht al­les ein­fa­cher, auch für al­le an­de­ren, die in­vol­viert sind.» 

Zu­dem trenn­te sich Cri­mer von sei­nem Ma­nage­ment und nahm vie­les wie­der sel­ber in die Hand. Auch die­se Re­or­ga­ni­sa­ti­on brauch­te Zeit. «Ich wür­de lü­gen, wenn ich sa­gen wür­de, dass ich nach ei­nem Jahr al­les per­fekt im Griff ge­habt hät­te – ich ar­bei­te im­mer noch dar­an.» 

Die lan­ge Pau­se war je­doch nicht zu­letzt auch den psy­chi­schen Pro­ble­men ge­schul­det, mit de­nen Cri­mer zu kämp­fen hat­te. Die­se sei­en schon bei der Ar­beit an Fake Nails auf­ge­tre­ten. «Ich war da­mals in ei­nem Tief», er­zählt er. Pro­du­zent Ben Chris­to­phers ha­be ihm ver­si­chert, sie wür­den ge­mein­sam et­was Coo­les er­schaf­fen. Es sei al­les da, was es da­für brau­che, sie müss­ten es nur noch mit­ein­an­der for­men. «Ich woll­te aber lie­ber flüch­ten als for­men.» Sein De­büt Lea­ve Me Ba­by war 2018 nach dem Er­folg der Sin­gle Brot­herl­ove gleich auf Platz 2 der Al­bum­charts ein­ge­stie­gen. Der Hype war gross, er sei «ein­fach mit­ge­schwom­men», sagt Cri­mer. Der Er­folg kam zwar plötz­lich, doch die Songs sei­en das Re­sul­tat von mehr­jäh­ri­ger Ar­beit ge­we­sen. Beim zwei­ten Al­bum ha­be er viel we­ni­ger Zeit fürs Song­wri­ting ge­habt, zum ei­nen we­gen der vie­len Kon­zer­te, zum an­de­ren aber auch, weil er mit sich selbst be­schäf­tigt war. 

Mit dem Tief ka­men auch die Selbst­zwei­fel. Nach dem Re­lease von Fake Nails ha­be er sich oft ge­fragt, wie es wei­ter­ge­hen soll. «Ich merk­te, dass ich die­sem Job nicht das ge­ben kann, was ich müss­te. Des­halb leg­te ich ei­ne Pau­se ein.» In die­ser Zeit sei er kaum krea­tiv ge­we­sen, son­dern vor al­lem mit sich selbst be­schäf­tigt. Da­bei sei Mu­sik­ma­chen schon im Teen­ager­al­ter wich­tig ge­we­sen für sei­ne emo­tio­na­le Re­gu­lie­rung. «Das liegt wohl dar­an, dass ich das als Kind nicht so gut ge­lernt ha­be», er­zählt Cri­mer. Manch­mal sei er mit­ten in der Nacht in den Pro­be­raum ge­gan­gen. Dort konn­te er sich aus­to­ben, laut sein, schrei­en. 

Aus dem Tief fand er auch dank ei­ner The­ra­pie. Und in­zwi­schen ar­bei­tet er be­wusst dar­an, sei­ne Emo­tio­nen nicht bloss über die Mu­sik zu re­gu­lie­ren, son­dern bei­spiels­wei­se auch über Ge­sprä­che mit Freund:in­nen oder mit sei­ner Frau. 

Stolz und Dank­bar­keit 

Die­sen Um­gang mit Emo­tio­nen ver­ar­bei­tet Cri­mer im Schluss­stück Lows Of My Life, ei­nem Song, der ihm «nach ei­ner The­ra­pie­sit­zung zu­ge­flo­gen» sei. Er hand­le von den Tief­punk­ten der ver­gan­ge­nen Jah­re, aber vor al­lem von Ver­hal­tens­mus­tern, die er noch aus sei­ner Kind­heit mit sich rum­tra­ge und erst jetzt auf­ge­ar­bei­tet ha­be, et­wa den Um­gang mit Pro­ble­men. «Ich ha­be gros­se Mü­he da­mit, un­an­ge­neh­me Din­ge of­fen an­zu­spre­chen. Ich keh­re Pro­ble­me lie­ber un­ter den Tisch», sagt Cri­mer. 

Der Rück­zug ha­be auch aus ei­nem an­de­ren Grund sein Gu­tes ge­habt: Er ha­be sein künst­le­ri­sches Schaf­fen re­flek­tiert, sagt Cri­mer, und man spürt nun auch den Stolz aufs Er­reich­te und die Dank­bar­keit, von sei­ner Kunst le­ben zu kön­nen. Da­mit ein­her geht auch ein neu­es Selbst­ver­ständ­nis. «Wenn ich ei­nen Song fer­tig ha­be, über­le­ge ich nicht mehr stun­den­lang, ob ich ihn ver­öf­fent­li­che oder nicht, ob es ein gu­ter Schritt ist.» Was nicht be­deu­tet, dass er je­den Song gleich raus­haut – «nur» ei­ne EP ist es auch des­halb ge­wor­den, weil er nicht ein Al­bum ver­öf­fent­li­chen woll­te, auf dem die Hälf­te der Songs bloss Mit­tel­mass sind. 

In­so­fern ist auch die EP ein Ap­pe­ti­zer: Ir­gend­wann nächs­tes Jahr soll das drit­te Al­bum er­schei­nen. Ja, die Zeit sei schnell­le­big, der Pace hef­tig, sagt Cri­mer. Aber het­zen lässt er sich nicht, son­dern geht sei­nen Weg in sei­nem Tem­po. Keep on run­ning. Im­mer wei­ter. Im­mer bes­ser. 


Cri­mer: The Bir­th­day Ce­le­bra­ti­on, ist am 21. No­vem­ber di­gi­tal er­schie­nen. 
Live: 13. De­zem­ber, 21 Uhr, Pa­lace, St.Gal­len (Sup­port: Deep Fried Ga­la­xy); 31. Ja­nu­ar, 20.30 Uhr, Tap­Tab, Schaff­hau­sen. 
cri­mer.ch 

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