Der Raum ist grau, mit strenger Architektur. An der Wand hängt eine schwarz-rote Fahne mit dem Hakenkreuz. Ein langer Tisch, darauf ein weisses Tischtuch, dicke weisse Stoffservietten, silbernes Besteck. Nichts daran wirkt einladend. Zögerlich setzen sich die sieben Frauen. Vor ihnen Teller gefüllt mit safrangelber Suppe. Der Koch in weisser Uniform und zurückgegelten Haaren bittet unangenehm freundlich: «Na los, nicht so schüchtern. Essen Sie, bevor es kalt wird.»
Zögerlich folgen die Frauen der Aufforderung. Bald schwindet die Zurückhaltung und der Hunger bricht durch. Fast schon genüsslich schlürfen sie die Suppe. Doch gehen darf nach dem Mahl niemand. Alle müssen eine Stunde warten – erst dann kann man sicher sein, dass das Essen nicht vergiftet war.
Inspiriert von wahren Gegebenheiten
Soldinis Film basiert auf dem gleichnamigen Bestsellerroman der italienischen Autorin Rossella Pastorino aus dem Jahr 2018. Die Berlinerin Rosa Sauer (Elisa Schlott) flüchtet 1943 vor den Bomben aus Berlin nach Gross-Partsch zu ihren Schweigereltern. Dort wird sie von der SS zwangsrekrutiert: als Vorkosterin für Hitler. Dieser hat sich nicht weit von Gross-Partsch in der Wolfsschanze verkrochen und befürchtet, vergiftet zu werden.
Unter der Aufsicht des brutalen Nazi-Kommandanten Adolf Ziegler (Max Riemelt) muss Rosa mit sechs Gefährtinnen täglich Hitlers Essen testen. Während dieser zweijährigen Tortur entwickelt sich zwischen den Frauen ein Geflecht aus Solidarität und Misstrauen. Als die Rote Armee immer näher rückt, droht den Vorkosterinnen eine ganz neue Gefahr.
Pastorino stützte sich in ihrem Roman lose auf die Erzählung der Berlinerin Margot Woelk (1917–2014), die 2012 erstmals öffentlich über ihre Zeit als Hitlers Vorkosterin sprach. Als Einzige der 15 Vorkosterinnen sei ihr die Flucht von der Wolfsschanze nach Berlin gelungen. Die Zurückgebliebenen seien, so Woelk, von der sowjetischen Armee getötet worden. Belegen lässt sich Woelks Geschichte bis heute nicht – widerlegen aber auch nicht.
Klischees und Archetypen
Ob wahr oder nicht, für den Film spielt das gar keine Rolle, denn als Filmmaterial eignet sich die Story alleweil. Das zweistündige Drama von Soldini lebt dabei von einer ruhigen Kameraführung und teilweise sehr langen, fast statischen Einstellungen.
Der Regisseur nimmt sich Zeit, um die rund zwei Jahre dauernde Geschichte aufzubauen. Anstatt sich jedoch in die psychologischen Konflikte der Figuren zu vertiefen, arbeitet der Film mit vertrauten Mustern und Klischees. Der Nazi-Kommandant Ziegler ist ein Bösewicht mit Kindheitstrauma, und auch die sieben Vorkosterinnen sind archetypisch angelegt: die aufrechte Heldin, die geheimnisvolle Einzelgängerin, die vorlaute Dumme und natürlich die systemtreue Verräterin.
Dass die Heldin dann auch noch eine sexuelle Beziehung mit ihrem Peiniger eingeht, wirkt ein bisschen wie ein dramaturgisches Pflichtelement, das der Handlung nichts hinzufügt.
Kratzen an der Oberfläche
Obwohl das Drama starke Momente hat, schöpft es sein Potenzial nicht immer aus. Dabei hat der Film zahlreiche starke Elemente, besonders die konsequente Inszenierung der Essensthematik fällt auf. Immer wieder dient das Essen als Metapher, um auf vergangene oder kommende Ereignisse zu verweisen. So beschwert sich Rosas Schwiegervater gleich zu Beginn des Dramas: «Wir müssen fast das ganze Essen abgeben». Dass die Schwiegermutter das in Ordnung findet, weil es für den «Führer» ist, verdeutlicht, wie tief die ideologische Verblendung in den Alltag der Bevölkerung eingedrungen ist.
Gleichzeitig wird die Ambivalenz des Essens eindrücklich thematisiert: Im Krieg war es Mangelware, für die Frauen in ihrer Rolle als Vorkosterinnen jedoch auch eine potenzielle Bedrohung. Auch Hitlers Essgewohnheiten werden wiederholt aufgegriffen. Der Koch (Boris Aljinović) erzählt, der Diktator liebe Schokolade und sei nach dem Besuch eines Schlachthauses derart erschüttert von Blut und Schreien gewesen, dass er zum Vegetarier geworden sei. Die Erklärung wirkt in Anbetracht von Hitlers Verbrechen dann doch etwas abgedroschen.
Ganz allgemein fehlt dem Film Die Vorkosterinnen Tiefgang. Vieles bleibt in Klischees verhaftet oder wird nur angedeutet. Dabei liegt in der gewählten Perspektive viel Potential: Der Krieg aus Sicht der Daheimgebliebenen, derjenigen, die nicht kämpfen, weder an der Front noch im Widerstand. Zivilist:innen also, die unfreiwillig zu Helfer:innen werden, aber gleichzeitig auch Opfer sind.
Die Vorkosterinnen: bis August im Kinok, St.Gallen.
saiten.ch/kalender