, 20. Juli 2016
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Professionelles Promille-Pauken

Launiges aus unserem Sommerheft I: Berufliches Bierbechern. Saufen für Saiten. Prolo-Promille-Pauken. Ein Schreibrausch.

Bild: Ladina Bischof

Mittwoch, 15. Juni, 12.17 Uhr. Ich geh jetzt gleich los, Bier kaufen. Und dann beginne ich mit einem Unterfangen, das mir vor einigen Jahren noch mehr Freude bereitet hätte: berufliches Bierbechern. Saufen für Saiten. Professionelles Prolo-Promille-Pauken. Denn am Mittag trinken, das kann man ja schon mal machen. Ich muss sogar gestehen, dass mir der mittägliche und nachmittägliche Bierkonsum besonders lieb ist. Denn er sagt für gewöhnlich dies: Der Arbeitstag ist gelaufen, ab sofort lautet die Losung Genuss.

Aber jetzt, verehrte Leserin, verehrter Leser, jetzt habe ich mich mit meinem Vorhaben auf direktem Weg in ein Bilderbuch-Paradoxon geritten. Denn jetzt ist die Rausch-Akquise quasi ein erwerbstechnischer Imperativ. (Duden sagt, das Wort Akquise stehe auf der Liste der «rechtschreiblich schwierigen» Wörter. Gut, dass ich erst beim zweiten Pale Ale bin.)

So. Zweiter Abschnitt, erstes Coffee Stout. Es liegt mir fern, Alkoholkonsum zu verherrlichen. Ich bin mir der Gefahren bewusst. Aber wenn Bierheft, dann Biertext. Und so lautet das Konzept: Unter Biereinfluss über Bier schreiben, was mir spontan in den Sinn kommt. Oder lapidarer ausgedrückt: Saufen, schreiben, schauen, wie der Suff in den Schreibfluss strömt.

Nun gut, berauschter Gonzo-Journalismus feiert Inflation. Aber man kann sich ja abheben, indem man gescheiter ist und besser schreibt. Merke: Alkohol macht d’Bire hohl und führt zu Selbstüberschätzung. Ich habe mir auch schon in einem Club bei einem angeheiterten Tanz-Battle ein Bein gebrochen. «Ambulanz-Tanz» nannte ich das.

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Der Saiten-Kühlschrank, 15. Juni 2016, 13:30 Uhr

Kurze Konsumgeschichte: Mit 15 habe ich angefangen, Bier zu trinken. Jetzt meine ich, dass es so ist: Alles, was man erst ab einem gewissen Alter tun kann, ist potentiell problematisch. Alkoholkonsum und Geschlechtliches zum Beispiel. Man hat keine Erfahrung aber tausend Vorbilder – was Alkohol betrifft im Umfeld, was das Geschlechtliche betrifft seit Internet auf unzähligen Websites mit expliziten Inhalten. Dabei sollte man in beiden Bereichen den eigenen Geschmack ausbilden, der sich eben hoffentlich als nicht problematisch herausstellt.

Als junger, unerfahrener Mensch, der sich erst noch im Freundeskreis beweisen muss, bleibt nur eins: Man säuft und rammelt sich durch die ganze Palette an bekannten Trink- und Sexualpraktiken, bis man endlich ein Alter erreicht, in dem man weder mit dem einen noch mit dem anderen prahlen muss. Man findet die Getränke, die man am liebsten trinkt, und es gelingt, einen massvollen Konsum zu konditionieren. Beim Libidinösen: Da hilft beim Mann spätestens der sinkende Testosteronspiegel, dem exzessiven Gieren ein Ende zu setzen.

Meine Vorlieben gehen beim Bier in Richtung Spezialitäten. Aber man hüte sich davor, einen kultivierten Biergenuss mit einem unproblematischen zu verwechseln. Das führt auch die South Park-Folge 6 aus der 18. Staffel vor Augen: Randy Marsh, traditionell problematisches Trinkverhalten, hält seinem Vater und dem Sohn einen Vortrag über Sucht-Dämonen. Auf Vaters Einwand, Randy trinke gerade auch ein Glas Wein, sagt dieser: «Ich trinke nicht ein Glas, ich trinke sechs. Das nennt man Wein-Degustation, das hat Klasse.»

Soweit so gut. Aber wohin jetzt? Zum Brewdog Punk IPA. Es wurde mir von Adi auf Facebook an die Leber gelegt. Gut übrigens, dass Sie nicht wissen, wie schnell ich schreibe, denke ich, weil Sie sonst wüssten, nun ja, Sie wissen schon. Und in zwei Stunden und 42 Minuten werde ich Fussball schauen und Bier trinken müssen.

Exkurs: Die Kraft der Feder. Wie stark der Stift als Waffe ist, merkte ich gestern wieder. In meinem Tischtennis-Vereins-Chat – ein paar Jungs, die einen Keller gemietet und diesen mit Tischtennistisch und Kühlschrank bestückt haben – wurde diskutiert, ob wir den Schweiz-Match heute in der Schüür oder im Stall schauen. Ich argumentierte mit einer sehr hübschen Bedienung im Stall. Sämi fragte, ob ich die blonde, braungebrannte meine. Ich schrieb: «Die isch au schön! Aber ich mein die gross, schlank, schulterlang haselnussbruunhaarig, Grüebli ide Backe, Rehauge, sanfti Stimm, chatzehafti Eleganz ide Bewegige.» Die nächsten Nachrichten lauteten: «Ich chumme i jedem Fall demfall.» – «Mmmh, jetzt chumi au Luscht über.» – «Tönt guet, demfall Stall.»

Pinkeln (mittlerweile im Zug mit IPA). Vor Jahren habe ich am Züri-Fäscht an einer Bar gearbeitet. Junus hat mir erklärt, ich müsse mit dem ersten Urinieren lange warten. Es gibt diesen Moment, an dem man denkt, die Blase platzt. Wenn man ihn übersteht, weitet sich die Blase aus, und erst wenn sie das nächste Mal drückt, muss man wirklich aufs WC. Wenn man das macht, hat man am Ende der Nacht fünfmal weniger gepisst. Wenn ich mal wieder ein Wochenende in München verbringe, nenne ich das jeweils Blasen-Kur. Ich bin deshalb einer, der eher selten Harn löst. Jetzt aber dies: Kürzlich war ich mit Sylvie Bier trinken. Während etwa vier Stunden besuchte ich zweimal das Urinal. Sylvie musste trotz Konsumegalität nie für kleine Mädchen.

Und damit – erster Schluck vom Brooklyn Brown Ale, kurz vor Fussball – wären wir bei der Pissoirkultur. Die wenigsten Frauen sind pissoirkultiviert. Fussbälle, die es ins Tor, schwarze Kleber, die es farbig zu pinkeln gilt und anderes mehr. Am Pissoir wird pissen zum Event.

Ha! Da fällt mir ein: Vom Naturheilmittelhersteller A. Vogel gibt es einen Prostata-Test. 30 Zentimeter hohe Kleber im Pissoir. Darauf eine Skala. Wessen Strahl so stark ist, dass er den Kleber oben treffen kann, der ist gesund. Wer nur die Niederungen benetzt, sollte A. Vogel zu Rate ziehen.

Wer keine Prostatabeschwerden hat und den Test ausprobiert, der pinkelt also bis in die Mitte des Pissoirs hinauf. Pissoirs sind nicht dafür konzipiert, dass man da oben hinpinkelt. Etwa die Hälfte des starken Strahls spritzt einem auf den Pullover. Vielleicht hatte A. Vogel Prostataprobleme und wollte, dass auch gesunde Männer ihrer Prostata wegen angepisst sind.

Tag danach. Keine Kopfschmerzen. Hurra! Aber auch keine Erinnerung daran, wie viele Amber-Kübel ich im Stall noch getrunken habe. Und vor allem: nur diffuse Erinnerungen an den Text. Ich ahne jedoch: Er war eher sprunghaft.

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